Bischof zu Reformen: Rom sollte besser zuhören und weniger kritisieren
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Johan Bonny ist Bischof von Antwerpen. Beim Synodalen Weg in Frankfurt hat er mit einem Statement großen Eindruck hinterlassen. Für seine "außerordentlichen Verdienste" um die Erneuerung der katholischen Lehre von Ehe, Familie und anderen Beziehungs- und Lebensformen, erhält er nach Pfingsten die Ehrendoktorwürde der Uni Bonn. Im Interview erklärt Bonny, weshalb die flämischen Bischöfe Homosexuelle segnen – und der Vatikan damit kein Problem hat. Zudem wirft er einen Blick von außen auf den Konflikt zwischen Rom und Deutschland.
Frage: Im März hat Ihr Gastbeitrag bei der letzten Vollversammlung des Synodalen Weges für Aufsehen gesorgt, weil Sie der deutschen Kirche erklärt haben, wieso die flämischen Bischöfe eine Handreichung zu Segensfeiern für homosexuelle Paare veröffentlichen konnten, ohne Widerspruch aus dem Vatikan zu hören. Sie selbst treten bereits seit 2015 für solche Segensfeiern ein. Rein auf dem Papier stellen Sie sich als Bischof damit gegen den Willen des Vatikans, dem Sie eigentlich zum Gehorsam verpflichtet sind. Sie sagen, man müsse das Thema anders deuten, aber bringt Sie das nicht in einen Gewissenskonflikt?
Bischof Johan Jozef Bonny (Bischof von Antwerpen): Nein, weil es um den Papst geht. Nicht jeder Mann in Rom ist Papst. Ich habe persönlich zweimal mit dem Papst über diese Themen gesprochen. Aus meinen Gesprächen weiß ich, wie meine Beziehung mit Papst Franziskus aussieht – wir sprechen "cum petro et sub petro" – ("mit und unter Petrus", d. Red.). Aber nicht der ganze Vatikan ist "cum petro et sub petro".
Auch im Vatikan gibt es verschiedene Positionen und Entwicklungen. Die theologischen Fakultäten in Rom gehören auch zum Vatikan und zur katholischen Kirche in Rom. Rom ist nicht nur ein Dokument oder ein Kardinal. Nein, Rom ist auch Einheit in Verschiedenheit.
Im Blick auf den Gehorsam zum Papst: Niemand von uns will ungehorsam gegenüber dem Papst sein. Das wäre das Letzte, was ich will. Darum habe ich auch zweimal ein Gespräch mit dem Papst gehabt. Das waren persönliche Gespräche. Ich werde nicht öffentlich sagen, was und wie er etwas gesagt hat, aber ich weiß, dass ich und wir nicht gegen den Papst gehen. Das ist sehr wichtig für mich und für die anderen Bischöfe in Flandern.
Frage: So haben Sie es auch erreicht, dass bis jetzt zu Ihren Plänen zum Segen für homosexuelle Paare kein Einspruch aus Rom kam. Schaut man sich die Pläne Deutschlands an, scheint man hier mit dem Vatikan im Dauerkonflikt zu liegen. – Wo ist der Unterschied? Was haben Sie hingekriegt, was wir nicht hingekriegt haben?
Bonny: Wir sind eine kleine Bischofskonferenz. Wir sind nur acht Diözesanbischöfe. Das ist weniger. Und über diese Themen sind wir uns untereinander vollkommen einig. Wir sprechen mit einer Stimme. Es gibt keine Spaltung oder Untergruppen in diesem Thema. Das hat der Papst auch gefragt in Rom, ob wir alle damit einverstanden sind. Und wir haben gesagt: Ja. Klar, es gibt immer leicht verschiedene Meinungen unter uns, aber grundsätzlich sind wir uns einig. Darum haben wir auch nur einen Text schreiben wollen und nicht acht verschiedene.
