Betroffenensprecher Norpoth: Kirche reagiert nur auf externen Druck
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Der Synodale Weg geht in die letzte Runde. Was als Reaktion auf die MHG-Studie zu Missbrauch in der Kirche aus dem Jahr 2018 entstand, ist längst zu einem Prozess geworden, der weltweit für Schlagzeilen sorgt. Wie aber sehen Betroffene auf die letzte Synodalversammlung. Der Sprecher des Betroffenenbeirates bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, spricht im Intervier über Handlungsbedarf, kirchliches Abwarten und einen Blick in die Zukunft.
Frage: Am kommenden Donnerstag findet die letzte und finale Synodalversammlung statt. Ein Vorwurf von Seiten der Kritiker ist der Missbrauch des Missbrauchs. Der Anlass des Missbrauchsskandals werde dafür genutzt, lange gehegte kirchenpolitische Ziele durchzusetzen. Wie stehen Sie dazu als Betroffener?
Norpoth: Nun bin ich ja schon ein paar Jahre dabei in diesen Diskussionen. Man kann die kirchenpolitischen Debatten der letzten 30 Jahre nicht negieren. Wir reden seit Jahrzehnten über die Frage von Macht und Gewaltenteilung. Wir reden seit vielen Jahren von der Frage der Geschlechtergerechtigkeit und des Zugangs von Frauen zu Weiheämtern. Und die Diskussionen reichen bis hin zur Frage von Sexualmoral, sofern man die aktuelle und bis heute immer noch gültige Lehrmeinung überhaupt mit der Kategorie "Moral" bezeichnen kann. Dass diese Diskussionen sich in einer Zeit, in der eine Organisation wie die katholische Kirche in einer Krise steckt, endlich Bahn brechen, davon war auszugehen.
Ich werte das nicht als Institutionalisierung des Missbrauchs – um Gottes Willen, nein. Die Studien, schon mit der MHG-Studie 2018, aber insbesondere die aktuell vorliegenden Analysen unter anderem aus dem Bistum Essen, die eine rein sozialwissenschaftliche ist, zeigen sehr deutlich, dass all die Themen des Synodalen Weges systemische Ursachen des Missbrauchs innerhalb der Kirche sind. Missbrauch hat nicht einen einzelnen Grund, sondern ist eine Verkettung unfassbar vieler Tatbestände. Es ist ein sehr komplexes Feld. Aber man muss schlicht und ergreifend akzeptieren und respektieren, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse klar und deutlich sagen: Die Verfasstheit dieser Kirche fördert sexualisierte Gewalt.
Dieser Synodale Weg hat sich auf den Weg gemacht mit den vier großen Themenfeldern, die dort bearbeitet werden, an diese systemischen Ursachen zu gehen. Wenn vor 20 oder 30 Jahren bereits eine systemische Ursache darin gesehen worden ist, dass männerbündisches Verhalten von Klerikern zum Beispiel durch die Nichtzulassung von Frauen zum Weiheamt dazu führen, dass wir mit der Kirche in eine solche systemische Schieflage geraten, dann ist diese Situation von vor 30 Jahren ja nicht falsch gewesen, sondern sie ist genau richtig. Zwar mit einer vielleicht anderen Zielrichtung und Argumentationslinie, aber sie war damals genauso wenig falsch wie heute.
Insofern ist dieser Vorwurf der Institutionalisierung des Missbrauchs für "andere kirchenpolitische Agenden" schlicht und ergreifend an den Haaren herbeigezogen beziehungsweise eine Relativierung des Missbrauchs und kein Vorwurf an den Synodalen Weg. Ich glaube, wenn man es etwas flapsig ausdrücken will, dann hat das schon fast mit einer Wahrnehmungsstörung zu tun und einer Angst vor Veränderung.
Frage: Als Betroffene sind Sie bei der ersten Synodalversammlung gar nicht präsent dabei gewesen. Das ist erst bei der digitalen Versammlung ein Jahr später passiert.
Norpoth: Das zieht sich ja bis heute durch. Es zieht sich bis zur letzten Woche. Bei ihrer Frühjahrsvollversammlung hätten die deutschen Bischöfe die Möglichkeit gehabt, mindestens zwei Betroffene, die sich dazu bereit erklärt haben, als stimmberechtigte Mitglieder zur fünften Synodalversammlung zu wählen. Das hat die Bischofskonferenz mehrheitlich abgelehnt. Und das, obwohl klar war, dass mindestens zwei Mitglieder des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz und ständige Gäste der Synodalversammlung bereit gewesen wären, in die Stimmberechtigung zu wechseln. Das hat die letzte Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz mehrheitlich abgelehnt. Das ist mal wieder ein deutliches Zeichen, das die Bischöfe hier abgeben, insbesondere immer dann, wenn es geheime Abstimmungen gibt. Genau das war hier wieder der Fall.
