"March for Life" in Washington: 50.000 Teilnehmer bei 50. Auflage
Der Standort der Abschlusskundgebung des 50. "March for Life" ist Programm. Anders als in den Vorjahren wählten die Organisatoren des Demonstrationszuges der US-Lebensschützer einen Platz zwischen dem Kongress und dem Supreme Court in Washington. "Das war vor ein paar Monaten ein riesiger Sieg, als 'Roe' aufgehoben wurde", erinnert der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus Steve Scalise unter dem Jubel der etwa 50.000 Teilnehmer an das Abtreibungsurteil vom Juni 2022. "Aber wie ihr alle wisst, war das erst der Anfang der Schlacht ..."
Der Supreme Court hatte mit seiner konservativen Mehrheit von sechs zu drei Stimmen zwar die ein halbes Jahrhundert lang geltende Rechtsprechung aufgehoben, aber kein neues Recht geschaffen. Da es in den USA kein nationales Gesetz gibt, das den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen regelt, fiel die Zuständigkeit automatisch wieder den Bundesstaaten zu. Je nach politischer Ausrichtung besteht dort nun ein Flickenteppich an gesetzlichen Bestimmungen.
Verschärfte Regeln
Seit Juni gibt es fast vollständige Abtreibungsverbote in den republikanisch regierten Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Idaho, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, Oklahoma, South Dakota, Tennessee, Texas und West Virginia. In vielen dieser Staaten gibt es auch keine Ausnahmen bei Vergewaltigung oder Inzest. Stark eingeschränkt ist der Zugang zu Abtreibungen auch in North Dakota und Wisconsin.
In Ohio, Indiana und Wyoming haben Gerichte in den Bundesstaaten Verbote per einstweiliger Verfügung vorübergehend blockiert, während in South Carolina das oberste Gericht eine Sechs-Wochen-Fristenlösung für unvereinbar mit der Verfassung erklärt hat; andere Staaten haben 12- und 15-Wochen-Fristen. Dagegen haben 16 demokratisch regierte Bundesstaaten, darunter New York und Kalifornien, einen legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gesetzlich verankert.
"Der Marsch für das Leben wird weitergehen, bis es kein Recht auf Abtreibung mehr gibt", rief die Präsidentin des "March for Life", Jeanne Mancini, den Demonstranten zu. Es gebe noch zu viele Staaten, in denen Abtreibungen legal seien.
Innerhalb der Pro-Life-Bewegung bestehen unterschiedliche Ansichten über die weitere Strategie. Während einige fordern, es müsse mehr für werdende und alleinerziehende Mütter getan werden, denken andere über striktere Sanktionen nach. Bei den Wählern stoßen zu weitgehende Einschränkungen selbst in konservativen Bundesstaaten auf Ablehnung. Ex-Präsident Donald Trump machte "das Abtreibungsthema" kürzlich für das schlechte Abschneiden der Republikaner bei den Zwischenwahlen vom November verantwortlich.
In Kansas und Kentucky wiesen die Bürger Initiativen mit großer Mehrheit zurück, die Abtreibungsverbote in der Verfassung verankert hätten. Umgekehrt nahmen in Michigan die Wähler einen Zusatz zur Verfassung an, der ein "Recht auf Schwangerschaftsabbrüche" vorsieht.
Experte: In US-Abtreibungsdebatte hat es nie einen Kompromiss gegeben
Die Aufhebung des Grundsatzurteils "Roe vs. Wade" hat in den USA für heftige Debatten geführt. Im Interview spricht Philosophieprofessor und Jesuit Godehard Brüntrup über die Spaltung im Land – und den Unterschied zur Abtreibungsdebatte in Europa.
Der amtierende Präsident Joe Biden nahm den 50. Jahrestag der "Roe v. Wade"-Entscheidung von 1973 am Freitag zum Anlass, den Kongress aufzufordern, die damals beschlossenen Grundsätze in Gesetzesform zu bringen. Er werde alles tun, "Frauen und Familien vor jenem Schaden zu schützen", den die Entscheidung des Supreme Court gebracht habe.
In seiner Predigt beim Eröffnungsgottesdienst am Donnerstagabend hatte der bei der katholischen US-Bischofskonferenz für das Thema Lebensschutz zuständige Bischof Michael Burbidge das Ende von "Roe vs. Wade" als Anlass zum Feiern gewertet. Dieser "Schandfleck" existiere nicht mehr im Rechtssystem der USA und auch nicht in der Kultur der Nation.
9.000 bei Gottesdienst
Zu der Auftaktveranstaltung in der Basilika der Unbefleckten Empfängnis in Washington waren mehr als 9.000 Menschen gekommen. Neben Burbidge nahmen an dem Gottesdienst auch die Kardinäle Sean O'Malley aus Boston, Wilton Gregory aus Washington sowie der Vorsitzende der Bischofskonferenz teil, Erzbischof Timothy Broglio.
Unter den US-Bürgern bleibt Abtreibung ein heißes Eisen. Eine aktuelle "Marist"-Umfrage vor dem "March for Life" ergab, dass sechs von zehn Befragten das Entscheidungsrecht bei Abtreibung bei den Frauen sehen. Knapp vier von zehn Befragten bezeichneten sich selbst als Abtreibungsgegner.