Im Vatikan herrsche "Kopfschütteln über die Deutschen"

Kardinal Kasper: Synodaler Weg wird sich nicht durchsetzen

Veröffentlicht am 05.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Ludwig Ring-Eifel (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Heute feiert Kardinal Kasper seinen 90. Geburtstag. Er war Professor und Bischof in Deutschland. Dann ging es für ihn in den Vatikan. Dort herrsche Kopfschütteln über die Deutschen, berichtet er im Interview. Als Kenner beider Welten versuche er, seinen Kardinalskollegen "manches zu erklären".

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Am Sonntag (5. März) wird Kardinal Walter Kasper 90 Jahre alt. Auch im Ruhestand gehört er zu den einflussreichen Deutschen im Vatikan. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) analysiert er die Lage dort und die Entwicklung in Deutschland. 

Frage: Herr Kardinal, wenn Sie auf 90 Lebensjahre zurückschauen, was bewegt Sie besonders? 

Kasper: Vor allem Dankbarkeit. Dafür, dass ich noch relativ gesund bin, dass ich noch alles alleine machen kann, das ist ja nicht selbstverständlich in diesem Alter. Und für all das, was ich erleben durfte in diesen Jahren. 

Frage: Zu diesen Erlebnissen gehörte auch die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils vor nunmehr 60 Jahren. Woran erinnern Sie sich? 

Kasper: Es war eine Zeit des Aufbruchs! Es war eine pure Überraschung, als wir in den Nachrichten hörten, dass Johannes XXIII. ein ökumenisches Konzil angekündigt hatte. Ich war damals an der Uni Tübingen, wo ich promovierte und mich später habilitierte. Das Konzil hat zu einem großen Enthusiasmus geführt, das war auch für mich eine große Zeit. Es hat sich so vieles verändert. Wer behauptet, die Kirche sei nicht reformierbar, der sollte sich diesen tiefen Wandel vor Augen halten! Ich habe ihn erlebt. Damals war man gerne katholisch, Türen gingen auf. Plötzlich konnten katholische und evangelische Theologen sich treffen und miteinander diskutieren, sowas gab es vorher nicht. Das haben wir dann in Tübingen sehr gepflegt, einmal im Monat trafen wir uns, Küng, Moltmann, Jüngel und ich, erst zum Essen, und dann wurde Wein getrunken und intensiv diskutiert bis nach Mitternacht. Das war eine großartige Zeit. 

Frage: Was Sie aber nicht hinderte, sich später für den Ausschluss Küngs aus der Theologischen Fakultät auszusprechen. 

Kapser: Das waren die schwierigsten Wochen in meiner akademischen Laufbahn. Ich war ihm kollegial verbunden und hatte viel von ihm gelernt. Aber dann war ich an entscheidenden Punkten nicht seiner Meinung. Vor dem Entzug der Lehrerlaubnis war die Fakultät gespalten, die einen protestierten dagegen, die anderen hielten es inhaltlich für berechtigt. Zu denen gehörte auch ich. Entschieden haben das aber andere. Was mir vor allem missfiel, war, wie Küng taktierte und öffentlich polemisierte, er war halt ein Schweizer Dickkopf. 

Frage: Zurück zum Konzil: 60 Jahre danach scheint es, dass wichtige Fragen, die heute aktuell sind, damals noch nicht behandelt wurden. 

Kasper: Es wurden sehr wichtige Fragen behandelt, aber natürlich nicht alle. Zum Beispiel hat das Konzil das Zusammenspiel zwischen Bischöfen und Papst, aber auch zwischen Laien und Klerikern, auf neue theologische Grundlagen gestellt. Aber wie das genau funktionieren soll, das hat es nicht geklärt. Und das will jetzt Papst Franziskus mit der Synode zur Synodalität klären. Übrigens ist das eigentlich eine sehr konservative Reform, denn Synoden gehörten von Anfang an zum Leben der Kirche. Nach dem Mittelalter ist das dann etwas untergegangen, und nun wird es auf neue Weise belebt. Übrigens hatten auch früher schon Laien, etwa die Fürsten, einen großen Einfluss bei Synoden.

Synodalität: Papst, Bischöfe und die Entscheidungskompetenz

Für Papst Franziskus ist Synodalität "das, was Gott von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet". Und das sorgt für einigen Wirbel. Nicht zuletzt, weil strittig scheint, wer über was entscheiden oder nur beraten soll. Welche Rolle spielen die Bischöfe? Welche die Laien? Ein Blick in das vatikanische Synodalitäts-Denken.

Kasper: Und welche Themen sind neu hinzugekommen? Die Frauenfrage, das Thema sexuelle Identität und Orientierung? 

Kasper: Zur Frauenfrage hat das Konzil schon einiges zu gesagt, vor allem, was die Stellung der Frau in der Gesellschaft betrifft. Aber die innerkirchliche Frauenfrage, die hat man damals verschlafen, und die fällt uns jetzt vor die Füße. So ist es auch mit anderen Themen. Die gleichgeschlechtlichen Beziehungen, das war damals allgemein noch tabuisiert. Das kam alles erst nach 1968 in den Blick, also nach dem Konzil. 

