Bedrohte Schätze: Herausforderungen für kirchliche Archive
2.000 Jahre Stadtgeschichte im Dreck, jahrhundertealte Urkunden von Kaisern und Erzbischöfen saugen sich mit Wasser und Schlamm voll. Diese Bilder gehen im Jahr 2009 um die Welt, als der Boden unter dem Kölner Stadtarchiv während eines U-Bahn-Baus nachgibt und alles mit sich reißt. Ähnliche Bilder dann nach der Ahrflut 2021: Wieder steht das kulturelle Erbe einer ganzen Region auf dem Spiel. Köln wie das Ahrtal sind katholisch geprägt, es geht in dieser Region also auch um den Schutz eines religiösen Erbes. Wie sieht es also mit dem Schutz der kirchlichen Vergangenheit aus?
"Die größte Gefahr für unsere Archivalien ist Wasser", sagt Ulrich Helbach, der Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums Köln. Zwar sei Feuer auch eine Bedrohung – der könne man jedoch relativ einfach begegnen. In seinem Archiv gibt es dafür Gasdrüsen, die ein chemisches Gemisch versprühen, das das Feuer erstickt, die Archivalien schont und die Menschen im Archiv so wenig einschränkt, dass sie noch die Flucht ergreifen können. "Man muss aber auch dazu sagen: Feuer kommt in Archiven relativ selten vor."
Anders ist es dagegen mit dem Wasser. Das kann von außen kommen, und der Klimawandel macht starke Regenfälle mit jedem Jahr wahrscheinlicher und häufiger. Es kann aber auch von innerhalb des Archivs kommen: Etwa durch einen Wasserschaden oder Rohrleitungen, die an den Archivalien vorbeiführen.
Bistumsarchive sind gewappnet
Für solche und andere Fälle sind die verschiedenen Bistumsarchive in Deutschland in der Regel gewappnet. So gibt es in den Archivräumen zum Schutz vor Bränden keine Steckdosen oder technische Geräte, es führen auch keine Rohre durch die Wände. Die Regale sind zudem im unteren Bereich leer. Wenn ein Raum also vollläuft, erreicht das Wasser erst spät Schriftstücke. Ähnliche Vorkehrungen gibt es etwa gegen kleine Schädlinge wie den Silberfisch oder Schimmel.
Wenn es dann doch zu einem Vorfall kommt, sind die großen Archive gerüstet. So liegen überall Notfallboxen, mit denen beschädigte Archivalien schnellstmöglich "verarztet" werden können, es gibt Alarmketten und vororganisierte Arbeitsabläufe. Zudem gibt es etwa in Köln einen Notfallverbund: Wenn es bei einem der Archive der Stadt zu einem Unglück kommt, helfen die anderen Archive mit Lagerfläche und Personal. Zu diesem Notfallverbund gehört auch eine Abrollbox, also ein fahrbarer Container mit Arbeitsplätzen, in dem beschädigte Archivalien noch vor Ort gereinigt und bei Bedarf gefriergetrocknet werden können, um sie zu sichern und später zu restaurieren.
Bei den großen, professionell betriebenen Archiven gibt es also einiges an Vorsorge. Ganz anders sieht die Lage bei den kleineren Archiven aus, also etwa von Pfarreien, Verbänden oder Vereinen. Besonders gern werden dort die Archivalien im Keller oder auf Dachböden aufbewahrt. In Kellern ist es oft feucht, auf Dachböden gibt es große Temperaturschwankungen, beides ist für Papier denkbar schlecht. "Es reicht schon, wenn über dem Archivraum die Toilettenanlage liegt – das vergrößert die Gefahr immens", so Helbach. Archivalien richtig zu lagern ist also gar nicht so einfach. Es erfordert Geld und Engagement wie Interesse an den Hinterlassenschaften gleichermaßen.
Gerade um Letzteres ist es oft nicht gut bestellt, bemängelt Monica Sinderhauf, die das Bistumsarchiv in Trier leitet. "Wir leben in einer Zeit großer Geschichtsvergessenheit", sagt sie. Die Schnelllebigkeit und die Digitalisierung der Gesellschaft ließen bei vielen das Interesse für das Vergangene schwinden. "Da heißt es dann oft: 'Das können wir eh nicht mehr lesen' und das verbindet sich dann mit einem generellen Desinteresse an den Archivalien." Denn bis ins 20. Jahrhundert wurden die kirchlichen Akten in der sogenannten Deutschen Kurrentschrift geführt. Die sieht anders aus als die heutige Handschrift, ist aber leicht zu erlernen. "Und selbst, wer das nicht kann: Es gibt Spezialisten, die das können. Nur, weil ein Schriftstück nicht jedem direkt zugänglich ist, heißt das nicht, dass man damit nichts mehr machen kann." Mal davon abgesehen, dass das Archivieren durch die Kirchliche Archivordnung (KAO) kirchenrechtlich vorgeschrieben ist.
