Gottesdienstform geriet nach Liturgiereform fast in Vergessenheit

Stationsliturgie: Darum ging der Papst vorm Konzil öfter vor die Tür

Veröffentlicht am 24.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils verschwanden Stationsgottesdienste aus den liturgischen Büchern. In Rom wird die traditionelle Stationsliturgie jedoch noch heute gepflegt – und auch in Deutschland gibt es Überreste von ihr. Eine Annäherung an eine besondere Liturgieform.

  • Teilen:

Der Papst hoch zu Ross, umgeben von seinen Vertrauten. Um ihn herum die Kleriker Roms. Im Gepäck: Liturgisches Gerät für den Gottesdienst. Das Evangelienbuch trägt der Archidiakon, das Epistelbuch ein Subdiakon. Ringsherum erklingen Psalmen. Die Menge stimmt in die Allerheiligenlitanei ein. Immer wieder werden Gläubige zum Papst gelassen, um ihm ihre Anliegen vorzutragen. Dann kommt die Prozession zum Stehen. Weihrauch liegt in der Luft. Der Papst steigt vom Pferd und betritt die Basilika. Es folgen feierliche Einkleidung und Messfeier – so beschreiben Augenzeugen des 8. Jahrhunderts den Beginn der römischen Stationsliturgie, einer besonderen Gottesdienstform in Rom.

Diese eindrucksvolle Prozessions-Liturgie zog seit dem vierten Jahrhundert zu verschiedenen Kirchen in Rom. Sie fand in der Advents- und Weihnachts-, sowie in der Fasten- und Osterzeit statt. Noch bis zur Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils erinnerten Messbuch-Überschriften mit Kirchennamen über den jeweiligen Texten an die Stationen. Dabei war die stadtrömische Stationsliturgie schon vor Jahrhunderten teilweise in Vergessenheit geraten. Nicht zuletzt das Exil der Päpste in Avignon (14. Jahrhundert) führte zum Versiegen der Tradition. Erst im Jahr 1879 lebte sie – wenn auch weniger pompös - wieder auf. Damals wurde am römischen Campo Santo Teutonico das Collegium Cultorum Martyrum gegründet, das seitdem die Tradition der Stationsliturgien in der Fasten- und Osterzeit in Rom pflegt. Die Vereinigung veröffentlicht dazu jährlich eine Übersicht der Stationsgottesdienste und -kirchen in Rom. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil waren es im Jahr 101 solcher Gottesdienste in 45 Kirchen.

Zu Beginn der Feier versammelt sich die Gemeinde auch heute noch in einem vorher angegebenen Gotteshaus (Collectakirche) unweit der eigentlichen Stationskirche und zieht dann gemeinsam zum Gottesdienstort. Wie früher ist es üblich die jeweilige Kirche festlich zu schmücken und ihren Reliquienschatz auszustellen. Ein Schild an der Tür verrät den Besuchern wann und wo die nächste Feier stattfindet.

Päpste nehmen heute allerdings nur noch selten an den Stationsgottesdiensten teil. Wer aber an Aschermittwoch in Rom ist, hat nicht nur bei der wöchentlichen Mittwochsaudienz die Möglichkeit den Papst zu sehen, sondern auch bei der Stationsmesse auf dem Aventin. Auch der römische Gründonnerstagsgottesdienst in der Lateranbasilika ist historisch gesehen ein Stationsgottesdienst, jedoch feierte Papst Franziskus, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, diese Liturgie in den vergangenen Jahren in Gefängnissen und anderen Orten unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Inszenierte Verbindung von römischen Bischof und Rom

Die ursprüngliche Intention der Stationsliturgie war es allerdings, mit der Anwesenheit von Papst und Klerus die Verbindung zur Stadt zu inszenieren. Zu früheren Zeiten spielte daher das sogenannte fermentum eine wichtige Rolle. Dabei handelte es sich um eucharistisches Brot der vorhergehenden Stationsliturgie, das von Diakonen aufbewahrt und zur nächsten Liturgie mitgenommen wurde. Zu Beginn der Messfeier wurde dem Papst ein Gefäß mit diesem Brot gebracht und er entschied, wieviel davon während der Feier in den Kelch mit Wein zu geben ist. Kurz vor der Kommunion wurde dann wiederum etwas von dem in dieser Eucharistiefeier konsekriertem Brot für den nächsten Tag beiseitegelegt und ein anderer Teil in die römischen Bezirke gebracht. Dort gaben die Presbyter einen Teil davon ebenfalls in ihre Kelche. So inszenierte man die Gottesdienstgemeinschaft über Stadtteilgrenzen und Tage hinweg.

