Äbtissin: "Jesus lebt und mein Bruder mit ihm!"
Schwester Veronika Kronlachner ist Äbtissin der Benediktinerinnenabtei in Salzburg. Die Osternacht erinnert die Benediktinerin auch an einen schlimmen Schicksalsschlag in ihrem eigenen Leben. In einem persönlichen Gastbeitrag für katholisch.de schreibt die Ordensfrau über ihren Weg zum Glauben und ihre Hoffnung an ein Leben nach dem Tod.
"Wir waren eine große Familie, ich hatte acht Geschwister, fünf Brüder und drei jüngere Schwestern. Wir waren sehr arm. Dennoch habe ich eine sehr schöne Kindheit in Wels, das liegt in Oberösterreich, erlebt. Ich fühlte mich von meinen Eltern geliebt. Wir Geschwister waren gut zueinander. Schon als Kind war ich sehr religiös. Mit Oma sonntags zum Gottesdienst zu gehen, das war für mich etwas vom Schönsten. Wohl am stärksten hatte mich damals auch ein Buch mit verschiedenen Heiligengeschichten geprägt. Ich habe es unzählige Male gelesen. Ich wollte wie diese Menschen sein und wie sie für Gott leben. Ich bemühte mich daher, so gut zu sein, wie sie. Das Miteinander Teilen, das Einander Helfen und sich etwas Verzeihen, das alles bekam für mich einen hohen Stellenwert und gab meinem Leben Sinn und Richtung. So war der Glaube für mich immer schon sehr wichtig und die Heiligen wurden mir zum Vorbild auf meinem Weg. Doch dann ist das alles zusammengebrochen als ich knapp 15 Jahre alt war.
Damals starb mein ältester Bruder bei einem Tankstellenüberfall in Österreich. Er ist zufällig in diese schlimme Situation hineingeraten. Er wurde dabei erschossen. Mein Bruder war damals 26 Jahre alt, verheiratet und hatte eine dreijährige Tochter. Seine Frau war hochschwanger. Für mich brach damals eine Welt zusammen. Der Schmerz und die vielen Tränen meiner Eltern, meiner Schwägerin. Wir waren alle so hilflos. Dieses Unglück hatte meinen Glauben an Gott tief erschüttert. Ich konnte Gott nicht mehr verstehen! Wie kann Gott so etwas tun oder zulassen? Immer wieder fragte ich: Warum? Warum mein Bruder? Und auch: Warum nicht ich? Ich fand es so unfassbar, dass er sterben musste. Wie oft habe ich Gott gefragt: Gibt es dich wirklich und bist du ein Gott der Liebe? Hättest du doch mein Leben genommen! Das waren meine Gedanken. Ich wusste keine Antwort auf diesen schrecklichen Tod meines Bruders.
Jetzt wo ich in meinem Glauben Halt gebraucht hätte, wo ich Gott nicht mehr verstehen konnte, war niemand da, mit dem ich darüber sprechen konnte. In mir begann ein sehr intensives Suchen nach dem Sinn des Lebens. Eines Lebens, das so schnell ausgelöscht werden kann, aber auch des Todes, der so unerwartet kommen kann, so viel Leid verursacht und so viele Probleme für die Hinterbliebenen auslöst. Ich dachte mir: Das kann nicht alles sein! Ich wollte es nicht glauben, dass mit dem Tod alles aus ist und es eigentlich keinen Unterschied gibt, ob jemand gut oder schlecht gelebt hat. Der Tod erschien mir als sehr ungerecht.
Vorerst fand ich darauf keine Antworten. Ich erinnere mich noch, wie quälend ich damals das ständige Fragen meiner kleinen Nichte nach ihrem verstorbenen Vater empfand. Sie fragte immer wieder: "Wann kommt Papa heim?" "Wo ist er denn?" Ich brachte es nicht über das Herz ihr zu sagen, dass er nicht mehr kommen wird, weil er tot war. Als wir dann einmal am Friedhof an seinem Grab standen, es war eisiger Winter, alles lag tief verschneit unter der Schneedecke, sagte ich zu ihr: "Dein Papa ist jetzt da!" Eine andere Antwort hatte ich nicht.
