Auf zum Kalvarienberg: Ein spiritueller Weg in der Fastenzeit
Nach Ahrweiler zu fahren ist immer noch etwas Besonderes: Der pittoreske Ort im Ahrtal war lange Zeit das Ziel vieler Ausflügler und der Kurgäste aus dem benachbarten Bad Neuenahr – dann kam die Flut 2021 und nichts war wie zuvor. Doch gerade in der Fastenzeit und um Ostern ist Ahrweiler ein passendes Reiseziel: Denn dort führt ein Kreuzweg auf einen Kalvarienberg hinauf, also eine Erhöhung, auf der die Kreuzigung Christi dargestellt ist. In Ahrweiler steht dort oben auch noch ein Kloster. Zeit für eine Glaubenswanderung zwei Jahre nach der Flut.
Startpunkt ist der Bahnhof Ahrweiler Markt, von hier führt der Weg direkt durch das Adenbachtor in die historische Innenstadt mit ihren vielen kleinen bunten Häuschen. Die Szenerie wirkt dort etwas surreal: Viele der Häuser sind schon wieder hergerichtet – doch es fehlt das Leben dazu. Zahllose Ladenlokale stehen leer und suchen Interessierte oder sind "nach Fertigstellung zu vermieten". Das prägende Geräusch an diesem Morgen ist der Baulärm überall. Handwerker richten Balken, tragen Putz auf oder legen Leitungen. Daneben sind manche Läden schon fertig und bezogen, blitzblank leuchtet etwa ein Juweliergeschäft. Andere sind noch beinahe unangetastet, mit blankem Mauerwerk und aufgestapelten Baumaterialen im Inneren harren sie der Dinge, die da kommen. Abseits der Hauptstraßen ist durch einige Fenster auch noch der dunkelbraune Schlamm der Ahrflut zu erkennen. Mancher Laden trägt dagegen als Hoffnungszeichen einen Zettel: "Wir sind bald wieder für Sie da!!"
Auch auf dem Marktplatz gibt es Erinnerungen an die Flut. Unter dem Kreuz an der Laurentiuskirche stehen kleine Kruzifixe, eine Madonnenfigur und Kerzen. Nur die Inschriften verblassen langsam: "Herr hilf!" oder "one more light" sind aber immer noch gut zu lesen.
Ahr fließt, als wäre nichts gewesen
Bald schon geht es durch das Ahrtor wieder aus dem historischen Stadtkern heraus, die Ahr fließt hier, als wäre nichts gewesen. Doch die beiden Stahlbrücken, der immer noch sehr verwüstet aussehende Friedhof nahe dem Flussufer und die neu geteerte Straße lassen erahnen, dass hier etwas erschüttert wurde. Doch auch hier gibt es Hoffnungszeichen: Die neue Fußgängerbrücke ist an den Seiten mit einem Muster aus dem Stadtwappen von Bad Neuenahr-Ahrweiler verziert, durch Löwe und Adler hindurch ist der Fluss zu sehen. Die Menschen behaupten sich.
Ein Stück weiter steht an der Straße die erste Kreuzwegstation. Die hellgelben Häuschen mit weißen Reliefs wurden im 18. Jahrhundert von Ahrweiler Familien gestiftet, trotz knapp 300 Jahren und Flut stehen sie dort, als wäre das das Natürlichste der Welt; mal umgeben von Bäumen, mal an einem Haus oder direkt am Wegesrand.
Wie auf einer Perlenkette reihen sich die Bildstöcke aneinander und führen über die Kalavarienbergstraße Richtung Kloster durch ein Wohngebiet. Auch hier sind noch einige Erdgeschosswohnungen leer, manches Haus neu gebaut. Dazwischen stehen die Kreuzwegstationen in ihrem uniformen Goldgelb wie steinerne überzeitliche Wegmarken. Auf ihre Weise überwinden sie die Schwelle der Zeit: Menschen vor 300 Jahren und heute schauen auf die gleichen Bilder, die die alte Geschichte aus der Bibel erzählen, nur das Umfeld hat sich geändert.
Das Umfeld hat sich geändert
Am Ende des Wohngebietes geht es auf ein Feld mit Weinreben zu, das Kloster Kalvarienberg zeigt sich in seiner ganzen monumentalen Kraft. Fast ein bisschen wie das Schloss Hogwarts aus den Harry-Potter-Büchern sieht es aus: Bögen, Erker, Fenster, Türme stapeln sich auf- und nebeneinander. Auf dem Weg zum Kloster stehen die Kreuzwegstationen immer enger, schlängeln sich den Hügel hinauf.
