Warum ein Priesteramtskandidat eine Pause in Rom macht
Zugegeben: Wenn die Sonne langsam untergeht und die Kuppel des Petersdoms in ein zartrosafarbenes Licht taucht, entsteht immer eine besondere Stimmung in Rom. Und hier, von der Dachterrasse des Campo Santo Teutonico in direkter Nachbarschaft des Vatikan, lässt sich das Schauspiel besonders gut beobachten. Daniel Wowra hat gar nicht so sehr darauf geachtet, als er auf die Terrasse geführt hat. Er kennt den Anblick schon: "Es ist wie überall: Der Ausblick nutzt sich ab", sagt er und lacht. "Und im Petersdom bin ich selten – liegt wohl daran, dass ich direkt daneben wohne." Der 27-Jährige lebt seit Ende September für ein Jahr in der ewigen Stadt – und das nicht zum ersten Mal.
Dem gebürtigen Langenfelder hört man deutlich an, dass er aus dem Rheinland kommt. Schon bei der Begrüßung am Tor des Glaubensdikasteriums sticht der Singsang durch. Gepaart mit dem jungenhaften Lächeln und dem flotten Schritt bildet Wowra einen Gegenpol zum sonst eher steifen Auftritt anderer Vatikanbewohner. Dabei passt er ansonsten genau ins Bild: Er studiert Theologie in Bonn und ist auf bestem Weg, Priester für das Erzbistum Köln zu werden. Doch dieser Weg nimmt in Rom eine Abzweigung: Wowra macht hier eine Auszeit, weg von Priesterseminar und Weihe, mit Zeit zum Promovieren und für sich.
In den Jahren 2019 und 2020 war er schon einmal hier, damals noch für ein Auslandssemester. Für den Priesteramtskandidaten eine andere Welt. "Hier ist es international, hier laufen ganze Gruppen von Kandidaten in Soutane herum. Das gibt es in Köln nicht." Das Leben im Machtzentrum der Weltkirche, der Ballungsraum des Klerikalen – wenn er davon erzählt, klingt es nicht so, als wären diese Eindrücke erst vor ein paar Jahren entstanden. Es fühlt sich weiter entfernt an.
Corona als Scheideweg
Denn dazwischen liegt die Corona-Pandemie. "Damals habe ich in einer WG gewohnt – und war auf einmal mit meinem Mitbewohner allein ", erzählt er von seinem ersten Aufenthalt in Rom. Auf einmal wurde er inmitten der sonst pulsierenden Metropole auf sich selbst zurückgeworfen. "Ich war viel alleine zu Hause und hatte viel Zeit, über mich nachzudenken und über das, was ich schon länger im Hinterkopf hatte." Dort schlummert schon seit der Kindheit der Gedanke, Priester zu werden – mit all den Konsequenzen, die das mit sich bringt.
"In den Jahren, die ich im Seminar bin, habe ich immer wieder gute und enge Mitbrüder gehen sehen – vor allem wegen einer Freundin oder einem Freund." Dass die fehlende Partnerschaft ein Faktor ist, war ihm immer klar. Aber nun zeigt sie sich in seinem Alltag dadurch, dass manche Leute einfach nicht mehr da sind. "Da habe auch ich mir mehr und mehr die Frage gestellt: Kann ich so leben? Abends nach Hause kommen, ohne dass jemand fragt, wie mein Tag war? Kann ich so leben, ohne dass es mich krank macht?" Diese Fragen trägt er mit sich herum, in Rom und später auch wieder in Köln und an der Universität in Bonn. Wenn er darüber spricht, streift er mit dem Finger über die Tischkante oder fährt mit den Handflächen über die Oberschenkel. "Vielleicht ist es übertrieben, da von einer persönlichen Krise zu sprechen, aber es ist auch nicht einfach, über so etwas nachzudenken. Man muss ehrlich mit sich sein und darf solche Fragen nicht einfach abtun." Wer das Evangelium mal verkünden wolle, sollte mit sich im Reinen sein, ist Wowra überzeugt.
In dieser Situation fügt sich dann seine Zukunft ungeahnt schnell zusammen: Sein Professor fragt ihn, ob er sich für eine Promotion interessieren würde – vor der Priesterweihe. Drei Jahre. Kurz darauf spricht ihn sein Regens darauf an, ob eine Auszeit mal etwas für ihn wäre. Zum Beispiel nochmal in Rom – denn da kennt er sich ja aus und dort ist für einen Theologiestudenten nicht der schlechteste Ort. Der Regens hatte seine Zweifel wohl gerochen. Auf einmal ergibt sich eine Perspektive: Drei Jahre freigestellt, davon eins in Rom , danach zwar zurück nach Bonn, aber erstmal nicht zu rück ins Priesterseminar. Nur in Ruhe studieren, nachdenken, schreiben. Ein vielversprechender Gedanke.
