Erneut digitale Sprechstunde zu Missbrauch im Erzbistum Berlin
Das Erzbistum Berlin setzt bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt durch Geistliche verstärkt auf Veranstaltungen in den Kirchengemeinden. Seit Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens der Anwaltskanzlei "Redeker Sellner Dahs" vor zwei Jahren fanden sechs solcher Treffen von Erzbischof Heiner Koch mit Mitgliedern betroffener Gemeinden statt, sagte die Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Birte Schneider. Bei einer "digitalen Sprechstunde" mit Koch und dem Verwaltungschef des Erzbistums, Generalvikar Manfred Kollig, erklärte sie am Mittwochabend, dass sich die meisten der zuvor noch nicht bekannten Betroffenen nach solchen Veranstaltungen gemeldet hätten.
Das Gutachten "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich des Erzbistums Berlin seit 1946" listet 61 beschuldigte Geistliche auf, von denen mindestens 121 Kinder betroffen waren. Seit 2021 wurden dem Erzbistum nach eigenen Angaben weitere 25 Verdachtsfälle bekannt. Sie betrafen teilweise Geistliche, die vorher nicht beschuldigt worden waren. Die meisten sind jedoch längst gestorben und können nicht mehr belangt werden.
Erstmals Täterinnen und Täter als Gruppe
Schneider äußerte sich auch zu den jüngst bekannt gewordenen Fällen, in denen laut Erzbistum eine Gruppe von jeweils sechs Priestern und Ordensfrauen in Berlin "gemeinsam sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen planten und durchführten". Auch sie seien meist bereits verstorben – oder hochbetagt. Die noch lebenden Beschuldigten würden mit den Vorwürfen konfrontiert, versicherte das Erzbistum. Von den Taten betroffen waren Anfang der 1960er Jahre Minderjährige an der Neuköllner Marienschule und der Wilmersdorfer Grundschule Sankt Ludwig. Die Interventionsbeauftragte betonte, in diesen Fällen handle es sich im Erzbistum Berlin erstmals um die Situation, dass es nicht um jeweils einen Beschuldigten und einen oder eine Betroffene gehe, sondern dass mehrere mutmaßliche Täterinnen und Täter gegenüber den Betroffenen als Gruppe aufgetreten seien. In die Aufarbeitung dieser Fälle würden auch die Schulen weiter eingebunden, versprach Schneider.
Provinzoberin Edith Bremer von den Elisabethschwestern sagte, dass ihr die in diesem Zusammenhang gegen Mitglieder ihres Ordens erhobenen Beschuldigungen erst seit wenigen Wochen bekannt und von ihren Mitschwestern mit "großem Erschrecken" aufgenommen worden seien. Eine Aufklärung der Vorwürfe erschwere es jedoch, dass die bereits als Täterin beschuldigte Schwester und alle Ordensmitglieder, die sie persönlich kannten, nicht mehr lebten.
Zu Vorwürfen, dass das Erzbistum in die Aufarbeitung von Missbrauch den Betroffenenbeirat zuwenig einbeziehe, erklärte Erzbischof Koch, er nehme diesen Eindruck "sehr ernst und als Mahnung". Die Warnung von Betroffenen, sich im Falle von Beschuldigungen nicht an die Kirche zu wenden, weil es dort keine unabhängige Prüfung gebe, wies der Generalvikar zurück. Dieser Vorwurf sei inzwischen unberechtigt, hielt Pater Kollig dem entgegen. Nach ihrer Interventionsordnung seien die deutschen Bistümer verpflichtet, alle Fälle an die zuständigen Staatsanwaltschaften zu melden. Wer als Betroffener bei der Suche nach Hilfe anonym bleiben wolle, dem vermittle das Erzbistum Hilfe bei der Fachberatungsstelle "Kind im Zentrum".