Italiens rechte Regierungschefin sieht sich auf der Linie vom Papst
Es war eine Begegnung, wie es sie nur in Rom geben kann: Die Redaktion der Jesuitenzeitschrift "La Civilta Cattolica" hatte am 10. Jahrestag der Wahl von Papst Franziskus die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zu einer Buchvorstellung eingeladen. Für die Rechtspopulistin eine einmalige Gelegenheit, sich verbal als eine von Papst Franziskus inspirierte Politikerin zu inszenieren.
Denn seit am 27. Februar vor der kalabrischen Ortschaft Cutro mehr als 70 Migranten bei einem Schiffbruch ertrunken sind, steht Meloni unter Druck. Die Frau, der im ersten halben Jahr ihrer Regierung fast alles gelang, hat bisher keine überzeugende Reaktion auf die Tragödie gezeigt – während Staatspräsident Sergio Mattarella mit einem stillen Gebet vor den Särgen der Ertrunkenen alles richtig machte.
Nichtregierungs-Organisationen und die linke Opposition unter Elly Schlein machen ihr seither täglich Vorwürfe – und die perlen nicht mehr spurlos an Meloni ab. Sie sei herzlos und finde nicht die richtigen Worte und Gesten, sagen die einen. Ihre harte Linie gegenüber den Rettungsschiffen von SeaWatch und Co sei mit schuld an den Toten, sagen andere. Der schlimmste Vorwurf lautet, die dem Innenministerium unterstehenden Rettungskräfte hätten bei dem Unglück bewusst abgewartet und so den Tod der Migranten mitzuverantworten. Diese hatten, aus der Türkei kommend, Griechenland umschifft, um in Italien an Land gehen zu können.
Vorwurf lässt Meloni nicht kalt
Da die Schiffe der internationalen Seenotretter im Süden Kalabriens, wo sich das Unglück ereignete, gar nicht unterwegs sind, trifft der eine Vorwurf Meloni nicht wirklich. Auch die Version vom bewussten Inkaufnehmen des massenhaften Sterbens überzeugt nicht, denn das später gekenterte Boot hatte noch wenige Minuten zuvor keine Notlage erkennen lassen. Bleibt der Vorwurf der Herzlosigkeit, der die Regierungschefin, die unlängst bei ihrem Besuch in der Ukraine vor laufenden Kameras in Tränen ausbrach, offensichtlich nicht kalt lässt.
Auf der Suche nach einem neuen Framing für ihre Migrationspolitik bot ihr am zehnten Jahrestag der Papstwahl der "Chefideologe" von Papst Franziskus, Pater Antonio Spadaro, eine willkommene Gelegenheit: Er lud sie gemeinsam mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zur Vorstellung seines neuen Buches ein. Unter dem Titel "L'atlante di Francesco" (Der Franziskus-Atlas) erläutert es Grundlagen und Perspektiven der vatikanischen Außenpolitik im derzeitigen Pontifikat.
Die Interpretation dieser Politik hätte kaum unterschiedlicher sein können als die von Parolin und von Meloni. Parolin betonte, dass der Vatikan – anders als die Nationalstaaten – nicht die Verteidigung von Interessenssphären ins Zentrum seiner Politik stelle, sondern das Gemeinwohl der Menschheitsfamilie. Franziskus habe zudem die Barmherzigkeit zu einer Kategorie der internationalen Politik gemacht.
Diesen zentralen Begriff übernahm Meloni in ihren Ausführungen bereitwillig und erklärte, dass auch sie eine "Politik der Barmherzigkeit" betreibe. Sie äußerte sich nicht zur Tragödie von Cutro, bei der nicht Afrikaner, sondern überwiegend Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan starben. Stattdessen sprach sie von der italienischen Afrika-Politik. Diese fördere Investitionen und Handel, um den Wohlstand dort zu vermehren und damit Migrationsursachen zu beseitigen.
Meloni hat "reines Gewissen"
Auch ihre derzeit arg kritisierte Migrationspolitik versuchte sie moralisch zu verteidigen: "Was die Frage der Migration angeht, habe ich ein reines Gewissen", sagte sie. Sie halte an der Aussage fest, wonach das Risiko für derartige Tragödien wachse, je mehr Menschen die illegale und unsichere Überfahrt nach Europa auf Booten versuchten. Wegen dieser Einschätzung war ihr Innenminister Matteo Piantedosi nach der Tragöde von Cutro von der Opposition scharf kritisiert worden.
Meloni erklärte nun, man müsse sich entscheiden, ob man die Migration der Mafia überlasse oder sie legal organisiere. Sie trete dafür ein, die Menschenhändler zu verhaften, legale Einwanderung zu ermöglichen und die Migranten in Italien in menschenwürdigen Arbeitsverhältnissen zu integrieren. Ihre sonst beim Thema Migration stets genannte Maxime "illegale Migranten ausweisen, legale integrieren" brachte Meloni an diesem denkwürdigen Abend nicht zu Gehör.