Lintner zu Vatikan-Veto: Mein Fall zeigt ein institutionelles Problem
Der Moraltheologe Martin M. Lintner sieht in einer ersten eigenen Stellungnahme nach dem vatikanischen Veto gegen seine Wahl zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen seinen Fall als Beispiel für ein institutionelles Problem. Die Reaktionen der vergangenen Tage hätten ihm deutlich gemacht, "dass hier Wut und Ohnmacht von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen durchbrechen, die im Lauf ihrer akademischen Tätigkeit mit ähnlichen Problemen und Hindernissen konfrontiert worden sind", schreibt Lintner in einer am Montag auf der Website der Hochschule veröffentlichten Erklärung. Diese Probleme seien seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis und bedeuteten für die Betroffenen Belastung und Verletzungen "bis dahin, dass berufliche Karrieren nachhaltig beschädigt wurden". Viele hätten Angst, ihre Reputation zu verlieren und unter Verdacht einer mangelnden Kirchlichkeit gestellt zu werden, und würden daher schweigen.
Die vatikanische Entscheidung habe bei vielen Gläubigen Unverständnis und Irritationen ausgelöst, so Lintner weiter. "Sie weckt Zweifel am Gelingen von Synodalität". Es schmerze ihn, wenn bei anderen Menschen eine kritische Haltung gegenüber der Kirche bestärkt werde. "Wer mich kennt, weiß um mein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche und um meine konstruktiv-kritische Loyalität zum kirchlichen Lehramt".
Lintner weist darauf hin, dass er in seiner Zeit als Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie und des Internationalen Netzwerkes von Gesellschaften für Katholische Theologie "viele solche Schicksale kennengelernt" habe. In formellen und informellen Gesprächen mit vatikanischen Behörden habe er den Eindruck gewonnen, dass seitens der Dikasterien ein Problembewusstsein vorhanden sei und die Notwendigkeit erkannt wurde, die Prozedere zu überarbeiten und Verfahren transparent und fair zu führen. "Ich wünsche mir und hoffe, dass mein Fall dazu beiträgt, ein konstruktives Verhältnis des Vertrauens und des Dialogs zwischen Lehramt und akademischer Theologie, zwischen den Dikasterien und den theologischen Vereinigungen, Fakultäten und Hochschulen aufzubauen", so der Moraltheologe. Das entspreche dem Geist der Synodalität, zu dem Papst Franziskus die Kirche führen möchte.
Kein "nervenaufreibendes Verfahren"
Ausdrücklich bedankte sich Lintner beim Bischof von Bozen-Brixen, Ivo Muser, der seiner Bitte entsprochen habe, keinen Rekurs gegen die vatikanische Entscheidung einzureichen. "Es ist mir nämlich ein Anliegen, weder meine Hochschule noch mich selbst einem möglicherweise langwierigen und nervenaufreibenden Verfahren auszusetzen." Zu der Welle an Solidaritätsbekundungen, die ihn in den vergangenen Tagen erreicht habe, sagte Lintner, dass sie ihm guttäte, weil die vatikanische Entscheidung auch ihn überrascht und betroffen gemacht habe. "Der Zuspruch aus unterschiedlichsten Lagern bestätigt mich in meinem Bemühen, als Theologe auch eine Brückenfunktion zwischen Kirche und Gesellschaft wahrzunehmen und eine lebensrelevante und leidsensible Theologie zu betreiben, die für die Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen und Herausforderungen von Bedeutung ist."
Am vergangenen Montag hatte die Hochschule mitgeteilt, dass der vom Hochschulkollegium zum Dekan gewählte Lintner wegen eines Vetos des vatikanischen Bildungsdikasteriums sein Amt nicht antreten darf. Grund seien Lintners Publikationen zur katholischen Sexualmoral. Gegen diese Entscheidung protestieren mehrere Theologenvereinigungen, unter anderem die Europäische Gesellschaft für katholische Theologie, und bekundeten ihre Solidarität zu Lintner. Auch das Professorenkollegium der PTH Brixen stellte sich hinter ihn.
Der Südtiroler Martin Lintner ist seit 2011 ordentlicher Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der PTH Brixen. Der Priester ist Mitglied des Servitenordens. Von 2011 bis 2015 war er Vizepräsident und Präsident der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie, von 2014 bis 2017 Präsident des International Network of Societies for Catholic Theology, von 2017 bis 2021 Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik. In seiner Forschung befasst er sich neben der Sexualmoral auch mit Tierethik. (mal)