Ist bei "Evangelii gaudium" das Verfallsdatum abgelaufen?
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Vor fast einem Jahrzehnt veröffentlichte Papst Franziskus sein erstes Apostolisches Schreiben: "Evangelii gaudium". In ihm gibt er Denkanstöße über den Zustand der Welt, der katholischen Kirche, über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Nicht angebracht sei es, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetze, die in ihren Gebieten auftauchten. Er spüre "die Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten" (EG 16). So lädt er in aller Offenheit zum Dialog ein. Eindringlich unterstreicht er die Bedeutung der Lai:innen: "Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit: die geweihten Amtsträger" (EG 102). Jedoch zeige sich das Bewusstsein über "die Verantwortung der Laien, die aus der Taufe und Firmung hervorgeht, (…) nicht überall in gleicher Weise" (ebd.). Ein Grund liege darin, dass sie "aufgrund eines übertriebenen Klerikalismus, der sie nicht in die Entscheidungen einbezieht, keinen Raum gefunden haben, um sich ausdrücken und handeln zu können" (ebd.). Eine treffende Analyse von kirchlichen Strukturen, die in keiner Weise dem Evangelium dienen.
Und je mehr das Ausmaß des Machtmissbrauchs durch die Minderheit ans Licht kommt, desto mehr verschärft sich diese Analyse! Letztlich die Denkanstöße des Papstes aufgreifend, macht sich die deutsche Kirche auf den Weg: Die örtlichen Bischöfe suchen gemeinsam mit der Mehrheit des Gottesvolkes nach Wegen einer glaubwürdigen Verkündigung des Evangeliums. Doch es stellt sich die Frage, ob bei "Evangelii gaudium" das Verfallsdatum abgelaufen ist. Von Sensibilität für das Problem des Klerikalismus und dem Bewusstsein über "die Verantwortung der Laien, die aus der Taufe und Firmung hervorgeht", ist nun keine Rede mehr. Dafür fallen abschätzige Äußerungen über diejenigen, die eine Bewertung der örtlichen Problemkreise vorgenommen und einen "Raum gefunden haben, um sich ausdrücken und handeln zu können". Das soll ein Mensch verstehen.
Die Autorin
Agnes Wuckelt ist emeritierte Professorin für Praktische Theologie und stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd).
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.