Warum die Kirchensteuer weiterhin notwendig ist
Die Zahl der Kirchenaustritte hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Im Jahr 2020 haben 221.390 Menschen die Katholische Kirche verlassen, im Jahr 2021 waren es nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz schon 359.338 Menschen, die sich auch formal aus der Kirche verabschiedet haben. Die neuesten Trendmeldungen lassen erahnen, dass sich im Jahr 2022 die Zahl der aus der Katholischen Kirche ausgetretenen Menschen nochmals deutlich erhöht hat. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland meldet für die zurückliegenden Jahre einen deutlichen Anstieg der Kirchenaustritte. Die Gründe sind vielfältig. Vorwiegend dürften die Fragen rund um den Missbrauch in der Kirche und der Umgang damit bei vielen Menschen den Entschluss gestärkt haben, nunmehr der Kirche den Rücken zu kehren. Eine traurige Tendenz ohne erkennbaren Ansatz für eine kurz- oder mittelfristige Trendumkehr.
Dieser Exodus lässt erwarten, dass sich auch die den Kirchen zur Verfügung stehenden Finanzmittel reduzieren werden, und zwar durchaus in einem deutlichen Rahmen. Die Kirchen in der Bundesrepublik erheben zur Bestreitung ihrer Aufgaben und der damit verbundenen Kosten bekanntlich von ihren Mitgliedern eine Kirchensteuer. Die Berechtigung der Kirchen (soweit sie Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind) zur Erhebung der Kirchensteuer ist schon in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 verankert; diese Bestimmung wurde dann 1949 in Art. 140 des Grundgesetztes übernommen. Alle Bundesländer regeln in eigenen Kirchensteuergesetzen Näheres zum Verfahren. Die Kirchensteuer wird, soweit eine Person in einem Arbeitsverhältnis steht, vom jeweiligen Arbeitgeber einbehalten und gemeinsam mit der Lohnsteuer an das Finanzamt weitergeleitet. Die Finanzämter ihrerseits überweisen die eingezogenen Kirchensteuern dann an die Kirchen, also die Bistümer und Landeskirchen. Für diese Einziehung erhalten die Bundesländer eine Verwaltungsgebühr in unterschiedlicher Höhe (zwischen 2,5 % und 4,0%). Kirchenangehörige, die kein Arbeitseinkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis haben, gleichwohl aber einkommensteuerpflichtige Einkünfte verzeichnen, werden im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nach den genannten Kriterien auch zur Kirchensteuer herangezogen.
Dies mag verdeutlichen, dass die Kirchen nicht etwa "vom Staat" Steuern erhalten, sondern dass der Staat nur eine "Amtshilfe" für die Kirchen leistet, die auch gesondert (gut) vergütet wird. Diese staatliche Einziehung erspart den Kirchen die Notwendigkeit, eigene Finanzverwaltungen aufzubauen, die sich mit der Erhebung und Einziehung der Kirchensteuern beschäftigen müssen. Dies würde bei den Kirchen Kosten verursachen, die deutlich über der an die Länder gezahlten Hebegebühr liegen dürften. Das bezeichnet man wohl landläufig als "win-win-Situation". Eine Abhängigkeit von Staat und Kirche kann man aus der Einziehungstätigkeit sicher nicht herleiten. Konkret wird die Kirchensteuer als Zuschlag in Höhe von 8 Prozent (in Bayern und Baden-Württemberg) bzw. 9 Prozent (alle anderen Bundesländer) der Einkommensteuer erhoben. Diese Anknüpfung an die Einkommensteuer hat einen unschätzbaren Vorteil: die Kirchensteuer ist an sich "gerecht", weil sie anknüpft an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kirchenmitgliedes. Wer viel verdient, der zahlt eine höhere Einkommensteuer als derjenige, der weniger verdient. Da die Kirchensteuer wie dargestellt als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben wird, verändert sich die Höhe der Kirchensteuer.
Kirchensteuer wichtigste Stütze des Budgets
Regelmäßig liegt der Anteil der Kirchensteuern bei den Bistümern in etwa bei 80 Prozent der Gesamteinnahmen. Dieses Faktum verdeutlicht, dass jeder einzelne Kirchenaustritt die Kirchen in ihrer finanziellen – und damit auch in ihrer inhaltlichen – Handlungsfähigkeit beeinträchtigt, und zwar nachhaltig. Es ist ja realistischerweise nicht zu erwarten, dass Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, ihre Kinder taufen lassen. So setzt sich der Kirchenaustritt "schleichend" fort – mit nachhaltigen Auswirkungen.
