Standpunkt

Vereinsamung und Schweigen: Mit unseren Messen stimmt etwas nicht

Veröffentlicht am 02.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Valerie Judith Mitwali – Lesedauer: 

Bonn ‐ Still und heimlich in die Kirche hineinhuschen und nach dem Gottesdienst ebenso verschwinden. Hauptsache, mit niemandem Blickkontakt aufbauen oder gar sprechen! Das ist Alltag in vielen deutschen Kirchen, meint Valerie Judith Mitwali. Doch es muss nicht so sein.

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Waren Sie Pfingsten unterwegs? Oder steht der große Sommerurlaub noch an? Wenn Sie auf diesem Internetportal unterwegs sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht mal so klein, dass Sie auch auf Reisen gerne nach Möglichkeit eine Sonntagsmesse besuchen. Für Generationen von Katholiken war und ist es eine bewegende Erfahrung: Die Messe verbindet über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg – ich darf mich überall zuhause fühlen. Es ist eine leise Ahnung davon, was im Wort "Katholizität" wirklich steckt. Was für ein Geschenk der Gemeinschaft!

Allein: Ausgerechnet daheim in Deutschland machen viele Gläubige gegenteilige Erfahrungen. Vielleicht mag es in der ländlichen Diaspora, wo tatsächlich noch jeder jeden kennt, anders sein. Wer aber in den Großstädten hinschaut, dem fällt auf, dass die meisten Gottesdienstbesucher allein kommen – und allein bleiben. Das klassische katholische Milieu ist tot: Glaube wird kaum noch im Familienverband praktiziert und mehr als jede fünfte Person lebt mittlerweile allein. Liturgie könnte ein Raum sein, der Menschen verbindet. Könnte.

Ich spreche bewusst von der Liturgie, nicht den zahllosen Vereinen, Verbänden und Gruppen, die das Pfarrwesen in Deutschland noch immer vielerorts prägen. Nicht alle können oder möchten sich dort zusätzlich einbringen. Aber sollte nicht aus der Kommunionfeier selbst "Communio", Gemeinschaft, hervorgehen? Es stimmt etwas nicht mit dem gemeinsamen Gebet, wenn bis zum unvermeidlichen Friedensgruß nicht einmal Blickkontakt aufgenommen wird. Und wann haben wir eigentlich aufgehört, Menschen in unserer Sitzreihe wenigstens ein freundliches Nicken zuzuwerfen?

Das einzige Flüstern, das vielfach zu hören ist, stammt von kleinen, internen Kirchengrüppchen: drei bis vier Personen, die sich kennen und sich immer zu genau dieser Messe an genau diesen Sitzplätzen treffen. Schön, wenn Menschen solche Beziehungen pflegen. Noch schöner wäre es, wenn sich dieses Wohlfühlen auch auf andere übertrage. Jesus hätte das bestimmt gefallen (vgl. Mt 5,47).

Die Kirche hat viele Probleme und oft zerreißt es sie bis ins Mark. Für manches aber braucht es – Gott sei Dank – weder Synode noch Bischof. Gemeinden können selbst entscheiden, ob sie etwa einen Türdienst einrichten, der Menschen beim Betreten der Kirche grüßend ein Liedbuch reicht. Und es liegt in der Freiheit eines jeden Gottesdienstbesuchers, auch dem Fremden, der allein sitzt, zumindest einen stillen Gruß zu schicken. Vielleicht ist es für den Sitznachbarn ja auch das erste Lächeln des Tages.

Von Valerie Judith Mitwali

Die Autorin

Valerie Judith Mitwali ist Redaktionsmitarbeiterin bei katholisch.de und promoviert an der Ruhr-Universität Bochum in systematischer Theologie.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.