Weltsynode in Europa: Spannungen und vorsichtige Wünsche
Die Vielfältigkeit der Kirche in Europa ist ein Reichtum, hält die Prager Versammlung fest. Doch diese Vielfalt führt auch zu Spannungen – und solche waren auch beim europäischen Kontinentaltreffen (5. bis 11. Februar 2023) im Rahmen des weltweiten Synodalen Prozesses erkennbar. "Unsere Arbeit war reichhaltig und spannend, wenn auch nicht ohne Probleme und Schwierigkeiten", heißt es im nun offiziell veröffentlichten Abschlussdokument des Treffens. Das Papier macht eine Bestandsaufnahme der Situation der Kirche in Europa und der Debatten, die in ihr geführt werden – auch zu Themen wie der Weihe von Frauen oder zur Inklusion der Formen von Liebe und Sexualität, die der kirchlichen Morallehre nicht entsprechen.
Rund zwei Monate hat die abschließende Redaktion des bereits zum Abschluss des Treffens verlesenen Entwurfs gedauert. Die Delegationen aus allen Teilen Europas hatten nochmal Gelegenheit, Ergänzungs- und Formulierungsvorschläge zu machen, ehe das Dokument in die endgültige Form gebracht wurde. Der auf Italienisch und Englisch verfügbare Text umfasst rund 25 Seiten und ist seit Beginn der Woche auf der offiziellen Webseite des Synodensekretariats abrufbar. Er will, wie vom Vatikan gefordert, ausdrücklich "die von den Ortskirchen vorgebrachten Spannungen festhalten". Er sei aber nicht "als Hinweis auf operative Strategien der europäischen Kirchen" zu den Fragen zu verstehen, die die Weltbischofssynode erörtern werde.
Negative Haltung gegenüber Welt unfruchtbar
Grundlage der Beratungen in Prag war das im Oktober durch das Synodensekretariat veröffentlichte Vorbereitungsdokument für die kontinentale Phase der Weltsynode (DCS). Die Versammlung hatte den Auftrag, dessen Punkte aus der jeweiligen kontinentalen Perspektive zu reflektieren. Deshalb wiederholt das Prager Abschlussdokument in großen Teilen das DCS und bezieht es auf den spezifisch europäischen Zusammenhang.
Bei der Beschreibung, in welchen Kontext die Kirche in Europa eingebettet ist, spricht das Papier von den "Wunden", die der kirchliche Missbrauchsskandal verursacht hat. Es würdigt die Vielfalt des kirchlichen Lebens in Europa, die jedoch auch Konflikte erzeuge – zwischen Ost- und Westeuropa, aber auch zwischen Ländern mit einer starken katholischen Tradition und solchen, in denen Katholiken seit Jahrhunderten eine Minderheit bilden. Und es spricht nicht zuletzt vom "Phänomen der Säkularisierung". Dabei hält es fest, dass eine negative Haltung, die die Welt und die Gesellschaft verurteilt, unfruchtbar sei. "Wir haben der Welt viel zu bieten, aber wir haben auch viel von ihr zu empfangen. Die Offenheit gegenüber der Welt kann uns helfen, das Evangelium besser zu verstehen" (16).
Arbeitspapier der Bischofssynode: Das Ende des Weltkirche-Arguments
Das Arbeitsdokument für die Bischofssynode zeigt – wie wohl noch kein Vatikan-Papier zuvor –, wie divers und vielfältig Katholiken in aller Welt leben. Priesterkinder, Frauenweihe und polygame Beziehungen sind nur einige Stichworte, die sich in dem gestern vorgestellten Bericht wiederfinden
Das europäische Dokument betont die Wichtigkeit, "Einheit in der Vielfalt" zu wahren und "der Versuchung der Uniformität" zu entgehen. Zudem wirbt es dafür, "andere [in der Kirche] willkommen zu heißen". Für den Weg zu einer synodaleren Kirche identifiziert das Dokument in Auseinandersetzung mit dem DCS mehrere Punkte, die aus europäischer Perspektive wichtig sind. Darunter sind die Wiederentdeckung der gemeinsamen Taufwürde, der Dialog als eine Lebensform der Kirche, die Rolle der Frau sowie der Umgang mit marginalisierten Gruppen. Mit Blick auf die gemeinsame Würde aller Getauften wird betont, dass sich aus ihr die gemeinsame Verantwortung für die Erbauung und Sendung der Kirche ableite (25). Von der Betonung der gemeinsamen Taufe kommt das Dokument direkt zur Frage der Rolle von Frauen in der Kirche: Die Einbeziehung von Frauen sei "eine verantwortungsvolle Umsetzung der Theologie des gemeinsamen Priestertums der Gläubigen" (26). Generell sei das Thema der Beteiligung von Frauen bei der Prager Versammlung sehr präsent gewesen, da sich die Beiträge praktisch aller Delegationen damit befasst hätten (46).
Einigkeit besteht auch darüber, dass Synodalität institutionalisierte Formen braucht. Sie sei ein Weg, "die Kirche weniger klerikal, kalt und bürokratisch zu machen, wie es einige, vor allem junge Menschen, fordern" (50). Mehrfach ist in dem Dokument davon die Rede, dass es eine Versammlung wie die in Prag – also eine auf gesamteuropäischer Ebene – künftig turnusmäßig geben sollte. Beim Thema Umgang mit marginalisierten Gruppen und deren Wunden nimmt das Dokument auch LGBT-Personen in den Blick: "Eine Reihe von Delegationen äußert den dringenden Wunsch, etwas zu unternehmen, denn viele Menschen und Gruppen fühlen sich in unserer Kirche abgelehnt, herabgewürdigt und diskriminiert, oft leider auch zu Recht. Sie wünschen sich sichere Begegnungen und einen ehrlichen Dialog auf Augenhöhe" (40).
