Rechte der Betroffenen hätten gegenüber denen der Täter Vorrang

Bistum Aachen will Namen von Missbrauchstätern nennen

Veröffentlicht am 08.05.2023 um 14:54 Uhr – Lesedauer: 

Aachen ‐ Die Interessen der Betroffenen seien denen der Täter vorrangig: Das Bistum Aachen plant, die Namen der Täter von sexualisierter Gewalt in der Diözese zu veröffentlichen. Dabei will es sich nicht nur auf die Fälle im Gutachten von 2020 beschränken.

  • Teilen:

Das Bistum Aachen will die Namen von Tätern sexualisierter Gewalt öffentlich nennen. Die Diözese habe sich nach "intensiver Beratung" mit dem Ständigen Beraterstab zu diesem Schritt entschieden, heißt es am Montag in einer Pressemitteilung. Demnach werden interdisziplinäre Fachexperten in Absprache mit den verschiedenen Gremien, die die Missbrauchsaufarbeitung kontrollieren und begleiten, eine Systematik erarbeiten, die als Grundlage für die öffentliche Nennung dienen soll. Diese soll bis Herbst vorgelegt werden. Neben dem Ständigen Beraterstab und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission werde auch der Betroffenenrat beteiligt.

Veröffentlicht werden sollen nicht nur die Namen der Täter, die im Aachener Missbrauchsgutachten aus dem Jahr 2020 genannt werden, sondern in begründeten Einzelfällen auch darüber hinaus, heißt es weiter. Als Täter gälten diejenigen, die entweder verurteilt wurden oder nach Überzeugung des Bistums Täter waren oder sind. Damit sollen bislang noch unbekannte Betroffene aufgerufen werden, sich zu melden. "Betroffene müssen sich anvertrauen können und dürfen keine neuen Ohnmachtserfahrungen machen", betont Bischof Helmut Dieser. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit.

Dunkelfeld weiter erhellen

"Wenn es um die Wahrung der Rechte und den Schutz der Betroffenen geht und dies eine Veröffentlichung der Namen von Tätern erforderlich macht, dann ist dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch der Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten der Täter und deren Bedürfnis nach Anonymität einzuräumen", erklärte Hans Wimmer, Richter im Ruhestand und Mitglied des Ständigen Beraterstabes. Dies sei auch in der gemeinsamen Erklärung festgelegt, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vereinbart worden ist. Die Gemeinsame Erklärung trifft zum Umgang mit Persönlichkeitsrechten von Tätern und Beschuldigten keine Regelung. Das Bistum bezieht sich auf einen Passus, demzufolge die Diözesen die individuelle Aufarbeitung der Betroffenen als Prozess respektieren, "der sich grundsätzlich an den Interessen, Verarbeitungsphasen und –bedürfnissen der Betroffenen orientieren soll". Christoph Urban, Leiter der Stabsabteilung "Prävention – Intervention – Ansprechpersonen" des Bistums Aachen, ergänzte, dass es das Dunkelfeld weiter zu erhellen gelte. Jeder Fall müsse individuell betrachtet werden.

Bei der öffentlichen Nennung von Tätern, die im Ausland im Einsatz waren, bedürfe es mit Blick auf Betroffene besonderer Sensibilität, so das Bistum. In einigen Teilen der Welt würden Betroffene sexualisierter Gewalt immer noch selbst für das Verbrechen verantwortlich gemacht, werden aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und stigmatisiert.

Die Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW) hatte im November 2020 ein Gutachten über Missbrauchsfälle im Bistum Aachen veröffentlicht. Laut der Anwälte gab es Übergriffe von 81 Klerikern, darunter zwei Diakone. Die Zahl der Opfer beläuft sich auf 175, darunter fast drei Viertel männlich. Hochrangigen Bistumsvertretern der Vergangenheit wird attestiert, mehr am Schutz der Täter orientiert gewesen zu sein als an der Fürsorge für die Opfer. (mal)