Vor der geplanten Abschaltung der letzten Meiler am Samstag

Auch katholische Kirche uneinig über bevorstehendes Aus für Atomkraft

Veröffentlicht am 13.04.2023 um 13:29 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Am Samstag werden die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Auch wenn dieses Datum lange feststand, ist nun noch einmal eine kontroverse Debatte über die Entscheidung entbrannt. Kirchenvertreter befürworten zwar mehrheitlich das Ende des Atomzeitalters. Doch es gibt auch mahnende Stimmen.

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Kurz vor der für diesen Samstag geplanten Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke gehen analog zu den Debatten in der Bevölkerung auch in der katholischen Kirche die Meinungen über diesen Schritt auseinander. Während das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) den Ausstieg aus der Atomenergie am Donnerstag begrüßten, äußerte der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) Kritik an der Abschaltung zum jetzigen Zeitpunkt.

"Der Ausstieg aus der Kernenergie ist richtig. Kernenergie ist nicht ökologisch nachhaltig", erklärte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp auf Anfrage von katholisch.de. Weil eine ökologische und gleichermaßen soziale Transformation Kernaufgabe im 21. Jahrhundert sei, sei die Entscheidung zum Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland zu begrüßen. Stetter-Karp verwies darauf, dass das ZdK das Europäische Parlament im vergangenen Juli davor gewarnt habe, Kernenergie und Gas für weitere Jahrzehnte zu ökologisch nachhaltigen Energieträgern zu deklarieren. "Damals habe ich gesagt: 'Das Zusammentreffen von Pandemieerfahrung, Krieg in Europa und Klimakatastrophe muss Bestärkung sein, die notwendigen grundlegenden Veränderungen nicht zu stoppen, sondern kraftvoller voranzutreiben'", so die 66-Jährige am Donnerstag.

Podschun: Allerhöchste Zeit, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden

Stetter-Karp erklärte weiter, dass die ZdK-Vollversammlung diese Haltung im Dezember mehrheitlich bekräftigt habe. In dem damals veröffentlichten Beschluss des Gremiums heißt es wörtlich: "Strom aus Wind und Sonne ist schon heute günstiger in der Erzeugung als Strom aus Kohle, Gas und Uran. Auch in Deutschland." Die ZdK-Präsidentin betonte vor diesem Hintergrund, dass ein Weiterbetrieb der letzten verbliebenen deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 zum jetzigen Zeitpunkt "den Notwendigkeiten und Zielen der Energiewende" entgegenstehen würde. Zudem müssten die Kraftwerke dann aufwendig gewartet werden. "Die Kosten und Unwägbarkeiten des Weiterbetriebs stünden in keinem akzeptablen Verhältnis zum Nutzen. Wir brauchen die Energiewende. Jetzt mehr denn je", so die oberste deutsche Laienvertreterin.

Ähnlich äußerte sich am Donnerstag gegenüber katholisch.de auch der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun: "Es ist aus unserer Sicht allerhöchste Zeit, dass die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, um damit das Zeitalter der Atomkraft in Deutschland endgültig zu beenden." An den Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima habe die ganze Menschheit hautnah miterleben können, wie verheerend und zerstörerisch Atomkraft für Mensch, Tier und Umwelt sei. Nur mit einem hundertprozentigen Einsatz von Erneuerbaren Energien könne man in eine klimagerechtere Zukunft starten. "Deshalb fordern wir als BDKJ von der Bundesregierung einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auf 80 Prozent bis 2030 sowie eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz", erklärte Podschun.

Gregor Podschun
Bild: ©Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun fordert von der Bundesregierung "einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auf 80 Prozent bis 2030 sowie eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz".

Kritik am bevorstehenden Ende des Atomzeitalters in Deutschland kam dagegen vom BKU-Vorsitzenden Ulrich Hemel. "Immer noch gut laufende Kernkraftwerke abzuschalten – das halten wir für eine unangemessene Übertreibung, die der Umwelt schadet und nicht nutzt", sagte Hemel im Gespräch mit katholisch.de. Sein Verband hätte sich einen "etwas längeren Streckbetrieb" der Kraftwerke vorstellen können. Dadurch wäre die grundsätzliche Entscheidung zum Atomausstieg nicht in Frage gestellt worden. Gleichzeitig, so der 66-Jährige, hätte ein längerer Betrieb der Meiler auch den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung genutzt. Er kritisierte in diesem Kontext, dass die Bundesregierung den Ausbau Erneuerbarer Energien bislang nicht stärker betrieben habe und stattdessen nun mit einer wieder stärkeren Kohleverstromung auf eine Energieform der Vergangenheit zurückgreife.

Hemel verwies zudem auf das weiterhin bestehende Problem fehlender Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland. "Im Norden wird sehr viel Windenergie erzeugt, die wir wegen der fehlenden Stromleitungen aber nicht angemessen in den Süden kriegen", so der BKU-Vorsitzende. Das führe im Extremfall dazu, dass Windkraftanlagen trotz wehenden Windes abgeschaltet werden müssten, weil der von ihnen produzierte Strom nicht in das Stromnetz eingespeist werden könne. "Und im Süden mit seinen vielen Industriebetrieben muss dann sehr teurer Strom aus der Schweiz und aus Frankreich zugekauft werden", betonte der Theologe und Manager.

Sorge vor Abwanderungswelle von Unternehmen ins Ausland

Mit Blick auf die Unternehmen gerade in stromintensiven Branchen warnte Hemel vor einer Abwanderungswelle ins Ausland. Als die Strompreise im vergangenen Jahr so stark angestiegen seien, hätten viele Betriebe eigentlich geplante Investitionen in Deutschland zunächst zurückgestellt, und inzwischen wachse die Zahl der Unternehmen, die sogar ganz aus Deutschland weggingen. "Der Strompreis spielt bei diesen Entscheidungen eine große Rolle, weil er in vielen Produktionsprozessen von enormer Bedeutung ist", sagte der BKU-Vorsitzende. Er äußerte in diesem Zusammenhang die Sorge, dass die "industrielle Grundlage der Wertschöpfung" in Deutschland "uns nicht mehr gut in die Zukunft" tragen könne.

Unter dem Eindruck der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2011 ihren vorherigen Beschluss für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke zurückgenommen und den Atomausstieg bis Ende 2022 eingeleitet. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im vergangenen Oktober nach langem Streit in der Ampelkoalition den Betrieb der drei verbliebenen Kraftwerke mit einem Streckbetrieb bis Mitte April verlängert, um angesichts der befürchteten Gaskrise im vergangenen Winter genug Strom zu haben. Die Nutzung der Atomkraft zur Stromerzeugung hatte in der Bundesrepublik 1960 begonnen. (stz)