Standpunkt

Die kirchliche Lehrerlaubnis schadet Theologie und Kirche

Veröffentlicht am 29.03.2023 um 00:01 Uhr – Von Simon Linder – Lesedauer: 

Bonn ‐ In der Theologie gibt es immer weniger wissenschaftlichen Nachwuchs: Die Kirchenkrise sei auch eine Theologiekrise geworden, kommentiert Simon Linder. Er hinterfragt daher das System der kirchlichen Lehrerlaubnis.

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Laut dem Bundeswirtschaftsministerium fehlen Fachkräfte vor allem im Handwerk, in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Pflege. Eine selten genannte Gruppe ist die der Theolog*innen. Während im vorletzten Jahrzehnt pro Jahr rund 3.000 Personen ein Theologiestudium an einer Uni oder einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) aufnahmen, sind die Zahlen seitdem um die Hälfte eingebrochen. Dazu streben immer weniger Theolog*innen eine wissenschaftliche Karriere an: In ihrer Nachwuchsstudie prognostizieren Bernhard Emunds und Marius Retka, dass in den nächsten Jahren auf jedes Berufungsverfahren für eine Uniprofessur nur 1,3 habilitierte Personen kommen.

Die Kirchenkrise ist auch eine Theologiekrise geworden. Viele junge Menschen studieren keine Theologie, weil sie nicht für die Kirche (auch nicht als Religionslehrer*innen) arbeiten möchten. Dabei ist diese Verknüpfung ein Denkfehler: Theolog*innen lernen historisch, ethisch, philosophisch, pädagogisch, juristisch, empirisch etc. an Aufgaben heranzugehen. Sie werden auf den Arbeitsmarkt, der maximale Flexibilität erwartet, gut vorbereitet.

Gleichwohl besteht eine institutionelle Verflechtung von Theologie und Kirche, vor allem durch die kirchliche Lehrerlaubnis für Professor*innen. Aus Sorge vor einer Verweigerung dieser publizieren viele junge Wissenschaftler*innen fundierte Positionen nicht. Dieses System schadet nicht nur der Theologie, sondern auch der Kirche: Sie verengt damit das Spektrum katholischer (also eigentlich "allumfassender") Theologie. Das sorgt in einer immer offeneren Gesellschaft für eine immer stärkere Milieuverengung unter den Studierenden. Weil man vor allem an Differenzen lernt, werden nun auch die Studierenden schlechter ausgebildet, die später in die Pastoral gehen. Das römische Lehramt könnte mit einem mutigen Machtverzicht auf eine kirchliche Lehrerlaubnis der Theologie und der Kirche einen großen Dienst erweisen.

Von Simon Linder

Der Autor

Simon Linder hat Katholische Theologie und Allgemeine Rhetorik studiert und arbeitet an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt zum Thema "Streitkultur".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.