Nach einigen Treppen dann die Kreuzigungsgruppe: Viel höher als die bisherigen Stationen ragt sie die steile Klosterwand hinauf. Jesus, die beiden Verbrecher Dismas und Gestas, Maria und Johannes schauen auf den Pilger hinab. Noch ein paar Stufen weiter Richtung Klosterpforte auf einen kleinen Aussichtspunkt und das Ahrtal breitet sich aus.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl hier oben: Malerisch fließt die Ahr durch das Tal, an Weinbergen vorbei. Und doch wurde dieses Panorama der ganzen Umgebung zum Verhängnis. Damals, im Juli 2021, hat der sterbende Jesus auf die Menschen in Not, Umgekommene und zerstörte Existenzen geschaut. War das für die Menschen Trost oder Hohn?
Ursulinen haben Kloster aufgegeben
Ein paar Stufen weiter oben ist der Kreuzgang des Klosters ganz nah – doch wird sich die Tür dorthin erst einmal nicht mehr für Besucher öffnen. Die Ursulinen, die hier seit 1838 lebten, haben das Kloster 2017 aufgegeben, die Gemeinschaft war alt und konnte das riesige Gelände nicht mehr bewirtschaften. Aus dem burgartigen Gebäude sollen ein Hotel und Wohnungen werden.
Die Klosterkirche ist offen, doch im eigentlichen Sinne keine Kirche mehr, beim Weggang der Schwestern wurde sie profaniert. So liegen hier heute noch Gebetbücher in den Kirchenbänken und Heilige stehen auf ihren Konsolen, doch Gottesdienst wird nicht mehr gefeiert. Das Kirchenschiff soll ein Ausstellungsraum werden und vom Chor abgetrennt, dort soll eine kleine Kapelle für Pilger eingerichtet werden.
Erkennbarstes Zeichen der Profanierung sind die Reliquien der Schwester Blandine Merten. An ihrem Ort in der Kirche ist ein Zettel angeklebt, dass sie versetzt wurden, in die Grabkapelle ein paar Stufen weiter unten.
Denkbar größter Kontrast
Die Grabkapelle unter der Kirche ist durch eine kleine Tür direkt neben der Kreuzigungsgruppe zu erreichen. Es ist die 14. Station des Kreuzwegs, an der Tür weist wieder nur ein Zettel auf die Reliquien hin.
Zur großen, hellen Klosterkirche mit den steinernen Heiligen und bunten Fenstern ist die kleine Kapelle der denkbar größte Kontrast: Der Raum ist niedrig und ein wenig muffig, statt vieler Bankreihen stehen nur ein paar Stühle herum, statt fein lasiertem Schnitzwerk wirkt die Einrichtung zusammengewürfelt, oben eine große Orgel, hier nur ein in die Jahre gekommenes Keyboard. Das Reliquiar hängt an einer dunklen Wand zwischen zwei Fenstern über einem Kerzenständer, durch das knappe Licht ist es kaum zu erkennen. Der schlichte Altar steht vor dem zugezogenen Vorhang der Grabhöhle, daneben ein Tabernakel auf einem Beistelltisch. Ist das also das Sinnbild für die Kirche 2023?
Doch ein Stück neben dem Eingang liegt ein Buch, das Gästebuch. Der letzte Eintrag ist von gestern: "Segne die Gekränkten, heile die Hasserfüllten", betet eine Frau, darüber hat von der Schrift her ein Kind geschrieben, Gott möge die "gewalt weg" machen. In der Woche davor bittet eine andere Frau Schwester Blandine für "alle Kinder, die Probleme in der Schule haben"; unter das "Kinder" hat sie noch "Jugendliche" ergänzt.
Die Vergangenheit ist nur noch Fassade
Hinter der Tür wartet mit einem hellen Licht das Ahr-Panorama. Der Blick geht wieder nach oben. Das eindrucksvolle steinerne Gebäude der Vergangenheit ist nur noch Fassade, das Leben ist aus ihm gewichen. Doch hier unten, in der demütigen kleinen Kapelle, haben Menschen diesem Gott und denen, die ihm nachgefolgt sind, noch etwas zu sagen.
Es bleibt ein zwiespältiger Eindruck dieses Wegs: Aus ruhigen Flüssen werden reißende Ströme, aus stolzen Kirchen verwaiste Steinhaufen. Doch was bleibt, ist der Weg. Er ragt mit seinen gelben Bildstöcken aus der Vergangenheit hinein in die Öffentlichkeit, offen für jeden, egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit. Die Fragen, die die Kreuzwegstationen stellen, haben Menschen verschiedener Jahrhunderte ganz anders interpretiert. Doch die Einkehr, die Umkehr, das Nachdenken hat all diese Menschen bewegt – und bewegt sie bis heute, bis in ein paar kleine Sätze in ein Gästebuch. Einen Weg zu gehen ist eine bleibende Aufgabe.