Ein zweites Mal nach Rom
Es geht also wieder nach Italien, in die Stadt der Apostel, Römer und Päpste. Ein Umfeld mit Geschichte. Das spielt im Alltag aber kaum eine Rolle, sagt Wowra. "Da gehe ich an vielen Orten auch einfach vorbei. An jeder Ecke darüber nachdenken, was ich mit dieser Kirche verbinde – das ginge zeitlich und emotional überhaupt nicht." Doch es gibt sie, die besonderen Erinnerungsorte für ihn. Einer davon ist die deutsche Gemeinde in Rom in der Kirche Santa Maria dell'Anima. Dort wurden während des Corona-Lockdowns "Privatmessen" gefeiert, zu denen die Türen weit geöffnet wurden und die Menschen so daran teilhaben konnten. Darunter war auch Wowra. "Noch heute denke ich immer daran, wenn ich so manchen Altar in der Anima sehe. Das war damals eine intensive Zeit, generell und auch für mich persönlich. Da sind das sehr schöne, intensive Erinnerungen." Ansonsten sei es aber nicht so, dass Rom für ihn ein geistlicherer Ort sei als andere, wie etwa Köln.
Es habe sich eher, so beschreibt er es, eine gewisse Abgeklärtheit eingeschlichen. Der Klerikalismus, die Soutanen, das Um-sich-selbst-Kreisen der Theologie. "Ich nehme hier jetzt vieles Kritischer wahr", gibt er zu. Er erinnert sich etwa an ein Seminar, in dem von einer Schwäche Jesu die Rede war – und ein Kommilitone einwandte, Jesus könne doch keine Schwächen gehabt haben. Weltkirche ganz nah in gewisser Weise. "Es ist eine Blase, die mit dem Glaubensleben der normalen Menschen nicht immer viel zu tun hat." Das merkt er auch im Kontakt mit Nicht-Theologen, mit denen er zusammenwohnt – und die über völlig andere Dinge nachdenken als mögliche Schwächen des Gottessohnes. Rom fresse einen auf, wenn man sich darin verliere, sagt er. "Das ist alles nicht ganz echt hier." Deshalb ist er froh, dass er durch wachsende soziale Kontakte auch immer mehr Menschen trifft, mit denen er sich über "normale Themen" austauschen kann.
Auch Wowra hat sich ein Orchideenthema ausgesucht: Für die Promotion beschäftigt er sich mit Heilungsgeschichten im Markusevangelium – und was die geheilten Menschen selbst damit zu tun haben. Ein weitläufiger Themenkomplex, den Wowra aber nicht überhöhen will. Er sei kein Frömmler sagt er, vielleicht sogar etwas zu rational. "Da fasziniert mich auch manchmal dieser emotionale und feste Glaube, den manche hier haben."
Viel Raum für das Studium
Das Studium nimmt viel Raum ein im Leben von Daniel Wowra. Bleibt da noch Zeit für Persönliches, Spirituelles? "Ich hoffe schon. Ich hoffe, dass es kein Weglaufen vor unangenehmen Gedanken ist." Er möchte sein Jahr in Rom nutzen, um die Bibel einmal komplett durchzulesen, Tag für Tag. Nicht immer ein erhebendes Unterfangen, gerade im Alten Testament herrscht viel Mord und Totschlag. "Aber damit ist es ja nur ein Abbild der Welt", gibt er zu bedenken. "Und das nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, sondern jeden Tag."
Trotz der Pause in Rom: Wowra ist weiter offiziell Priesteramtskandidat – aus Überzeugung. "Ich bin weiter der Meinung, dass das der richtige Weg für mich ist und ich möchte diesen Weg weiter als Priesteramtskandidat gehen – weil ich geweiht werden möchte." Ob er am Ende wirklich einmal auf dem Teppich vor einem Bischof liegen wird und das Sakrament empfängt? Wer weiß das schon – er selbst auch nicht. "Natürlich würde ich das als eine Art Scheitern begreifen, auch wenn es das eigentlich nicht ist. Ich versuche, offen zu sein", sagt er.
Die Kuppel des Petersdoms präsentiert sich mittlerweile vor schwarzem Nachthimmel, die Touristen sind aus dem Umfeld des Vatikan abgewandert, die Stadt ist zur Ruhe gekommen – soweit das in Rom möglich ist. Daniel Wowra lächelt zum Abschied noch einmal. Er wirkt gelöst. "Ich nehme mir hier die Zeit, die ich brauche." Während der Besuch geht, zieht er sich in sein Zimmer mit Petersdomblick zurück. Auch bei Nacht denkt es sich hier anders, wenn nicht sogar besonders.