Frage: Einer, der diese Themen später aufgriff, war Ihr Schüler, der 2020 verstorbene Moraltheologe Eberhard Schockenhoff. Für den Synodalen Weg in Deutschland war er bei diesen Themen ein Vordenker. Wie standen Sie zu ihm? 

Kasper: Wir waren befreundet. Immer, wenn er nach Rom kam, haben wir uns intensiv ausgetauscht. Wir waren nicht immer ganz einer Meinung. Aber wenn er weitergegangen ist, dann geschah das auf eine sehr solide Weise. Von seinem postum erschienenen Buch zur Sexualethik habe ich große Stücke gelesen. Das war schon ein deutliches Umdenken - aber es ging nicht so weit, wie das jetzt im Synodalen Weg geht. Das waren Öffnungen, aber immer biblisch und von der Tradition her fundiert. Er fehlt jetzt, auch um dem Synodalen Weg ein gutes theologisches Fundament zu geben. 

Frage: Womit wir beim Synodalen Weg wären. Was meinen Sie? Wo führt der hin? 

Kasper: Ich fürchte, da gibt man sich derzeit einigen Illusionen hin. Dass man sich mit den Beschlüssen des Synodalen Wegs in der Weltkirche durchsetzen könnte, das halte ich für völlig ausgeschlossen. Natürlich gibt es auch in anderen Ländern einzelne Leute, die ähnlich denken. Aber das ist bei Weitem keine Mehrheit. Das betrifft etwa die Frauenordination. Oder die Idee einer demokratischen Mitbestimmung in der Leitung der Kirche. Die Kirche ist nun mal keine Demokratie! Gerade bei diesem Thema ist vieles nicht theologisch oder von der Tradition her durchdacht. Man kann die Kirche nicht neu erfinden. 

Frage: Andere Bischöfe und Kardinäle warnen inzwischen vor einem Schisma. Ist das auch Ihre Befürchtung? 

Kasper: Der Synodale Weg betont immer wieder, dass er kein Schisma will, und das glaube ich denen. Aber man kann auch in ein Schisma hineinstolpern. Etwa so ähnlich, wie die Großmächte damals in den Ersten Weltkrieg hineingestolpert sind, obwohl niemand das wirklich wollte. Das sollten sie ernst nehmen. Und auch die Fragen, die aus anderen Bischofskonferenzen kommen, die sollte man in Deutschland ernst nehmen und nicht so auftreten, als kenne man die Wahrheit schon. Damit machen sich die Deutschen im Ausland immer unbeliebt. Wenn ich hier in Rom Kardinäle treffe, herrscht Kopfschütteln über die Deutschen. Dann versuche ich auch, manches zu erklären. 

Papst Franziskus nach seiner Wahl am 13. März 2013 auf der Loggia des Petersdoms.
Bild: ©picture alliance / dpa/Donatella Giagnori / Eidon

Papst Franziskus nach seiner Wahl am 13. März 2013 auf der Loggia des Petersdoms.

Frage: Eine Woche nach Ihrem 90. Geburtstag jährt sich zum 10. Mal die Wahl von Papst Franziskus. Ich vermute, Sie waren damals für ihn. Haben Sie das jemals bereut? 

Kasper: Ich stehe zu Papst Franziskus. Das heißt nicht, dass ich jedes Wort oder jede Maßnahme von ihm richtig finde. Aber wenn ein Papst gewählt ist, gilt das Prinzip der Loyalität, vor allem an der Kurie, sonst funktioniert das nicht. Derzeit treffe ich ihn nicht mehr so oft wie früher, aber immer, wenn er mich ruft, gehe ich hin und gebe ihm auch Rat, wenn er danach fragt. Er steht von zwei Seiten unter Druck: Da sind einmal die Konservativen, die seine Art von Anfang an abgelehnt haben, und nun gibt es im Westen, etwa in Deutschland, auch Kritik von der anderen Seite, die auf Reformen drängt. Aber er ist ein Mann des Südens, ihm sind ganz andere Anliegen wichtig, das muss man sich klar machen. Das, was er auf den Weg gebracht hat, wird noch ein oder zwei Pontifikate brauchen, bis es ganz umgesetzt ist. Ich hoffe, dass nach ihm einer kommt, der diese Anstöße auf seine eigene Weise umsetzen wird. 

Frage: Manche Reformer meinen, dass Veränderungen die beste Antwort auf die massive Kirchenkrise dieser Zeit wären. Wie sehen Sie das?

Kasper: Die Kirche befindet sich in einer sehr tiefen Krise. Das nicht zu sehen, wäre töricht. Und die Ursache ist nicht nur der Missbrauchsskandal. Die Krise geht viel weiter und tiefer. Sie betrifft die gesamte westliche Welt. Die Kirche befindet sich in einem epochalen Umbruch. Da kann man nicht einfach so weitermachen wie bisher, das ist unstrittig. Aber wie die Zukunft der Kirche im Einzelnen aussehen wird, das weiß keiner von uns. Ich weiß nur: Wenn ich damals den Aufbruch durch das Konzil nicht erlebt hätte, dann würde ich diese Krise kaum aushalten. Aber ich glaube, die Antworten darauf zu geben, das ist jetzt die Aufgabe einer neuen Generation in der Kirche. 

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)