Die Stationsliturgie geht auf Bräuche in Jerusalem zurück. Dort feierten die Christen an den Orten Gottesdienst, an denen Jesus der Tradition gemäß gelebt haben, gestorben und auferstanden sein soll. Die Christen versuchten, an Festtagen ihren Gottesdienst möglichst nah an den Orten zu feiern, die mit dem jeweiligen Tag zusammenhingen. So ließ Kaiser Konstantin Kirchen in Jerusalem und Bethlehem über den Erinnerungsorten von Geburt, Tod und Auferstehung Christi errichten. In Rom versuchte man die Stätten des Heiligen Landes nachzubauen. Auch hieran war Konstantin maßgeblich beteiligt. An Golgotha erinnerte in Rom die Kirche Santa Croce, als römische Grabeskirche bezeichnete man Sant'Anastasia am Palatin und Santa Maria Maggiore war wegen ihrer Krippenreliquie das römische Pendant zur Geburtskirche in Betlehem. Reliquien wie die Tischplatte des Letzten Abendmahles (Lateran) oder die Kreuzigungsreliquien (Santa Croce) verstärkten die jeweilige Bedeutung des Ortes. Diesen Aspekt betonte Gregor der Große, als er die Stationsliturgie ordnete und die Verehrung der Heiligen und Märytrer in ihrer jeweiligen Kirche hervorhob.

Kirche Santa Croce in Gerusalemme
Bild: ©picture alliance/dpa/Lars Halbauer

In der Kirche Santa Croce in Gerusalemme in Rom werden Kreuzesreliquien aufbewahrt. Daher ist sie die traditionelle Stationskirche an Karfreitag.

Im Laufe der Jahrhunderte versuchten auch andere Städte das liturgische Jerusalem und die römische Liturgie zu übernehmen. So lassen sich beispielsweise für Köln und Fulda entsprechende Parallelen aufzeigen. Der Kölner Erzbischof feierte etwa die Christmette in der Klosterkirche Maria im Capitol, die baulich an die Geburtskirche in Betlehem angelehnt ist. Aber auch diese Bräuche sind mit der Zeit in Vergessenheit geraten.

Während man für diese Art der Stationsfeier mehrere Kirchorte mit unterschiedlichen Erinnerungsfunktionen brauchte, gab es auch den Versuch verschiedene Orte innerhalb einer Kirche zu Erinnerungsorten zu machen. In diesem Fall spricht man von Prozessionskirchen. Ihre Altäre haben verschiedene Patrozinien, die an wichtige Ereignisse und Heilige erinnern. So existieren in manchen Kirchen ein Kreuzaltar, ein Marienaltar, ein Petrus- oder Apostelaltar und ein Altar der Stadtpatrone. Diesen Altären sind oft Feste des Kirchenjahres zugeordnet. Je nach liturgischem Fest wurde und wird der Gottesdienst an einem anderen Altar gefeiert. Manche Altäre entsprechen sogar römischen Kirchen, sodass man die römischen Erinnerungsorte und ihre Liturgie auf kleinstem Raum nachvollziehen kann. Glaube und Tradition werden so räumlich erfahrbar.  

Mit Palmsonntagsprozessionen knüpfen viele Gemeinden an die Tradition der Stationsliturgien an. Schließlich beginnt auch hier der Gottesdienst an einem anderen Ort als er endet. Zudem empfiehlt das "Zeremoniale für die Bischöfe" für die Fastenzeit, Stationsgottesdienste in den Bischofsstädten zu feiern. Die Gemeinde versammelt sich dann an einem Ausgangsort, der Bischof spricht ein Gebet, anschließend legt er Weihrauch ein und die Prozession zieht zum Gottesdienstort. Auch wenn der Bischof nicht mehr hoch zu Ross durch seine Stadt reitet, schließt sich hier der Kreis zur römischen Stationsliturgie.

Von Benedikt Heider