Ich halte das grundsätzlich für einen Webfehler dieses Synodalen Weges. Ich halte es auch für einen Fehler, den wir damals vom Betroffenenbeirat gemacht haben, nämlich zu sagen, wir möchten dabei sein und wir geben uns mit der Situation eines Gaststatus zufrieden. Wir hätten damals sehr deutlich formulieren müssen, dass diese Geschäftsordnung, die ja wenn ich da den Vorsitzenden der Bischofskonferenz (aus der Abschluss-Pressekonferenz der DBK-Frühjahrs-Vollversammlung in Dresden) zitieren darf, sicherlich keine gute Satzung ist. Wir hätten an dieser Stelle Satzung und Geschäftsordnung gerne noch mal offen machen sollen, um von Anfang an zu einer Stimmberechtigung zu kommen. Das ist ein hausgemachtes Problem, hat aber auch etwas damit zu tun, dass Bischöfe wie damals das Zentralkomitee der deutschen Katholiken schlicht und ergreifend Angst davor hatten, in den direkten Diskurs mit Betroffenen zu gehen. Das ist nie eine nette und angenehme Auseinandersetzung. Das kann ich nachvollziehen. Aber wenn ich an die systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt gehe, dann muss ich Betroffene beteiligen, und zwar offen, klar und deutlich und strukturell.
Frage: Wenn man das zu Ende denkt, muss man doch eigentlich sagen, wenn der Synodalen Weg diesen Schritt nicht geht und die Bischofskonferenz sich gegen eine Beteiligung mit Stimmrecht verwehrt, dann hat man doch eigentlich auch noch nicht begriffen, wo das Problem in der Institution liegt.
Norpoth: Da haben Sie absolut recht. Mindestens eine Mehrheit der aktuell im Amt befindlichen Weihbischöfe und Bischöfe hat sich wohl knapp dagegen entschieden. Ein genaues Abstimmungsergebnis liegt mir aber nicht vor. Insofern muss man deutlich sagen, sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, dass es eine der tiefsten und existenziellsten Krisen dieser Kirche ist und dass es an dieser Stelle andere Lösungswege braucht, als abzuwarten und sich insbesondere auf den internen Kreis in der Bischofskonferenz zurückzuziehen.
Frage: Es erscheint ja relativ unwahrscheinlich, dass jetzt bei der fünften Synodalversammlung wirklich beispielsweise ein Ende der Männerbünde als Ergebnis rauskommt, auch den Vatikan mal ausgeklammert. Was erwarten Sie denn, ändert sich wirklich an dieser Situation? Oder ist das, was Sie da auch in Ihrer Position als Missbrauchsbetroffener machen, nicht auch ein bisschen ein Kampf gegen Windmühlen?
Norpoth: Das fühlt sich oftmals so an, da haben Sie recht. Aber die katholische Kirche ist eine Organisation, die bekanntermaßen relativ langsam in ihrer Entwicklung ist. Insofern ist das ein Ultra-Marathon, den wir hier vor der Nase haben. Wichtig ist, glaube ich, die Verstetigung. Da kann man die kirchenpolitische Diskussion jetzt führen, ob das ein Synodaler Rat oder ein Synodaler Ausschuss ist. Im Moment heißt er ja Synodaler Ausschuss, damit ist er auch von den aktuellen Debatten und Pamphleten, die da aus Rom gekommen sind, nicht betroffen, wenn man es mal kirchenrechtlich etwas genauer betrachtet.
Es braucht eine Verstetigung dieser Debatten. Es braucht eine Verstetigung der Strukturen in diesem Bereich, damit man konsequent und kontinuierlich an unterschiedlichen Orten genau an den Themen weiterarbeitet. Ich glaube, jedem, der 2020 in die erste Synodalversammlung eingezogen ist, ob stimmberechtigt, als Berater, als Gast oder wer auch immer, dem war klar, dass das der Beginn eines Weges, der Beginn eines ganz langen, steinigen und unfassbar schweren Prozesses ist. Wir stehen ja jetzt vor der fünften Synodalversammlung, die sicherlich sehr spannend wird. Ich bin immer zurückhaltend mit großen Worten, weil kein Mensch weiß, wie diese Versammlung läuft.
