Standpunkt

Quinton Ceasars verstörende Botschaft für die Heile-Welt-Bubble

Veröffentlicht am 20.06.2023 um 00:01 Uhr – Von Tilmann Kleinjung – Lesedauer: 

München ‐ "Gott ist queer", sagte ein Pastor beim Evangelischen Kirchentag und löste einen Shitstorm aus. Dabei lohnt es sich, die ganze Predigt zu lesen, kommentiert Tilmann Kleinjung. Denn Quinton Ceasar habe den Zuhörern den Spiegel vorgehalten.

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Wann gab es das zuletzt, dass tagelang über eine Predigt diskutiert und gestritten wurde? Der aus Südafrika stammende Pastor Quinton Ceasar hat zum Abschluss des Evangelischen Kirchentags mit einem Satz sehr kontroverse (und leider auch hasserfüllte) Reaktionen provoziert: "Gott ist queer." Die meisten Kritiker haben vermutlich nur diesen einen Satz gehört oder gelesen und sich (so wie ich) daran gestört: Alle unsere Versuche, Gott in eine Schublade zu stecken, sind unzulänglich und sagen mehr über uns aus, als über Gott. Also hören wir damit auf und reden stattdessen über uns!

Quinton Ceasar hat den Kirchentagsbesuchern in Nürnberg den Spiegel vorgehalten. Er traut nicht den immergleichen Bekenntnissen und Botschaften aus der Heile-Welt-Bubble: "Jesus Christus hat uns alle durch seine Liebe befreit." Oder: "Die Kirche ist ein sicherer Ort für alle." Wenn der eigene Anspruch nicht durch Taten eingelöst wird, werden solche Bekenntnisse schnell zu hohlen Floskeln. Diese Lektion haben die Kirchen in der Missbrauchskrise hoffentlich gelernt. "Wir haben keine sicheren Orte in euren Kirchen", sagt der Pastor und kritisiert eine ganz bestimmte Form der Ausgrenzung. Menschen am Rand werden zum Objekt der Zuwendung degradiert, zum Gegenüber. Gemeindemitglieder mit einer Fluchtgeschichte, einer Behinderung oder einer queeren Identität bekommen die geballte Ladung Nächstenliebe. Nur auf Augenhöhe werden sie nicht wahrgenommen. Eine der spannendsten Diskussionen bei diesem Kirchentag war die über das koloniale Erbe der Kirchen: Wenn Kampagnen von kirchlichen Hilfswerken mit Bildern von schwarzen Kindern um Spenden werben, dann wird damit immer noch ein Machtgefälle illustriert: Wir sind die Helfer, ihr seid die Hilfsbedürftigen.

"Meine Geschwister und ich – wir sind Kirche", sagt Quinton Ceasar und formuliert eine Art Befreiungstheologie für das 21. Jahrhundert: "Gott ist immer auf der Seite derer, die am Rand stehen, die nicht gesehen oder nicht benannt werden."

Das ist verstörend, provokant und genau die richtige Schlussbotschaft für einen Kirchentag unter dem Leitwort "Jetzt ist die Zeit". Es lohnt sich, die ganze Predigt zu lesen.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.