Diegler: Es fehlen "Normalität und eine Auseinandersetzung"

Ein Jahr #OutInChurch – Ein Gemeindereferent zieht Bilanz

Veröffentlicht am 29.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Trier ‐ Mit 124 anderen Menschen trat Andreas Diegler vor einem Jahr als queer und katholisch an die Öffentlichkeit. Die Initiative #OutInChurch rüttelte an Regeln und Kultur der Kirche – und hat bisher vereinzelte Erfolge errungen. Aber reicht das?

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Vor einem Jahr stand Andreas Dieglers Leben Kopf. Das Handy klingelte pausenlos, Nachrichten und Mails trudelten ein. "Hut ab!", "Wir unterstützen dich", schrieben neben Freunden und Bekannten auch Fremde aus ganz Deutschland: Heteros und Queere, Junge und Alte, Seelsorgende und Priester. Diegler erinnert sich an ein Gefühl des Getragen-Seins. "Ich habe mich auf Hassbotschaften oder zumindest kritische Nachrichten aus konservativ-katholischen Kreisen eingestellt, aber das gab es nicht", erzählt er.

Der 32-Jährige ist katholischer Gemeindereferent – und schwul. Er arbeitet seit 2014 für das Bistum Trier im saarländischen Marpingen. Als Seelsorger steht er Menschen zur Seite, unterrichtet Religion in Grundschulen, organisiert Kindergottesdienste und Krippenfeiern.

Schwul sein und für die katholische Kirche arbeiten konnte bis vor kurzem arbeitsrechtlich heikel sein. Ein Jahr ist es her, dass Diegler gemeinsam mit 124 anderen queeren Menschen in der katholischen Kirche mit #OutInChurch an die Öffentlichkeit ging. Queer meint Personen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt. Sie berichteten von Verletzungen und Ängsten, beispielsweise vor einer Kündigung – und forderten von der Kirche einen Kulturwandel und Änderungen im Arbeitsrecht.

"Eine Heimat haben und keine Repressionen fürchten müssen"

Diegler machte um die Beziehung zu seinem Freund in der Gemeinde und gegenüber Vorgesetzten kein Geheimnis. "Ich habe meine Beziehung als normalen Teil von mir gelebt", sagt er. Allerdings wusste er, dass sein Liebesleben ein Kündigungsgrund sein könnte. "Ich habe im Kopf durchgespielt, was passiert, wenn ich ins Generalvikariat zitiert würde", sagt Diegler. Erwartet habe er das nicht, sicher sei er aber auch nicht gewesen.

Für das Bistum Trier schrieb Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg im Januar 2022 als Reaktion auf #OutInChurch auf Facebook: "Menschen, die sich der LSBTIQ-Community zugehörig fühlen und ihr Leben und Arbeiten aus dem christlichen Glauben heraus gestalten wollen, sollen in unserer Kirche natürlich eine Heimat haben und keine Repressionen fürchten müssen."

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Ein guter Schritt, meint Diegler. Dennoch habe er sich als damals einziger Bistumsangestellter bei #OutInChurch etwas anderes gewünscht: "Dass jemand aus dem Generalvikariat zum Telefon greift und sagt, Herr Diegler, sie haben keine Konsequenzen zu befürchten."

Die Initiative setzte viel in Bewegung. Im Herbst beschlossen die katholischen Bischöfe in Deutschland ein neues Arbeitsrecht, das sich zu Vielfalt bekennt. Es gilt in Trier wie in vielen Bistümern seit Jahresbeginn.

Bei anderen Forderungen der Initiative sieht Diegler noch "viel Luft nach oben", etwa bezüglich einer Änderung der kirchlichen Lehre zu Homosexualität oder Segnungen von Partnerschaften queerer Menschen. "Die Kirche hat verstanden, dass es Schwule und Lesben gibt, aber Fragen zu trans Menschen sind immer noch offen." Dieglers Fazit: Es werde zu viel geredet, von Wohlwollen und angstfreier Kirche. Ab und zu besuche ein Bischof zu besonderen Anlässen einen queeren Gottesdienst. "Was fehlt, ist Normalität, eine echte Auseinandersetzung und dass gehandelt wird", sagt er.

Berührungsängste insbesondere beim Thema Transidentität

Mit Vincent Maron vom "Queeren Zentrum Schmitz" arbeitet er im Arbeitskreis "Sexuelle und geschlechtliche Identitäten in der Pastoral" des Bistums Trier für Änderungen. Maron unterstützt im Schmitz-Zentrum queere Jugendliche. "Ich habe den Eindruck, dass das Bistum hinter seinen queeren Mitarbeitenden steht", sagt Maron. Dennoch nehme er Berührungsängste wahr, insbesondere beim Thema Transidentität. "Verantwortliche nutzen oft Begriffe wie 'diese Menschen', anstatt Transgender zu sagen", meint Maron und führt das auf eine Mischung aus Angst und Unwissenheit zurück.

"Ich vermisse schnelles Handeln, wenn sich jemand in der Kirche diskriminierend verhält und beispielsweise gegen Homosexuelle wettert", sagt Maron. Er wünsche sich eine Zusage der Kirche, dass sie Mitarbeitenden Konsequenzen aufzeigt, sollten sie queere Menschen abwerten. "Es gibt viele Bekenntnisse zu einer angstfreien Kirche, aber was das praktisch bedeutet, bleibt offen", meint er.

Diegler befürchtet, dass weitere Änderungen zu lange dauern. Für den Moment zählen für ihn jedoch die Erfolgserlebnisse: "Ein Priester schrieb mir, er habe die Lage queerer Menschen in der Kirche völlig falsch eingeschätzt und nicht gesehen, wie sehr sie an dem System zu knabbern haben."

Von Anna Fries (KNA)