Delegierter über Weltsynoden-Treffen: Habe mich verletzt gefühlt
Den "Wind der Synodalität" hat Hendrik Johannemann in der virtuellen Arbeitsgruppe der europäischen Etappe des weltweiten synodalen Prozesses gespürt. Im katholisch.de-Interview spricht er über verletzende Predigten, den Synodalen Weg in Deutschland und seine Hoffnungen für die Bischofssynode in Rom.
Frage: Herr Johannemann, wie lautet Ihr Fazit nach fünf Tagen Kontinentaltreffen in Prag?
Johannemann: Mein Fazit beinhaltet Licht, aber auch sehr viel Schatten. Ich halte das Dokument, das gestern vorgelesen wurde, an vielen Stellen durchaus für gut. Ich habe mitgezählt: Die Rechte queerer Menschen in der katholischen Kirche wurden fünfmal in verschiedenen Kontexten erwähnt. Auch die Frauenfrage wird thematisiert, darüber bin ich froh. Gleichzeitig sind in diesen fünf Tagen auch viele furchtbare Dinge geschehen, wo sich Menschen – mich inbegriffen – ausgeschlossen gefühlt haben und verletzt wurden.
Frage: Inwiefern?
Johannemann: Der schlimmste Moment war für mich die Predigt von Kardinal Marc Ouellet am Dienstagmorgen, in der er in Bezug auf den Schöpfungsbericht von Mann und Frau gepredigt hat und darlegte, dass nur Mann und Frau eine Ehe eingehen könnten. Alle anderen, die dem nicht zustimmen, oder die dieser Lehre nicht entsprechen "wollen", wären demnach egoistisch und Sünder. Für mich ist in diesem Moment Synodalität gescheitert. Ich habe mich als schwuler Mann in der katholischen Kirche mal wieder extrem ausgeschlossen gefühlt und auch überlegt, wie und ob ich jetzt weitermachen kann. Ich habe dann tatsächlich aus Selbstschutz die Übertragung beendet, weil ich es nicht mehr ertragen hätte, weiter an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Und wenn Menschen auf diese Weise daran gehindert werden, an einem der wichtigsten Teile unseres Glaubenslebens teilzunehmen, ist das schon sehr schade.
Frage: Wie haben Sie die Organisation erlebt?
Johannemann: Ich habe als Online-Teilnehmer an diesem Treffen im Vorfeld keinen Link für die Arbeitsgruppe bekommen, in der ich mich eigentlich mit Menschen aus ganz Europa austauschen sollte. So ging es vielen in der deutschen Delegation und auch aus ganz Europa. Da frage ich mich, wie kann es sein, dass der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen es nicht hinbekommt, allen Onlinedelegierten einen Link zukommen zu lassen? Viele Leute konnten dadurch nicht mitdiskutieren, was zu großer Frustration geführt hat. Ich hatte das Glück, dass ein Mitglied aus der deutschen Delegation ihren Link geteilt hat, sodass ich doch noch an einer Arbeitsgruppe teilnehmen und meine Erfahrungen und Vorstellungen von Synodalität teilen konnte.
Frage: Wie war denn die Arbeit in dieser Gruppe?
Johannemann: Für mich hat in dieser Arbeitsgruppe wirklich der Wind der Synodalität geweht. Wir haben wahrhaftig miteinander gesprochen und einander zugehört. Unterschiedliche Positionen kamen zur Sprache und am Ende stand ein Konsens, der dann auch präsentiert wurde. Papst Franziskus hat betont, dass in diesem synodalen Prozess der Schrei der Ausgestoßenen und Verletzten gehört werden muss. Dort in der Gruppe konnte ich mich frei äußern. Im Plenum habe ich aber keine Stimme von offen queeren Menschen oder Opfern sexualisierter Gewalt gehört. Es ist ein großes Problem, wenn nur auf der Metaebene über die Menschen gesprochen wird und nicht mit ihnen.
Frage: Am Donnerstag wurde der Entwurf für das Abschlussdokument im Plenum vorgelesen. Finden Sie darin die Positionen und Stimmen dieser Menschen, die in der katholischen Kirche ausgegrenzt werden?
Johannemann: Ich sehe schon, dass die Themen aufgegriffen wurden, allerdings nicht in letzter Konsequenz. Es ist mir alles ein bisschen zu wohlig und unkonkret. Das, was wir in der Arbeitsgruppe sehr konkret besprochen haben, finde ich in diesem Dokument nicht wieder, auch wenn die Themen angesprochen werden.
Frage: Sie sind Berater im Sexualmoral-Forum des Synodalen Wegs in Deutschland. Inwiefern kamen die Themen, die dort besprochen werden, nun auch in Prag vor?