Die Kirchen müssen sich also mit erhöhter Intensität um die Absicherung ihrer Finanzen kümmern, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, dass sie die als von ihnen wichtig identifizierten Aufgaben künftig nicht mehr, zumindest nicht mehr im bisherigen Umfang wahrnehmen können.
In erster Linie nehmen die Kirchen natürlich ihre pastorale Arbeit in der Gesamtbreite wahr, also vordringlich in den Kirchengemeinden und in klassischen kirchlichen Einrichtungen und Aufgabengebieten, zum Beispiel in der (kirchlichen) Bildung, der pastoralen und sozialen Arbeit in Kindertagesstätten, Schulen und Altenheimen. Kirchen gestalten, das darf sicher festgestellt werden, das gesellschaftliche und kulturelle Leben in erheblichem Maße mit. Das Betreiben von Schulen und Kindertagesstätten, aber auch von Beratungsstellen, Krankenhäusern und Altenpflegeheimen ist wohl zuerst eine Pflichtaufgabe des Staates, also von Bund, Ländern und Kommunen. Die Kirchen engagieren sich in diesen Bereichen aber in relevantem Umfang. Dafür erhalten sie von Bund, Ländern und Kommunen Kostenbeiträge, die aber die Gesamtkosten im Regelfall nicht abdecken, so dass aus kirchlichen Finanzmitteln ein erheblicher Finanzbeitrag zu leisten ist.
Staat erkennt Relevanz kirchlichen Handelns an
Nebenbei bemerkt: Der Staat erkennt das Bemühen der Kirchen um die Mitgestaltung dieser Bereiche und die Notwendigkeit der Mitfinanzierung aus Kirchensteuermitteln an und hat deshalb für die Kirchensteuerzahler eine Erleichterung dadurch geschaffen, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe bei der Einkommensteuer absetzbar ist. Der Staat erkennt also die Relevanz, ja die Notwendigkeit des kirchlichen Einsatzes in den genannten Arbeitsfeldern an.
Die durchaus beklagenswerte derzeitige Situation bei der steigenden Anzahl der Kirchenaustritte verlangt also von allen in der Kirche Verantwortung tragenden Menschen, nach tragfähigen, praktikablen und sicheren Wegen zu suchen, die Einnahmesituation der Kirchen abzusichern, damit die von den Kirchen als wichtig benannten Aufgaben auch künftig in bisherigen Umfang und in bisheriger Qualität wahrgenommen werden können. Finanzverantwortung in diesem Sinne tragen aber nicht nur "die Bischöfe" oder "ihre Verwaltungen", wenngleich von diesen natürlich Ideen und Vorschläge erwartet werden, nicht nur – aber auch – im Sinne von aufzulegenden Zukunfts- und Sparpogrammen. Hier sind auch die gut installierten Beratungsgremien der Bistümer wie zum Beispiel die Kirchensteuerräte und Diözesanpastoralräte um Mitberatung und gebeten. Die Verwaltungen erarbeiten Haushaltspläne, die nach Beratung und Beschlussfassung zum Beispiel im Kirchensteuerrat dem Bischof zur Inkraftsetzung vorgelegt werden.
Bei der Entwicklung notwendiger Konzepte sollte es keine "Denkverbote" geben. Wichtig scheint aber zu sein, dass realistische Alternativ- oder besser Ergänzungssysteme erarbeitet werden.
Das Kirchensteuersystem hat zunächst den unschätzbaren Vorteil, dass auf der Grundlage bisheriger Zahlungsströme aus Kirchensteuern, freilich unter Beachtung erwartbarer Rückgänge wegen der Kirchenaustritte, eine Einnahmekalkulation einigermaßen stabil möglich ist. Neben diesem etablierten Kirchensteuersystem werden immer wieder alternative Finanzierungssysteme diskutiert. Das ist gut, notwendig und richtig, bedarf aber einer näheren Betrachtung.
"Italienisches Modell" gibt keine ausreichende Planungssicherheit
Das sogenannte "Italienische Modell" der Kultussteuer wird immer wieder gerne ins Spiel gebracht. In Italien müssen Bürger einen Anteil ihrer Steuerschuld entweder der Kirche, kulturellen oder humanitären Zwecken zukommen lassen. Der Steuerzahler kann das frei bestimmen und die Verteilung wird alle drei Jahre vom Staat neu festgesetzt. Das gibt keine ausreichende Planungssicherheit.