Ich glaube, sie wird zeigen, dass es ein langwieriger Prozess sein wird. Das zeigt zum Beispiel die gerade genannte Entscheidung der Bischofskonferenz, eben keine Betroffenen als Stimmberechtigte hineinzuwählen, obwohl das problemlos möglich gewesen wäre, nach dem Rücktritt der vier dem konservativen Lager zuzuordnenden Frauen. Ich glaube, jedem ist klar, das wird ein unfassbar langwieriger und langer Prozess. Wenn die katholische Kirche an dieser Stelle aufhört zu diskutieren, wenn die Bischöfe, die eben nicht nur Reformbedarf sehen, sondern von der Analyse, dass Reformbedarf da ist, auch in die Handlung kommen wollen, wenn die ganzen Berufsgruppen und Berufsverbände, die mit dabei sind, wenn die Laien, die das ebenfalls so sehen, wenn die an dieser Stelle am Ende der Synodalversammlung ihr Engagement einstellen, dann können wir sofort zumachen.
Ich glaube, genau das wird nicht passieren. Aber man braucht einen langen Atem. Es braucht ein unfassbar dickes Fell und manchmal braucht es auch einen gewissen Grad ausgewachsener Schizophrenie, um das tatsächlich auszuhalten. Das ist manchmal nicht ganz einfach. Ich glaube, das gilt nicht nur für Betroffene sexualisierter Gewalt, sondern einfach auch für das gemeine Mitglied der Synodalversammlung. Vielleicht sind wir Betroffenen da ein bisschen geschulter, weil wir seit Jahrzehnten feststellen, dass zwischen Worten und Taten von Funktionsträgern in der Kirche teilweise große Lücken oder große Unterschiede bestehen.
Frage: Wie müsste eine Kirche in fünf Jahren aussehen, dass Sie zufrieden sind? Bräuchte es zum Beispiel in jedem Bistum einen Betroffenen, der mit Entscheidungsgewalt dem Bischof gleichgestellt ist?
Norpoth: Es würde schon reichen, wenn sich der Bischof entsprechenden Beratungsgremien stellen muss, die aber auch mit entsprechenden Kontrollfunktionen ausgerüstet sind. Ich glaube aber, was zuvorderst aus der Sicht von Betroffenen notwendig ist, ist, dieses Feld zwischen den Bistümern, zwischen den Vertretern der katholischen Kirche und den Verantwortlichen, sprich tatsächlich zwischen den Bischöfen und den Betroffenen sexualisierter Gewalt endlich zu befrieden. Das bedeutet, dass es endlich zu einer Anerkennung des Leids kommt, die auch tatsächlich Ausdruck eines Haltungswechsels ist – und das eben nicht zwanghaft auf Basis von Klagen. Man wartet jetzt gerade mal wieder ab. Was passiert in der Klage in Köln? Was passiert in der Schadensersatzklage in Traunstein? Diese Kirche und diese Würdenträger müssten von sich aus auf die Idee kommen, hier zu einer ordentlichen Lösung zu kommen, die wie ich glaube, relativ einfach und schnell auch mit Betroffenenvertretern zu verhandeln und zu beschließen wäre. Hier reagiert Kirche immer nur und ausschließlich auf externen Druck.
Was ich mir wünschen würde, wäre, wenn dieses Thema ebenso abgearbeitet würde oder erledigt wäre, wie die Frage der individuellen Aufarbeitung der einzelnen Fälle, zum Beispiel in Form von Akteneinsicht. Ich unterstütze da die Forderung der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) sehr deutlich: individuelles Recht auf Aufarbeitung des eigenen Falles, individuelles Akteneinsichtnahmerecht. Dieses Akteneinsichtnahmerecht darf eben nicht an der Tür oder an der Schranktür zum bischöflichen Geheimarchiv stehen bleiben.
Es braucht auch unbedingt eine gesetzliche Verpflichtung zur institutionellen Aufarbeitung. Wie viele katholische Organisationen, wie viele kirchliche Organisationen haben wir, die noch gar nicht drüber nachgedacht haben, die eigene Geschichte an dieser Stelle aufzuarbeiten? Da sind wir, glaube ich, erst am Anfang. Insofern sind da viele Wünsche oder viele Möglichkeiten, tatsächlich Hoffnungen zu erfüllen. Die wären auch eigentlich relativ einfach umzusetzen. Ich glaube aber, da braucht es eine Haltungsänderung. Da habe ich einfach das dumme Gefühl, dass es noch fünf Jahre braucht, damit der eine oder andere endlich schlau wird.