Die ganze Dynamik und die Spannungen zwischen Rom und Deutschland über den Synodalen Weg, so etwas haben wir hier nicht. Der Kontext ist nicht problematisch oder nicht belastend, was es für uns, denke ich, ein bisschen einfacher macht. Wir sind eine kleine Konferenz, über die großen Themen sind wir uns einig. Man könnte auch sagen: Wir sind keine große Gefahr für Rom.
Deutsch liest man nicht in Rom und noch weniger Flämisch. Das ist eine kleine Sprache. Deutsche Theologiestudenten, Professoren und Bischöfe gibt es in allen Kontinenten, so auch in Rom. Die deutsche Stimme ist wichtiger als die Flämische. Ich denke, dass man in Rom auch besser sieht, was in Deutschland geschieht. Es gibt ja auch verschiedene deutsche Bischöfe und Kardinäle in Rom. Das haben wir auch nicht. Wir haben niemanden im Vatikan. Eine große belgische Präsenz im Vatikan mit Bischöfen und Kardinälen haben wir auch nicht. Das macht es auch einfacher, denke ich.
Was für mich aber sehr wichtig ist und womit ich gerne helfen möchte: Diese Spannung zwischen Deutschland und Rom ist nicht hilfreich. Auch in Rom sollten sie irgendwo besser zuhören und nicht so kritisch sein. Das hilft niemandem. Es gibt mehr Vorurteile als Urteile in dieser Diskussion. Es gibt mehr Vorurteile, persönliche Verletzungen, persönliche Geschichten auch der deutschen Bischöfe und Kardinäle in Rom. Das ist eine Mischung aus ihren persönlichen Erfahrungen und persönlichen Verletzungen mit theologischen Fragen und theologischer Verschiedenheit.
Frage: Liegt der Konflikt vielleicht auch im Unterschied der Mentalitäten? Die Deutschen wollen immer alles 100% korrekt und schwarz-auf-weiß haben. Sie kennen beide Seiten, weil Sie selbst 11 Jahre an der Kurie gearbeitet haben.
Bonny: Sicherlich, und das habe ich auch den deutschen Bischöfen bei meinem Grußwort zur Herbstvollversammlung 2022 in Fulda gesagt. Rom ist lateinisch geprägt, in allen Bereichen. Deutschland ist ja urgermanisch, wie auch wir in Flandern germanisch sind. Das ist ein großer Unterschied. In Rom sagt man zum Beispiel: Sie können es machen, aber sie sollen es nicht sagen. Bei uns hingegen sollte das, was man tut und das, was man sagt, so stark wie möglich übereinstimmen.
Im Süden ist es nicht so. Im Süden soll man eine gute Figur machen – "bella figura". Das ist hier nicht so, "bella figura" hilft nicht bei uns. Es soll vor allem alles richtig und korrekt sein. Das Richtige ist für uns wichtiger als das Schöne. Es soll nicht schön aussehen, aber es soll richtig sein. Ein großer Professor kann bei uns in Jeans seinen Kurs halten. In Italien nicht. Er soll erstens gut aussehen und dann kann er auch sprechen.
Das sind verschiedene Mentalitäten. Und diese deutsche Gründlichkeit mit vielen Fußnoten, das ist nicht lateinisch. Beide Seiten sind wichtig. Beide Seiten haben etwas, aber sie sollten besser zueinanderfinden. In früheren Jahrhunderten hat es immer wieder Spannungen gegeben, die in der Essenz nicht theologisch, aber kulturell waren.
Die ganze Reformation im 16. Jahrhundert war im Grunde ein kulturelles und kein theologisches Problem. Später ist es ein theologisches Problem geworden, aber es begann kulturell. Was Luther am Anfang fragte, war ganz germanisch. Aber man hat eine lateinische Lösung auf sein germanisches Problem finden wollen, und das geht nicht. Genauso, wie wir jetzt keine germanische Lösung für die lateinischen Fragen finden können. Aber die beiden sollten in der Kirche irgendwo zueinanderfinden – zum Wohl der Kirche.