In Österreich wird ein sogenannter Kirchenbeitrag von den Kirchenmitgliedern erhoben, ähnlich der Kirchensteuer in Deutschland. Allerdings wird der Kirchenbeitrag nicht vom Staat eingezogen, sondern von den Kirchen direkt. Zahlt ein Kirchenmitglied nicht, dann muss der Beitrag gegebenenfalls eingeklagt werden.
In England besteht nach wie vor ein sehr enges Verhältnis von Staat und Kirche, was unter anderem dadurch zum Ausdruck kommt, dass der König/die Königin weltliches Oberhaupt der Anglikanischen Kirche ist. Die Kirche wurde, anders als zum Beispiel in Deutschland, nie enteignet, kann deshalb auch aus den Vermögenserträgen und Spenden/Kollekten leben.
Spendensystem in Deutschland nicht eingeübt
In den USA ist die Erhebung von Kirchensteuern verboten. Die dortige Kirche finanziert sich zu mehr als 50 Prozent aus Spenden, Fundraisingkampagnen und durch Sponsoren, was deutliche Abhängigkeiten schaffen kann. Die Kirche erhält weitere Mittel aus Erträgen ihres eigenen, teilweise großen Vermögens.
Eine reine Finanzierung kirchlicher Arbeit durch ein Spendensystem erscheint für die deutschen Bistümer und Landeskirchen völlig unrealistisch, wenn das bisherige Aufgabenspektrum dauerhaft weiterhin wahrgenommen werden soll. Das durch Spenden alljährlich aufzubringende Finanzvolumen wäre gewaltig. Das wird sicher deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in den vergangenen Jahren in den Bistümern in Deutschland insgesamt jährlich ein Kirchensteueraufkommen in Höhe von zum Teil deutlich über 6 Milliarden Euro die Finanzierung der kirchlichen Arbeit gesichert hat. Die Evangelischen Landeskirchen hatten ein geringeres Aufkommen zur Verfügung.
Das dargestellte Gesamtaufkommen an Kirchensteuer ist sicher auch nicht allein über Sponsoring- oder Fundraisingaktionen aufzubringen. Derartige Aktionen sind in Deutschland nicht eingeübt. Erfahrungen zeigen, dass man für einzelne Aktivitäten vor Ort durchaus in überschaubarem Umfang Gelder "einsammeln" kann. Große gemeinsame Sammelaktionen/Kollekten, die keine Ortsnähe aufweisen, sind leider oft nicht vom erhofften Erfolg gekrönt. Spenden und Fundraising sind aber durchaus Finanzierungswege, die man langsam und beharrlich auf- und ausbauen sollte, da sie geeignet erscheinen, in einem gewissen Umfang komplementäre Mittel seriös zu beschaffen. Wichtig scheint dabei aber zu sein, dass die Unabhängigkeit gewahrt bleibt, also keine inhaltlichen Vorgaben zur kirchlichen Arbeit von Seiten der Spender/Zuwender gemacht werden.
Berechtigte Skepsis gegenüber "Anreizsystemen"
Auch die gelegentlich diskutierte Schaffung von "Anreizsystemen" begegnet einer gewissen (berechtigten) Skepsis: Überlegt wird zum Beispiel gelegentlich, einzelne Gemeinden bei den Zuweisungen durch das Bistum besser zu bedenken, wenn die Anzahl der Taufen, Erstkommunionen, Eheschließungen oder ähnlichem über einer Durchschnittzahl vergleichbarer anderer Gemeinden liegt. Hier "Belohnungseffekte" vorzusehen, das ist mit pastoralen Ansätzen kaum zu vereinbaren. Ein solches Gebaren erscheint eher abstoßend und vom Wettbewerbsgedanken getrieben.
Insgesamt wird wohl erkennbar, dass es zum derzeitigen Kirchensteuersystem in Deutschland keine ernsthafte Alternative gibt, da es für die Kirchensteuerzahler (wegen der Anknüpfung an die eigene wirtschaftliche Kraft) gerecht ist und in weiten Zügen für die Kirchen eine einigermaßen stabile Kalkulierbarkeit bietet. Gleichwohl muss mit Nachdruck darüber nachgedacht und daran gearbeitet werden, wie einerseits weitere Einnahmequellen seriös erschlossen und dauerhaft gesichert werden können, wie aber andererseits auch Einsparungen vorgenommen werden können, ohne die bisherige gute Arbeit der Kirchen insgesamt zu gefährden. Dazu mögen auch Angebotsreduzierungen im Einzelfall beitragen – gut sind diese dann, wenn "das Ganze", also die Arbeit der Kirchen insgesamt, gesichert werden kann.