Benedikts Tod habe "die Aggressivität sicher beschleunigt"

Vatikan-Experte Politi: Angriffe auf Franziskus werden zunehmen

Veröffentlicht am 30.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Vatikanstadt ‐ Gerade nach dem Tod Benedikts XVI. meldeten sich verstärkt konservative Bischofsstimmen mit Kritik an Papst Franziskus zu Wort. Nur Zufall – oder steckt mehr dahinter? Im katholisch.de-Interview gibt der italienische Vatikan-Experte Marco Politi eine Einschätzung.

  • Teilen:

Seit dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. häufen sich Stimmen aus dem Bischofskollegium, die Kritik an Papst Franziskus üben. Die Memoiren von Erzbischof Georg Gänswein, in denen er über seine Zeit mit Benedikt XVI. berichtet, enthalten Passagen, die zumindest indirekt Entscheidungen des Pontifex monieren. Ein kurz vor seinem überraschenden Tod Anfang des Jahres verfasster Beitrag von Kardinal George Pell äußerte massive Vorbehalte gegen den durch den Papst initiierten weltweiten synodalen Prozess. Der emeritierte Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, äußerte sich in einem Interview ähnlich. Und vergangene Woche erschien ein Interviewband mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller, in dem dieser an manchen Stellen Franziskus' Amtsstil kritisiert. Warum gerade jetzt verstärkt solche Aussagen? Der bekannte italienische Journalist und Vatikan-Experte Marco Politi erläutert im Interview die Hintergründe und sagt: Bis zur Weltsynode wird sich der Ton weiter verschärfen.

Frage: Vor allem seit dem Tod Benedikts XVI. erscheint von konservativen Würdenträgern verstärkt öffentliche Kritik an Franziskus. Was steckt dahinter, Herr Politi?

Politi: Der Tod Benedikts XVI. ist jetzt ein Anlass für Memoiren und Ähnliches. Dieses Ereignis hat die Aggressivität sicher beschleunigt. Papst Franziskus ist schon ziemlich alt, und in den kommenden Jahren werden wir sehen, dass der Druck auf ihn aus konservativen Kreisen immer stärker wird. Die Tatsache ist ja, dass seit acht Jahren ein Untergrund-Bürgerkrieg in der katholischen Kirche wütet. Das hat in dem Moment angefangen, als Papst Franziskus in "Amoris laetitia" die Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene möglich gemacht hat. Dieser Konflikt ist dann immer weitergegangen. Und jetzt steht die Weltsynode an, bei der sich alles weiter zuspitzen wird.

Frage: Aber warum hat gerade der Tod Benedikts die Aggressivität beschleunigt?

Politi: Es hat nicht direkt mit Benedikt zu tun. Die Beziehungen zwischen Benedikt und Franziskus waren immer gut – bis zu dem Moment, in dem sich Benedikt nach der Amazonas-Synode mit seinem Beitrag in dem Buch Kardinal Sarahs in eine Regierungsentscheidung des Papstes eingemischt hat: gegen die Möglichkeit eines verheirateten Klerus im lateinischen Katholizismus. Aber nach dem Tod Benedikts fühlt die Opposition, dass der Weg für neuen Rücktritt an der Spitze der Kirche frei ist… Drei lebende Päpste hätten die Katholiken nicht verkraftet.

Bild: ©Leemage / picture alliance (Archivbild)

Der Journalist Marco Politi gilt als einer der bekanntesten "vaticanisti" Italiens. 2020 beschrieb er in dem Buch "Das Franziskus-Komplott", welche konservativen Netzwerke, Kardinäle und Bischöfe im Vatikan und im Ausland Papst Franziskus bekämpfen.

Frage: Manche Vaticanisti vermuten, seine Gegner wollen Franziskus mürbe machen, sodass er bald zurücktritt. Wie sehen Sie das?

Politi: Das ist nicht nur eine Theorie der Vaticanisti. Schon Kardinal Kasper hat gesagt, dass es Kräfte gibt, die ein neues Konklave beschleunigen wollen. Auch der Jesuitengeneral Arturo Sosa hat gesagt, dass in der Kirche ein politischer Kampf tobe und man Einfluss auf das nächste Konklave üben wolle. Was interessant ist: Der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, Timothy B. Broglio, hat nach dem Tod Benedikts in einem Interview gesagt, jetzt sei auch ein Rücktritt von Franziskus "praktikabler". Er hat dann zwar sofort gesagt, dass seien nur Spekulationen und Franziskus scheine weitermachen zu wollen. Aber schon die Tatsache, dass ein hoher Würdenträger in der Kirche so etwas überhaupt sagt, zeigt eine Tendenz. In der katholischen Kirche sind die Nuancen immer sehr wichtig.

Frage: Wie wahrscheinlich ist denn aus Ihrer Sicht ein Rücktritt von Franziskus? Er hat ja öffentlich schon öfter gesagt, bisher habe er doch nicht daran gedacht, aber es sei eine Möglichkeit.

Politi: Er selbst hat ja in den ersten Jahren offen davon gesprochen, dass sein Pontifikat ein kurzes sein könnte. Aber seine Unterstützer haben gedrängt, dass er weitermacht – und er selbst hat verstanden, dass er weitermachen muss. Deswegen wird er bis zum Ende das Steuer in seinen Händen halten. Aber wenn es ihm physisch unmöglich wird, weiter die Kirche zu führen, ist er rational genug und würde genau dasselbe tun wie Benedikt. Aber aktuell denkt er überhaupt nicht an einen Rücktritt.