Lehre vs. Pastoral?
Klingen bei all diesen Themen im Dokument trotz grundsätzlicher Einigkeit an manchen Stellen bereits Spannungen an, werden sie gerade im 3. Kapitel des Papiers klar benannt. In diesem Abschnitt werden verschiedene Stellungnahmen oft nur nebeneinandergestellt – auf eine Kommentierung oder Einordnung wird verzichtet. Zunächst geht es um das Thema "Wahrheit und Gnade" – oder mit anderen Worten: Lehre und pastorale Praxis. "Man erkennt die Dringlichkeit einer wirklichen Nähe zu all jenen, die [...] ausgegrenzt, Opfer von Ungerechtigkeit und Vorurteilen sind und deren Würde mit Füßen getreten wird", heißt es einerseits. Doch gleichzeitig wird die Gefahr gesehen, "dass dies zu einer Verwässerung der Forderungen des Evangeliums führen könnte, während die Kirche die christliche Wahrheit authentisch und klar vermitteln muss" (55). Unter dem Abschnitt "Tradition und Aggiornamento" liest man Ähnliches: Während die einen von dem Prozess eine innere Reform und eine Antwort auf die Herausforderungen der heutigen Welt in der Kirche erwarten, äußern andere die Sorge, dass die Annahme von Änderungen die Integrität der Kirchenlehre gefährden würde (63f.).
Auch auf Spannungen im Bereich der Liturgie geht das Dokument ein, insbesondere beim Thema vorkonziliare Messe. So wird festgehalten, dass diese Spannungen Ausdruck von Konflikten in der Ekklesiologie sind. Zur Sprache kommen auch Probleme im Bereich der Predigt. Es gelte auf "die Ausbildung und Unterstützung der Priester zu achten, die dem Volk Gottes nahe sein müssen und die Nähe der ganzen Kirche auch durch die Einfachheit der Predigt zum Ausdruck bringen müssen" (68).
Wenn es um das Thema Mitverantwortung aller Gläubigen in der Kirche geht, spricht das Dokument wertschätzend von der Beteiligung an der Leitung der Kirche auf allen Ebenen als eine der sichtbarsten Erscheinungsformen des gemeinsamen Priestertums und der Synodalität (73). Doch während es etwa aus Belgien heißt, es gebe den Wunsch nach einer synodalen Kirche ohne klerikale Unterschiede in der Ausübung aller Ämter, heißt es aus Ungarn, dass die Einbeziehung der Laien eine Möglichkeit sei, die Sendung der Ordinierten zu ergänzen, aber nicht zu ersetzen.
Wenig später wird auch die Frage nach einer Öffnung der Zugangsvoraussetzungen für das Weiheamt behandelt. Hier zeigt sich, dass diese Frage je nach Land eine unterschiedliche Relevanz hat, was auch an einigen Beispielen belegt wird: Während etwa die Frage nach dem Frauenpriestertum mancherorts kein großes Thema sei, werde dies anderswo als Voraussetzung für eine fruchtbarere Kirche in Europa betrachtet (76). Eine Übereistimmung zeige sich aber in diesem Kontext: "Förderung der echten und wirksamen Mitverantwortung des Gottesvolkes, Überwindung des Klerikalismus" (77). Dabei gehe es nicht nur um den Platz der Frauen in der Kirche, sondern um ein Verständnis für die Vielfalt der Ämter als Ausdruck des synodalen Charakters der Kirche.
Vorsichtige Forderungen
So formuliert das Prager Abschlussdokument schließlich die europäischen "Prioritäten" (92) für die Weltbischofssynode, die das DCS von jeder kontinentalen Zusammenkunft verlangt, auch ziemlich vorsichtig. Es betont die Notwendigkeit, konkrete und mutige Entscheidungen über die Rolle der Frau in der Kirche und über ihre stärkere Beteiligung auf allen Ebenen, auch an Entscheidungsprozessen, zu treffen. Es formuliert den Wunsch, Formen für eine synodale Autoritätsausübung zu erkunden. Und es richtet an die Synode die Bitte, Kriterien zu bestimmen, welche Entscheidungen auf welche Ebene der Kirche gehören – von der lokalen bis zur universalen.
Und wie soll die Kirche in Europa mit den Spannungen umgehen? "Ohne Spannung fällt das Zelt in sich zusammen, während zu viel Spannung es beschädigt", heißt es im Prager Abschlussdokument – in Anspielung auf den Titel des Arbeitsdokuments für die kontinentale Etappe des weltweiten synodalen Prozesses, das Jesaja-Zitat "Mach den Raum deines Zeltes weit". Das Aushalten von Spannungen sei eine wichtige Herausforderung – und sie könne ein Anlass sein, sich auf die Suche nach kreativen Lösungen für ihre Überwindung zu machen, wie eine Delegation zitiert wird. Der Text aus Prag wird in das Instrumentum laboris für die Weltbischofssynode im kommenden Herbst in Rom einfließen. Viele europäische Christen dürften hoffen, dass sich diese anschickt, kreative Lösungen für manche Fragen zu finden.
Hinweis
Das Abschlusspapier des Prager Kontinentaltreffens ist auf der Webseite des vatikanischen Synodensekretariats abrufbar.