Buchautor Lütz: Franziskus hat Spaß an der Macht
Seit zehn Jahren leitet Papst Franziskus die katholische Weltkirche. Von vielen als Reformer begrüßt, hat er in Deutschland auch für Irritation gesorgt. Der Psychiater und Buchautor Manfred Lütz, einziges deutsches Mitglied der Vatikan-Behörde für Laien, über Projektionen auf den amtierenden Papst und Kontinuitäten zu seinem Vorgänger.
Frage: Herr Lütz, wie steht es mit Ihrer Freude am Glauben nach zehn Jahren Franziskus?
Manfred Lütz: Die ist durch ihn immer wieder angeregt worden. Er ist ein pastoral ausgesprochen sensibler Mensch, der in der persönlichen Begegnung eindrucksvoll empathisch ist. Das merkt man auch vielen seiner Ansprachen an.
Frage: Wo sehen Sie die Erfolge dieses Pontifikats?
Lütz: Er hat fast eine Revolution ausgerufen: De facto hat er das Kardinalskollegium abgeschafft - den Senat der Kirche, den es seit über tausend Jahren gab. Das hat zumindest in Deutschland so gut wie keiner gemerkt. Die Kurienreform hat dazu geführt, dass Kardinäle eigentlich nur noch das Recht haben, rote Kleidung zu tragen und, wenn sie Glück haben, einmal im Leben einen Papst zu wählen. Das Machtzentrum der katholischen Kirche besteht dagegen inzwischen aus Behörden, die theoretisch alle von Frauen geleitet werden können. Das ohne großes Aufsehen geschafft zu haben, ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg.
Denn die Frage von Macht und Einfluss von Frauen ist entscheidend für die Zukunft der Kirche. In Deutschland wird die Debatte im Grunde über eine, wie Franziskus es nennt, "Klerikalisierung" von Frauen geführt - während der Papst den Klerus zum Teil entmachtet und für Laien, also auch Frauen, mehr Macht in der römischen Zentrale ermöglicht. Das ist eigentlich viel radikaler, als zum Beispiel den Frauendiakonat einzuführen.
Frage: Was sagt es über die katholische Kirche in Deutschland aus, wie sie mit Franziskus umgeht?
Lütz: Wir sind manchmal vielleicht zu sehr auf unsere deutsche Situation fixiert; Rom ist dann Gegenstand unserer Projektionen. Bei Benedikt XVI. fielen die stark konservativ aus, obwohl er im Grunde ein sehr moderner Theologe war. Auf Papst Franziskus gab es eher progressive Projektionen, dabei ist er theologisch völlig auf der Linie seines Vorgängers. Er will keine dogmatischen Änderungen, sein Anliegen ist ein pastorales und praktisches.
Benedikt XVI. hat immer betont, dass er für Administration ganz ungeeignet sei. Er hat seine zaghaften Versuche einer Kurienreform schnell aufgegeben, weil das seiner Einschätzung nach über seine Kräfte ging. Papst Franziskus ist da ganz anders, er hat durchaus Spaß an der Macht und setzt sie auch ein.
Frage: Woran liegt es, dass Franziskus so polarisiert - dass er konservativen Katholiken zu liberal ist und progressive enttäuscht?
Lütz: Ich glaube, das liegt an den besagten Projektionen. Es ist eher unser Problem als das von Franziskus. Markus Lanz und ich haben unser letztes Gespräch mit Benedikt XVI. auch deswegen jetzt veröffentlicht, weil er da nochmal unmissverständlich klargemacht hat, dass er immer ein herzliches Verhältnis zu Franziskus hatte und sich allen Bemühungen nachdrücklich widersetzt hat, etwaige Kritik von ihm an Franziskus öffentlich zu machen.
Als Papst muss Franziskus versuchen, eine Einrichtung mit über 1,3 Milliarden Menschen zusammenzuhalten. Das ist nicht trivial, vor allem weil religiöse Institutionen gewöhnlich nicht zum Kompromiss neigen. Hierzulande wird die Gefahr unterschätzt, dass die Kirche in viele Nationalkirchen auseinanderfliegen könnte, wie es der anglikanischen Kirche gerade passiert. Das ist wohl auch die Sorge des Papstes gegenüber dem Synodalen Weg.
Wir müssten mehr Verständnis dafür haben, dass die römische Zentrale die Kirche zusammenhalten will. Es ist doch wichtig, weiter Gemeinschaft mit den Katholiken in Afrika, in Lateinamerika, in Asien zu haben. Umgekehrt ist zu hoffen, dass auch Rom Verständnis für die spezielle deutsche Situation aufbringt - das ist aber deshalb schwierig, weil an der Kurie kaum noch Deutsche in führenden Positionen tätig sind.
Frage: Wessen Aufgabe wäre es, in Deutschland für ein korrekteres Verständnis von Franziskus zu werben?
Lütz: Das wäre eine wichtige Aufgabe der Bischöfe - in Rom zuzuhören, die Positionen zu verstehen und hierhin zu übersetzen. Dagegen gibt es hier manchmal die Tendenz, sich gegen Rom zu profilieren. Das hat eine lange Tradition, aber führt nicht zu einem verständnisvollen Dialog.
„Hierzulande wird die Gefahr unterschätzt, dass die Kirche in viele Nationalkirchen auseinanderfliegen könnte, wie es der anglikanischen Kirche gerade passiert. Das ist wohl auch die Sorge des Papstes gegenüber dem Synodalen Weg.“
Frage: Kritiker werfen Franziskus vor, dass er Entscheidungen an sich zieht und seine eigenen Behörden übergeht. Ist er mit diesem Leitungsstil gut beraten?
Lütz: Man kann nicht erwarten, dass jemand, der Bischof in Lateinamerika war, wo der Klerus oft noch autoritativer agiert, mit 76 Jahren einfach aus seiner kulturellen Tradition herausspringt und so partizipativ vorgeht, wie wir das in Europa vielerorts gewohnt sind. Außerdem ist er Jesuit: Man berät sich, aber trifft eine Entscheidung manchmal auch gegen den Rat. Wir müssen uns da vor einer europäischen Arroganz hüten. Wenn wir wirklich eine katholische Kirche in Einheit und Vielfalt wollen, dann müssen wir auch ertragen, dass ein Papst aus Lateinamerika nicht nur eine andere Muttersprache spricht, sondern auch aus einer anderen Kultur kommt.
Frage: Wenn Sie sich Alter, Verfassung und Agenda des Papstes anschauen - an welchem Punkt würden Sie ihm raten, seine Amtszeit zu beenden?
Lütz: Da muss ihm niemand einen Rat geben. Er hat selber gesagt, dass er zurücktreten würde, wenn ihm seine körperlichen oder geistigen Kräfte die Ausübung dieses anspruchsvollen Amts nicht mehr gestatten. Und das ist exakt das, womit Benedikt XVI. seinen Rücktritt begründet hat.