Johannemann: Die Sexuallehre der katholischen Kirche war bei uns in der Arbeitsgruppe auf jeden Fall ein Thema und wurde auch problematisiert. Ich glaube aber, dass es insgesamt bei diesem Kontinentaltreffen ein großes Anliegen und vielleicht sogar eine versteckte Agenda war, dass man dieses Thema eher verdrängen wollte, was man auch in dem, was vorgelesen wurde, erkennen konnte. Das ist in keiner Weise vergleichbar mit der Tiefe, mit der wir im Synodalforum IV über dieses Thema sprechen und auch Problemanzeigen und Lösungsvorschläge vorgebracht haben.
Frage: Wie wurde denn in den Gesprächen in Prag grundsätzlich auf den Synodalen Weg geblickt?
Johannemann: Der deutsche Synodale Weg schwang unterschwellig oft mit und ich habe auch Angst aus anderen Ländern wahrgenommen. Umgekehrt habe ich aber auch wahrgenommen, dass wir in Deutschland keineswegs einen Sonderweg gehen. Aus vielen anderen Delegationen wurden sehr ähnliche Themen genannt. Meine Hoffnung ist, dass in Rom erkannt wird, dass diese Themen uns alle betreffen.
Deutsche Delegation: Abschlusstext ohne Lösung für Fragen der Kirche
Der erste Teil der Kontinentalversammlung ist abgeschlossen – und die deutsche Delegation zieht ihr Fazit. Man habe zwar viele Erkenntnisse sammeln können über die Lage in anderen Ortskirchen, die Methodik stoße aber an Grenzen. Und auch das vorläufige Abschlussdokument bewertet man verhalten.
Frage: Haben die Teilnehmenden in Ihrer Arbeitsgruppe die Thesen des Synodalen Wegs geteilt oder gab es große Kontroversen?
Johannemann: Es gab durchaus auch Kontroversen, aber wir haben sehr gut aufeinander geachtet, würde ich sagen. Der Konsens war, dass alle Menschen in unserer Kirche einen Platz haben sollten und verletzungsfrei und ohne Diskriminierung ihren Glauben leben können sollten. Das ist überhaupt die Grundvoraussetzung für eine wahrhaft synodale Teilhabe und Gemeinschaft in unserer Kirche.
Frage: Das Schlussdokument ist bislang nur ein Entwurf. Inwiefern haben Sie denn jetzt die Möglichkeit, als Online-Teilnehmer Ergänzungen und Anmerkungen vorzunehmen?
Johannemann: Auch das ist relativ intransparent. Uns ist nicht klar, inwieweit wir jetzt überhaupt noch eingreifen dürfen und ob das überhaupt Gehör finden würde. In den nächsten Tagen werden sich die Bischofskonferenzvorsitzenden noch einmal in Prag zusammensetzen. Da werden wir Bischof Georg Bätzing noch einmal die Punkte mitgeben, von denen wir sagen, dass sie auf keinen Fall aus dem Dokument verschwinden dürfen.
Frage: Wie bewerten Sie denn dieses Vorgehen, dass jetzt ein Dokument entsteht, bei dem nicht klar ist, wie sie noch daran mitwirken können und dass sich jetzt noch einmal die Bischöfe gesondert treffen, um an einem eigenen Dokument oder einem begleitenden Kommentar zu arbeiten?
Johannemann: Das finde ich nicht sehr synodal. Es war ein schweres Stück Arbeit, aber wir haben in den vergangenen Tagen insgesamt gut zusammengearbeitet, auch wenn es zu Verletzungen kam. Dass sich jetzt noch einmal separat die Bischöfe zusammensetzen ist schon ein Zeichen, dass der Klerikalismus in unserer Kirche längst nicht überwunden wurde. Und wenn auf dem Podium mit Ausnahme von Beate Gilles eigentlich nur Priester und Bischöfe sitzen, ist das ebenfalls kein gutes Zeichen für die Vielfalt, die wir in unserer Kirche eigentlich haben.
Frage: Nach der kontinentalen Phase geht es nun weiter mit den Bischofssynoden im Herbst 2023 und im Herbst 2024. Was erwarten Sie von diesen Treffen?
Johannemann: Nach meinen Erfahrungen aus dem Treffen in Prag sind meine Hoffnungen nicht so groß, dass bei dieser Synode über Synodalität wirklich der große Wurf herauskommt. Mit diesem Dokument der Kontinentaletappe sind wir nicht viel weiter, als wir vorher waren. Ich frage mich, ob es in Rom nicht ähnlich laufen wird wie in Prag, dass nämlich viele Allgemeinplätze und wenig Konkretes genannt werden, dass wir nicht ins Handeln kommen. Die wahren Probleme, die unsere Kirche hat in diesen Zeiten – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und der ganzen Welt – wie etwa sexualisierte Gewalt, der Umgang mit queeren Menschen oder die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen, werden nicht ernsthaft angegangen. Meine Befürchtung ist, dass diese Themen ähnlich verwässert werden, wie es auch hier in Prag zum Teil geschehen ist.