Datenschutzaufsicht rügt Missbrauchsaufarbeitung im Bistum Münster
Das Bistum Münster hat mit der Weitergabe von Akten zu Missbrauchsfällen an die Forschergruppe eine Datenschutzverletzung begangen. Auf die Beschwerde einer betroffenen Person hin stellte die zuständige kirchliche Datenschutzaufsicht fest, dass die Weitergabe von teilweise anonymisierten Akten aus dem Verfahren zur Anerkennung des Leids an die Forschergruppe die betroffene Person in ihren Rechten verletzt hat, teilte die Diözese am Mittwoch mit. Der Interventionsbeauftragte des Bistums, Peter Frings, sieht in dem Vorgang ein grundsätzliches Dilemma für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Eine umfangreichere Anonymisierung der Akten, wie sie das Katholische Datenschutzzentrum (KDSZ) Dortmund für nötig hält, hätte dazu geführt, "dass die Wissenschaftler den sexuellen Missbrauch im Bistum Münster nicht so gründlich hätten aufarbeiten können".
Die betroffene Person habe durch die Presseveröffentlichungen im Nachgang der im vergangenen Juni vorgestellten Studie eine Retraumatisierung erfahren. "Das bedauern wir, und wir haben uns sofort nach Eingang des Bescheids des KDSZ mit der betroffenen Person in Verbindung gesetzt", betont Frings. Er befürchtet aber auch, dass bei einer Zugrundelegung der Anforderungen des KDSZ als Maßstab oder datenschutzrechtlichen Rahmen für die Aufarbeitung der Kirche schnell wieder Vertuschung vorgeworfen werden würde. Auf Anfrage von katholisch.de teilte Frings mit, dass der Bescheid des KDSZ lediglich den Datenschutzverstoß feststellt und keine weiteren Anordnungen ausgesprochen wurden. Ob das Bistum gegen den Bescheid vor dem Interdiözesanen Datenschutzgericht vorgeht, sei noch nicht entschieden worden.
Die kirchliche Datenschutzaufsicht hat nach Angaben des Bistums die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen informiert. Diese müsse nun prüfen, ob die Wissenschaftler bei der Veröffentlichung der Daten, die sie erhalten haben, den Datenschutz verletzt haben. Die Entscheidung der Datenschutzaufsicht habe auch Auswirkungen auf weitere Aufarbeitungsprojekte. Im November hatte Bischof Felix Genn ein Folgeprojekt zur Missbrauchsstudie angekündigt. Dazu habe er einen der Autoren der Studie beauftragt, wo es möglich ist und wo Betroffene das wünschen, weitere Einzelfallstudien zu erstellen. "Wir haben erst einmal den Zugang des Wissenschaftlers, der hier tätig ist, zu den Akten gestoppt und werden uns der Datenschutzthematik noch einmal stellen", so der Interventionsbeauftragte. Auch im Blick auf die Tätigkeit der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) müssten die Datenschutzfragen sehr genau geprüft werden.
Schwärzungen hätten umfangreicher sein müssen
Der unabhängigen Forschergruppe der Universität Münster wurden seitens der Interventionsstelle Akten in den Räumen des Bistums zugänglich gemacht, erläutert Frings. "Wir haben zuvor selbstverständlich in den Akten die personenbezogenen Daten der betroffenen Personen wie Name, Anschrift, Kontodaten und alle sonstigen personenbezogenen Hinweise geschwärzt." Nach Einschätzung des Katholischen Datenschutzzentrums (KDSZ) Dortmund hätten aber auch die Schilderungen der vom sexuellen Missbrauch betroffenen Person insoweit geschwärzt werden müssen, "dass keine individuellen Schilderungen um die eigentlichen Taten in den Akten zu finden gewesen wären", heißt es laut Frings in dem Bescheid. Das Vorgehen sei im Beirat des Forschungsprojektes, in dem auch mehrere Betroffene Mitglieder waren, intensiv beraten worden. Im Sinne einer größtmöglichen Transparenz hätten sich die Wissenschaftler und das Bistum nach den Beratungen im Beirat dafür entschieden. Alternative Wege wie eine individuelle Einwilligung der einzelnen Betroffenen in die Weitergabe der sie betroffenen Daten wurden nicht als zielführend angesehen. "Zudem habe es die Befürchtung gegeben, auch ein solches Vorgehen könne retraumatisierend sein", so das Bistum weiter. Letztlich liege die Verantwortung beim Bistum.
Die katholische Kirche wendet auf der Grundlage einer Ausnahmeregelung in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Deutschland ein eigenes Datenschutzrecht an und hat eigene unabhängige kirchliche Datenschutzaufsichten eingerichtet. Das "Gesetz über den kirchlichen Datenschutz" ist den Regelungen der DSGVO ähnlich und muss denselben Standards genügen wie die EU-Verordnung. Es gilt nur in kirchlichen Einrichtungen. Daher unterliegt das Bistum der Aufsicht des KDSZ Dortmund, die Universität Münster der Aufsicht der Landesbeauftragten für Datenschutz. Für die gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen der Datenschutzaufsicht ist eine eigene kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit zuständig.
Zur Verwendung von Akten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen haben die meisten Bistümer im Lauf des vergangenen Jahres Ordnungen "zur Regelung für Auskünfte und Akteneinsicht zu Zwecken der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener" erlassen. Seit diesem Jahr haben bislang mindestens fünf Bistümer auch eine Rechtsgrundlage für Auskünfte und Einsicht in Sachakten erlassen. Das Bistum Münster hat kein entsprechendes Diözesangesetz in Kraft gesetzt, das als datenschutzrechtliche Rechtsgrundlage für die Verwendung von Akten für Aufarbeitungsprojekte dienen kann. Gegenüber katholisch.de sagte Frings, dass diese Regelungen bisher nicht in Kraft gesetzt wurden angesichts des "völlig anderen Weges, den das Bistum Münster bei der Aufarbeitung gehen will", da die Musternormen nach Auffassung des Bistums "so nicht uneingeschränkt die notwendigen Regelungen umfassen". Im evangelischen Datenschutzrecht ist die Verwendung von Daten für systemische Aufarbeitung seit 2021 eigens geregelt. Einen entsprechenden Passus gibt es im KDG nicht. (fxn)
21. Juni 2023, 14.30 Uhr: Ergänzt um weitere Auskünfte des Interventionsbeauftragten im zweiten und letzten Absatz.