Doch meine Nichte, ohne auch nur einen Moment zu überlegen, antwortete mir: "Nein, da ist mein Papa nicht, da ist es viel zu kalt da drinnen!" Das machte mich sprachlos. Ich spürte wieder eine große Leere und Ratlosigkeit. Dann begann ich zu überlegen: Was ist das Leben? Wofür lohnt es sich zu leben - wirklich? Ungefähr zweieinhalb Jahre später als ich mit den beiden Kindern meines verstorbenen Bruders spazieren ging, da erfüllte mich plötzlich ein tiefer innerer Friede und eine unbeschreibliche Sicherheit. Plötzlich spürte ich einen unglaublich tiefen Frieden in mir und ich wusste: "Jesu lebt, er ist auferstanden und mein Bruder mit ihm." Diese Freude, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte, ließ mich daran glauben, dass das Leben mit dem Tod nicht endet. Ich hatte so eine innere Gewissheit, ja Hoffnung: Meinem Bruder geht es gut, er ist bei Jesus. Ich habe das niemandem erzählt, denn mir schenkten diese Gedanken so viel Kraft, Trost, Freude und ein großes Vertrauen, obwohl sie das "Warum" nicht erklären. Auch wenn ich damals noch nicht viel verstanden hatte, fühlte ich mich so getröstet. Ich wusste auch, mein Bruder kommt nicht zu mir zurück, aber er ist da, bei Jesus. Jetzt spürte ich ein großes Verlangen, eine tiefe Sehnsucht, Jesus besser kennenzulernen. Damals war ich 18 Jahre alt.
Ich begann wieder regelmäßig in die Heilige Messe zu gehen und die Kommunion zu empfangen. Dies wurde und ist bis heute eine wichtige Kraftquelle in meinem Leben. Damals arbeitete ich als Schneiderin und hatte zwei Arbeitskolleginnen, die auch sehr gläubig waren. Wir wurden Freundinnen und besuchten verschiedene Angebote zur Glaubensvertiefung miteinander. Wir haben bei Exerzitien viel über das nachgedacht, woran wir glaubten. Ich kaufte meine erste eigene Bibel. Ich fand darin endlich Antworten auf meine Fragen. Ich fand Jesus und in Jesus fand ich Orientierung für mein Leben. Ich finde diesen Satz so schön: Jesus selbst bezeugt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" (Joh 11,25). Ich habe mich damals oft gefragt: Was heißt das, wie wirkt sich das auf mein Leben aus?
Heute weiß ich, dass Jesus mit mir mitgegangen ist, dass er mich gehalten und getröstet hat, mich und meine ganze Familie, die von diesem plötzlichen Tod meines Bruders so herausgefordert wurde. Auch wenn jeder anders mit der Trauer umgegangen ist, spürte ich, dass Gott mit uns ist. Und dass es meinem Bruder heute gut geht. Es fiel mir am Anfang nicht leicht, an die Kraft von Ostern zu glauben. Doch heute weiß ich, dass Jesus lebt. Jesus ist das Leben, das uns mehr Kraft für das eigene Leben schenkt. Es war die Frage: "Was bedeutet Ihnen Jesus?", die mich dann meine Berufung erkennen ließ und mich mit 24 Jahren ins Kloster führte. Obwohl ich damals auch den Wunsch nach einer großen Familie hatte. Ich wurde Ordensfrau. Bis heute trägt mich mein starker Glaube an die Auferstehung.
In der Fastenzeit denke ich immer wieder über den Tod und das Sterben nach, besonders im Blick auf Jesus, der für uns am Kreuz stirbt - aus Liebe! Jesus gibt sein Leben hin für seine Freunde, für seine Feinde, für die ganze Welt, ja, auch für mich, für jeden und jede ganz persönlich. In jeder heiligen Messe vollzieht sich diese Liebeshingabe Jesu, wenn der Priester die Hostie erhebt und dabei spricht: "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird". Still bete ich dann weiter: "Am Holz des Kreuzes, aus Liebe zu mir. Jesus ich bete dich an und danke dir, dass du mich erlöst hast". Ich glaube daran: Jesus Christus lebt und unsere lieben Verstorbenen mit ihm. Halleluja! Ein gesegnetes Osterfest!"