Kirche könne viel lernen von moralischer Sensibilität moderner Gesellschaften

Goertz für Prinzip der sexuellen Selbstbestimmung in Sexuallehre

Veröffentlicht am 25.04.2023 um 13:24 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Liberale Gesellschaften halten das Prinzip sexueller Selbstbestimmung hoch – im Gegensatz zur traditionellen kirchlichen Sexualmoral. Davon könne die Kirche etwas lernen, meint Moraltheologe Stephan Goertz – ohne dass das Relativismus bedeuten würde.

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Der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz hält es für notwendig, dass die Kirche sich zum Prinzip der sexuellen Selbstbestimmung bekennt. Hinter dem Konsens-Prinzip stehe weit mehr ethische Wertschätzung der Personal als hinter dem traditionellen Natur-Prinzip der katholischen Sexualethik, schreibt der Theologe in der aktuellen "Herder-Korrespondenz" (Mai-Ausgabe). Die Kirche könne einiges lernen von der moralischen Sensibilität liberaler Gesellschaften, die nicht als bloße Mehrheitsmeinung relativiert werden sollte, so Goertz. Die mit dem Konzept der Selbstbestimmung verbundene Humanisierung der Sexualität dürfe man nicht verschweigen. Dagegen stimme es nicht, dass die christliche Sexualmoral stets für eine Kultivierung der menschlichen Sexualität im Sinne personaler Freiheit und Liebe eingetreten sei.

Goertz wendet sich dagegen, dass mit sexueller Selbstbestimmung eine Einebnung sittlicher Forderungen einhergehe. In der Tat stimme es, dass dabei die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht länger maßgeblich sei. Stattdessen zähle der wechselseitige Respekt der körperlichen und damit untrennbar verbundenen seelischen Integrität der Beteiligten, so der Theologe weiter: "Entspricht dies nicht den besten Intentionen einer christlichen Anthropologie, die an die Autonomie-Würde des Menschen glaubt?"

Reformunruhe als Kehrseite langer Dialogverweigerung

Die Kritik am Synodalen Weg, dort seien theologische Diskussionen über die Sexualmoral zu kurz gekommen, lässt Goertz nicht zählen. Die theologische Literatur der vergangenen Jahrzehnte zeige, dass es in der Kirche genug Gelegenheit gegeben habe, sich in aller Sorgfalt mit den Argumenten zu befassen, die eine Revision der Lehre begründeten. "Wer klagt, der Synodale Weg habe für die inhaltliche Auseinandersetzung zu wenig Raum gelassen, hat womöglich verpasst, sich beizeiten kundig zu machen", betont der Theologe. Die Reformunruhe sei die Kehrseite einer langen Dialogverweigerung: "Selten wird bedacht, dass die Verhinderung des freimütigen theologischen Gesprächs von eben den Dokumenten und Personen herrührt, über deren Position es nun heißt, dass man sie nicht in Ruhe zur Geltung habe bringen können." Goertz bezieht sich damit auf die von Papst Johannes Paul II. vorgelegte Lehre zur Sexualität und zur menschlichen Person. Wer davon ausgehe, dass die christliche Anthropologie in seinem Pontifikat "ihren geschichtlich unüberbietbaren Zielpunkt erreicht hat", sollte das sagen und das Urteil begründen: "Wenn dies nicht begründet wird, warum sollte man dieser Überzeugung aus freier Einsicht folgen?"

Goertz sieht in der Sexualmoral von Johannes Paul II. einen "Vorrang des Naturzwecks der Reproduktion, in dem sich der sittlich fordernde Wille Gottes offenbare". Die Formulierung von einer "idealen Einheit" zwischen der Fortpflanzungs- und der Vereinigungsdimension verschleiere aber, "dass damit am Ende die antik-mittelalterliche Unterscheidung zwischen naturgemäßer und naturwidriger Sexualität festgeschrieben wird". Für den Moraltheologen steht dagegen fest, dass das Gut der Fortpflanzung kein Gut ist, das niemals mit anderen Gütern konkurrieren kann. "Der humanwissenschaftliche Einwand, dass dies eine reduktionistische Wahrnehmung menschlicher Sexualität sei, wird dabei ebenso übergangen wie der ethische Hinweis, dass sich aus einer biologischen Gesetzmäßigkeit menschlicher Geschlechtlichkeit nicht absolut verpflichtende Gebote ableiten lassen." (fxn)