Die Mittel gehen zurück
Doch mit dem zurückgehenden Interesse an der Geschichte gehen auch weniger Mittel einher – übrigens nicht nur für Archive, sondern beispielsweise auch für Museen. Das merkt sie auch in ihrer eigenen Arbeit. "Wir brauche ein neues Magazin für unser Bistumsarchiv. Aber dafür Gelder zu akquirieren war gar nicht so einfach." Die Kirche habe immer weniger Geld "und das wird dem Auftrag gemäß vor allem für Seelsorge bereitgestellt. Die Gedächtnispflege tritt dabei zurück."
Um die Verwaltung der kirchlichen Vergangenheit steht es also oft nicht zum Besten. Fehlt es den großen Zentralarchiven zuweilen an Geld, ist die Lage vor Ort nicht selten verheerend, so Sinderhauf. "Wir haben Glück, wenn es Ehrenamtliche gibt, die sich darum kümmern. Immer häufiger bekommen wir aber auch zu hören: 'Als wir vor 20 Jahren mal renoviert haben, haben wir einen großen Container kommen lassen, der den ganzen alten Kram mitgenommen hat.'" Das ist auch ein Zeichen dafür, dass kleine Pfarrbüros mit dieser Aufgabe oft überfordert sind.
In Köln gibt es deshalb für Pfarreien die Möglichkeit, ihre Archivbestände an die Zentrale in der Domstadt abzugeben. Dann wird gesichtet und geklärt, was sich lohnt aufzuheben und was guten Gewissens in die Tonne kann. Der Austausch klappt gut, sagt Helbach: "Hier bei uns sind die Sachen viel sicherer verwahrt, bestens nutzbar und die Pfarreien haben den Ärger nicht mehr." Das klappt in Trier aber nicht. "Unser Bistum ist sehr weitläufig. Da sind Sie schnell mal über eine Stunde unterwegs nach Trier, um etwas in einer Akte nachzuschlagen. Da haben viele Heimatforscher vor Ort keine Lust drauf", erzählt Sinderhauf. Dazu komme eine generelle Skepsis gegenüber Initiativen aus der Bistumsstadt und dort insbesondere aus dem Generalvikariat – das lasse sich bundesweit beobachten. Zudem fehlen die Mittel. "Wir beraten, wenn das gewünscht ist – aber mehr können wir mangels Material und Personal nicht leisten."
Dabei wäre die Erhaltung der Archivalien durchaus relevant, sagt Sinderhauf – insbesondere in der Zeit der Zusammenlegung von Gemeinden. "Wer in solchen großen Gebilden aufgeht, läuft schnell Gefahr, die eigene Identität zu verlieren. Aber gerade mit den Archivbeständen können wir diese Identität sichern." Dabei kann auch die Digitalisierung helfen. Zum Teil werden die historischen Kirchenbücher im Bistumsarchiv gescannt oder sind es schon, die digitalen Versionen kommen dann für alle nachschlagbar ins Internet. Doch nicht alle Dokumente werden digitalisiert – das wäre zu aufwendig und bräuchte gewaltige Speicherkapazitäten. Doch digitalisierte Papiere haben aus Sicht von Sinderhauf Tücken: "Natürlich, man kann dort alles nachlesen. Aber so eine Handschrift aus dem Mittelalter lebt ja nicht nur vom Inhalt, sondern auch von Papier, Bindung, Materialität. Das sind alles Kulturtechniken, die sich digital nicht vermitteln lassen – sowas muss man anfassen!"
Archive spielen eine wichtige Rolle
Nicht nur für die Glaubensidentität spielen Archive eine wichtige Rolle. Auch in der Missbrauchsaufarbeitung sind sie gefragt. Viele Erkenntnisse über Taten, Opfer und Täter werden für die großen Studien aus Akten rekonstruiert – sofern sie vorhanden sind und gewissenhaft geführt werden. Wenn ein Pfarrarchiv im Container landet, verschwindet die Geschichte – positive wie negative – sprichwörtlich im Nebel. Denn im Zuge der Missbrauchsgutachten gibt es immer wieder den Verdacht, dass in den Archiven noch viele Erkenntnisse verborgen liegen.
Es gibt also gleich zwei Herausforderungen für die Bistumsarchive in Deutschland: Einerseits gilt es, die Bestände gegen Wind und Wetter zu schützen – angesichts des Klimawandels und vermehrt klammer Bistumskassen keine leichte Aufgabe. Daneben gilt es aber als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die Schätze und Herausforderungen der Vergangenheit zu sensibilisieren, um dafür zu sorgen, dass es überhaupt etwas zu schützen gibt. Denn wenn wichtige Dokumente sorglos im Müll landen, hilft auch das beste Archivgebäude nichts. Für diesen Verlust muss noch nicht einmal eine neue U-Bahn gebaut werden.