Hildesheims Bischof Wilmer pilgert mit jungen Menschen

Was Katholiken unter 30 von der Kirche erwarten

Veröffentlicht am 02.07.2023 um 12:30 Uhr – Von Michael Althaus (KNA) – Lesedauer: 

Göttingen ‐ In Zeiten, in denen immer mehr Menschen die katholische Kirche verlassen, geht der Hildesheimer Bischof Wilmer mit jungen Katholiken auf Pilgertour. Was bewegt Schüler und Studenten in der Krise? Was erwarten sie von der Kirche?

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Ein trüber Sommertag in Göttingen. Auf den Straßen ist an diesem Samstagmorgen noch wenig los. Vor einer Kirche am Leineufer versammeln sich nach und nach knapp 30 junge Menschen. Die meisten von ihnen haben Rucksäcke dabei. Einige von ihnen tragen Wanderschuhe. Bald darauf mischt sich Bischof Heiner Wilmer – in Turnschuhen, Jeans und Priesterhemd – unter die Gruppe. In Zeiten, in denen der Missbrauchsskandal für immer neue Schlagzeilen sorgt und die Kirchenaustrittszahlen steigen, will er junge Katholiken nach ihren Erwartungen fragen – und mit ihnen auf Pilgertour gehen.

Wilmer hat das schon einmal gemacht. Kurz nach seiner Ernennung zum Bischof von Hildesheim vor fünf Jahren pilgerte er mit jungen Katholiken durch das norddeutsche Bistum, das sich vom Harz bis an die Nordsee erstreckt. "Ich möchte mich mit jungen Menschen auf den Weg machen und mich mit ihnen austauschen", erklärt der 62-Jährige. "Ich möchte wissen, wo bei ihnen heute der Schuh drückt, wie sie mit den aktuellen Krisen – innerkirchlich und außerkirchlich – klarkommen, wie sie den Imageverlust von Kirche erleben und bewerten, was sie sich von der Kirche, von uns Bischöfen wünschen und wo sie zukünftig ihren Platz in der Kirche sehen."

"Ihr könnt mich alles fragen – keine Hemmungen"

Heute soll es zu Fuß von Göttingen nach Friedland gehen. Es ist die zweite von vier Touren in diesem Sommer. Die rund 15 Kilometer lange Wanderung startet mit einer Andacht in der Kirche Sankt Godehard. "Ihr könnt mich alles fragen", ermuntert Wilmer die Teilnehmer. "Keine Hemmungen!" Gekommen sind knapp 30 Menschen im Alter von 13 bis 27 Jahren. Unter ihnen sind Messdiener, Firmlinge und kirchlich engagierte Studenten. "Ich find's cool, dass der Bischof sowas macht", meint ein 14-Jähriger, der später ein längeres Gespräch mit Wilmer führen wird. Unterwegs gibt es immer wieder kurze Stopps, an denen Kirchenmitarbeiter kurze Texte aus der Bibel vorlesen und den jungen Menschen Fragen mit auf den Weg geben, wie "Wer ist Gott für dich?", "Was beschäftigt dich am meisten?".

An einer dieser Stationen lenkt Wilmer das Gespräch auf Veränderungen in der Kirche. "Kirche sollte Orte für Gemeinschaft schaffen", sagt eine junge Frau. "Sie sollte offen sein für alle Menschen – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung", so ein Jugendlicher. "Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir mit dem Priestermangel umgehen", findet ein Mann. Es müsse mehr Möglichkeiten geben, Gottesdienste auch ohne Priester zu feiern.

Bild: ©KNA/Michael Althaus

Bischof Heiner Wilmer spricht zum Start der Pilgertour in der Sankt-Godehard-Kirche in Göttingen zu den teilnehmenden jungen Menschen.

Für einen Teilnehmer liegt die Lösung darin, dass auch Frauen Priester werden dürfen. "Ist doch egal, ob es Frau oder Mann macht." Eine andere Teilnehmerin ermuntert dazu, den Blick vom Mangel weg zu lenken. "Es gibt weiterhin viele Leute in der Kirche, die brennen und die sich engagieren." Dieses Potenzial müsse besser genutzt werden. Und letztlich müsse sich jeder selbst fragen: "Was kann ich für die Kirche tun?"

Dieser Überzeugung ist auch der 27-jährige Johannes. Der Student lebt gemeinsam mit einigen weiteren jungen Erwachsenen in einer christlichen Wohngemeinschaft. Statt in traditionellen Gemeinden sieht er die Zukunft der Kirche eher in Gruppen und Zentren, in denen sich Gläubige zusammenfinden. Viele Forderungen des Synodalen Wegs finde er gut, sagt er auf Nachfrage. Der Reformprozess setzt sich unter anderem dafür ein, zu prüfen, ob Weiheämter für Frauen geöffnet werden können, und Homosexualität lehramtlich neu zu bewerten. Allerdings habe er das Gefühl, so der Student, dass es zwischen den Beteiligten manchmal sehr hart zugehe. "Die Debatte wird von beiden Seiten sehr engstirnig geführt, mit wenig Verständnis für die Position des anderen. Dabei geht ab und zu verloren, dass man gemeinsam auf dem Weg ist." Der 22-jährige Davide, ebenfalls Student, tut sich hingegen schwer mit diesen Reformforderungen. "Ich bin ein Bewahrer", sagt er. Seiner Auffassung nach muss die Kirche mehr ins Gespräch mit den Menschen kommen und mehr für ihre Angebote werben.

Kirche soll ein Ort sein, "an dem die Sehnsucht ein Zuhause hat"

Nach fünfstündiger Wanderung und einer scheinbar endlosen Zielgeraden erreicht die Gruppe das Dorf Friedland. Wieder läuten die Glocken. In der Sankt-Norbert-Kirche duftet es nach Weihrauch. Nach einem Moment der Stille betet Wilmer in seinen eigenen Worten für die Teilnehmer und segnet sie. Eine Patentlösung für Probleme wurde nicht gefunden, aber einige Ideen kamen auf. "Die jungen Menschen haben mir mit auf den Weg gegeben, dass die Kirche ein Ort sein soll, an dem die Sehnsucht ein Zuhause hat", bilanziert der Bischof. Sie wünschten sich, dass die Kirche bei den Menschen bleibe und dass sie ohne Vorbehalte auf alle Menschen zugehe – unabhängig von Konfession, Herkunft, Geschlecht und Einkommen.

Er habe wahrgenommen, so Wilmer, dass es ein großes Bedürfnis nach Spiritualität gebe – fernab von kirchlichen Strukturen. Und nach kurzem Zögern fügt er hinzu: "Mitgegeben haben mir die jungen Menschen auch, solche Pilgertouren öfter zu machen."

Von Michael Althaus (KNA)