Frage: Warum muss er denn weitermachen?

Politi: Er will, dass sich diese Linie, die er mit der Weltsynode vertritt, in der Kirche durchsetzt: dass man neu denken muss, wie sich die Kirche gestalten soll, ob sie eine Monarchie oder eine Gemeinschaft sein soll, was die Teilhabe aller am Auftrag der Kirche bedeutet, was die Mission der Kirche im 21. Jahrhundert ist. Die Weltsynode ist ja sozusagen ein Mini-Konzil. Der Papst will, dass sich dieses Momentum der Diskussion und Entscheidungen realisiert.

Frage: Was hält Franziskus von all den jüngsten kritischen Veröffentlichungen? Treffen sie ihn?

Politi: Franziskus hat immer gesagt, dass er nicht den Schlaf verliert, dass er ganz unberührt bleibt von Attacken und Aggressivität. Interessant ist aber zu sehen, bei welchen Punkten sich diese Stimmen versteifen. Kardinal Pells Aufsatz hat ja gezeigt, dass die konservative Seite gegen die Weltsynode ist, auf der über die Gestalt der Kirche diskutiert werden soll. Das sind die Konfliktpunkte. Diese Synode wird ein wichtiger Wendepunkt sein. Bei ihr wird man die Kräfteverhältnisse sehen zwischen konservativen und reformfreudigen Kirchenvertretern. Und man wird auch sehen, wie sich die "ängstliche Mitte", die rund 40 Prozent der Bischöfe ausmacht, verhält. Das wird dann natürlich auch Einfluss haben auf das nächste Konklave.

Bild: ©KNA

Ist durch den Tod von Kardinal George Pell in der konservativen Opposition gegen Papst Franziskus eine Lücke entstanden? "Natürlich wird es nicht mehr automatisch so eine starke Persönlichkeit wie Pell geben. Aber es gibt viele Würdenträger in der Kirche, die genauso denken", sagt Marco Politi.

Frage: Sie sprechen von einem "Untergrund-Bürgerkrieg" in der Kirche. Wird der jetzt zunehmend offener ausgetragen?

Politi: Ganz bestimmt. Mit Hinblick auf die Weltsynode wird dieser Bürgerkrieg immer offener sein. Es ist ja auch ein Zeichen dafür, dass man dieses Memorandum von Kardinal Pell für das nächste Konklave veröffentlicht hat. Darin steht, dass das aktuelle Pontifikat eine Katastrophe sei. Und dort heißt es auch, der nächste Papst müsse sich sehr an die Lehre der Kirche halten. In der kommenden Zeit sind weitere solche Angriffe zu erwarten.

Frage: Kardinal Pell galt immer als eine Art Anführer der Konservativen, weil er als Australier gerade im asiatisch-pazifischen Raum gut vernetzt war. Wie groß ist die Lücke, die durch seinen Tod entstanden ist?

Politi: Wenn man an die Kräfteverhältnisse denkt, sind nicht nur die Leute wichtig, die sich offen aussprechen, sondern vor allem die, die im Hintergrund bleiben. Natürlich ist beispielsweise durch den Tod von Kardinal Meisner in Deutschland eine Lücke entstanden. Solch starke Persönlichkeiten wie Meißner sind immer besonders. Und natürlich wird es nicht mehr automatisch so eine starke Persönlichkeit wie Pell geben. Aber es gibt viele Würdenträger in der Kirche, die genauso denken. Deswegen ist die Weltsynode wichtig. Dort wird man sehen, wie das Dokument geschrieben wird, wie abgestimmt wird und welche Konflikte es bei den verschiedenen Paragrafen geben wird. Deshalb wird in der nächsten Zeit eben auch interessant sein, mit welchen Argumenten Kardinäle und Bischöfe an die Öffentlichkeit treten. Es muss gar nicht sein, dass man so aggressive Töne wie Müller, Pell oder auch Kardinal Burke benutzt. Da sind schon Bemerkungen über die Gefahr einer "Demokratisierung" der Kirche oder Kritik am Synodalen Weg der Kirche in Deutschland ein Zeichen. Man muss eben auf die Nuancen achten.

Frage: Erwarten Sie jetzt einen entschlosseneren Franziskus – oder einen vorsichtigeren?

Politi: Bestimmt fühlt sich Franziskus in gewisser Hinsicht vom Schatten des "anderen Papstes" befreit. Das sieht man auch an der entschlossenen Weise, in der er jetzt gesagt hat, dass Homosexualität kein Verbrechen ist und dass in diesem Sinne auch gewisse Bischöfe sich bekehren sollen. Im Großen und Ganzen wird aber Franziskus in den nächsten Jahren versuchen, dass sich der innerkirchliche Konflikt nicht ausbreitet. Er hat versucht, den Weg zu einem Frauendiakonat zu erleichtern, aber die erste Kommission dazu war total gespalten. Wenn es so einen vertikalen Konflikt gibt, bleibt Franziskus stehen, wie man auch bei der Amazonas-Synode gesehen hat. Deshalb wird sich Franziskus wohl vorsichtig bewegen und schauen, ob er für andere Reformen eine Mehrheit in der Kirche hat. Denn der Papst ist kein autokratischer Alleinherrscher mehr, der alles entscheiden kann. Diese Zeit ist schon längst vorbei.

Von Matthias Altmann