Frage: Gehen wir noch mal auf die Synodalversammlung zurück und Ihren Impuls, den Sie da gesetzt haben. Es gibt Stimmen, die gesagt haben, dass gerade dieser Impuls dazu geführt hat, dass die Abstimmung zum Thema Segen für homosexuelle Paare eine Mehrheit gefunden hat, weil viele Leute im Plenum gesehen haben, dass es bei Ihnen in Flandern geklappt hat und deswegen vielleicht auch wir diesen Schritt gehen können. Finden Sie es gut, dass Deutschland da Ihren Worten gefolgt ist? Einerseits setzt man ja dadurch ein sehr starkes Zeichen, auf der anderen Seite geht man ja noch tiefer in den mit Rom existierenden Konflikt.
Bonny: Ich weiß nicht, ob mein Wort die Abstimmung geändert hat. Ich kann nicht in die Herzen gucken. Viele haben mir dafür danach "Danke" gesagt. Es muss aber etwas geschehen. Und das wissen sie in Rom auch, dass es so nicht bleiben kann. Wenn wir eine missionarische Kirche sein wollen, die die Frohe Botschaft Jesu auf eine neue Weise hier im Westen zur Sprache bringt, dann sollten wir auch eine Lösung für die Frage der Homosexualität finden.
Das ist nicht so in Afrika – noch nicht – und auch noch nicht so in Asien. Es kommt da sicherlich auch, aber hier sollte man doch eine Lösung für diese Frage finden, die übereinstimmend humanwissenschaftlich und biblisch begründet ist, zudem moraltheologisch und auch pastoral.
Der Papst weiß das auch. Er muss Hirte sein oder Vater von allen. Das verstehen wir. Er muss auch nicht immer Ja oder Nein auf alle Fragen sagen. Das Papsttum ist dazu nicht da, um auf jede Frage Ja oder Nein zu sagen wie im Mittelalter, aber dazu, um ein guter Hirte, ein guter Vater zu sein für die ganze Gemeinschaft, um die Gemeinschaft zusammen zu halten. Es ist ein Dienst der Einheit in der Kirche, Einheit in Verschiedenheit. Er soll die Familie zusammenhalten.
„Das Papsttum ist dazu nicht da, um auf jede Frage Ja oder Nein zu sagen wie im Mittelalter.“
In einer Familie sind es für Eltern und Großeltern ihre Kinder und Enkelkinder, die sie zusammenhalten wollen. Sie können aber nicht alle Fragen mit Ja oder Nein beantworten. Sie können aber ihr Haus, ihren Tisch und ihre Küche so einrichten, dass alle willkommen sind und bei ihnen zu Hause miteinander sprechen können. Das ist ein Dienst der Einheit.
Ein Papst ohne Verschiedenheit in der Kirche hat keinen Sinn und keinen Auftrag. Worin besteht er dann, wenn es keine Verschiedenheit gibt? Seine Großartigkeit ist, Gemeinschaft schaffen zu können und ein Ort zu sein, wo alle Verschiedenheiten einander treffen und miteinander leben können. Auftrag der Bischöfe ist, Verschiedenheit zu schaffen. Wir müssen nicht nur Einheit schaffen, wir sollen auch Verschiedenheit schaffen und diese Verschiedenheit mit nach Rom bringen in das Haus des Vaters, des Papstes.
Frage: Wir befinden uns auch im weltweiten synodalen Prozess. Im Oktober wird dann das erste große Treffen in Rom stattfinden. Mit welchen Erwartungen blicken Sie darauf?
Bonny: Ich blicke hoffnungsvoll darauf. Ich hoffe, dass alles dort gesagt werden kann, was auch hier gesagt wird. Ich habe auch einige Fragen, wie sie auf diese Verschiedenheit doch irgendwo Wege finden könnte für eine weitere Entwicklung. Und ganz besonders, wie man die Zuständigkeit der Bischöfe wieder unterstützen kann. Am Ende soll alles, was von den Bischöfen und ihren Gemeinden nach oben gegangen ist, wieder nach unten kommen. Dann müssen die Bischöfe mit ihren Gemeinden die besten Lösungen finden. Es soll enden, wo es angefangen hat.