Betroffene schildern erstmals Details zu Berliner Missbrauchsfällen
Nachdem das Erzbistum Berlin Ende April in einer Pressemitteilung über "planvollen und gemeinsamen Missbrauch durch Priester und Ordensschwestern" in den 1960er-Jahren in West-Berlin informiert hatte, haben sich am Wochenende im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erstmals zwei Betroffene von damals ausführlicher zu den Taten geäußert.
Ein heute 69-Jähriger berichtet in dem Text unter anderem von organisierten Besuchen in Pornokinos, bei denen mehrere Täter – darunter ein Pfarrer, der auch als Religionslehrer an einer katholischen Grundschule im Ortsteil Wilmersdorf tätig gewesen sein soll – Jungen und Mädchen wie Puppen über die Stuhllehnen im Kinosaal geworfen, sie brutal geschlagen und vergewaltigt hätten. Die mutmaßlichen Täter hätten sich bedienen lassen, "Handbetrieb, oral, das ganze Programm", so der Betroffene. Als er einmal versucht habe, sich dem Griff des Pfarrers zu entziehen, sei ihm der Oberarmmuskel gerissen. Und weiter: "Nach dem Porno im Kino bekamen wir Kinder ein Eis spendiert. Im Café Kranzler am Kurfürstendamm war immer ein Tisch für uns reserviert." Allerdings hätten sie keinen Appetit gehabt. "Wir saßen nur stumm da und heulten vor Schmerzen. Aber das hat niemanden interessiert."
Erzbistum hatte Ende April über Fälle informiert
Das Erzbistum Berlin hatte Ende April darüber informiert, dass man aufgrund weiterer Aussagen Betroffener von sexualisierter Gewalt davon ausgehe, dass Priester und Ordensschwestern in Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf in den 1960er-Jahren "gemeinsam sexuellen Missbrauch an Kindern planten und durchführten und ein Zusammenhang zwischen bereits veröffentlichten Fällen besteht". Die Beschuldigten hätten sich untereinander gekannt und vernetzt. "Beteiligt waren neben Priestern des Erzbistums Berlin Schwestern der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau und der Schwestern von der heiligen Elisabeth (graue Schwestern). Sie traten gegenüber den Kindern als Gruppe auf", so das Erzbistum, das damals weitere Betroffene und Zeugen des Missbrauchs dazu aufrief, sich bei den Ansprechpersonen für sexuellen Missbrauch zu melden.
Zugleich hatte die Erzdiözese erklärt, dass in dem Fall bislang sechs beschuldigte Priester und sechs Ordensschwestern identifiziert worden seien, die überwiegend verstorben oder hochbetagt seien. "Die beiden noch lebenden Beschuldigten werden bzw. wurden mit den Vorwürfen konfrontiert", hieß es in der Pressemitteilung. Außerdem wurde betont, dass die Missbrauchsvorwürfe auf ihre Plausibilität geprüft und der zuständigen Staatsanwaltschaft gemeldet worden seien.
Erzbistum Berlin glaubt dem Betroffenen
Die Provinzoberin der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau, Monika Schmid, betonte gegenüber dem "Spiegel", dass ihre Gemeinschaft bis vor Kurzem "keine Ahnung" von einem Missbrauchsnetzwerk gehabt habe, "erst recht nicht von einer Beteiligung unserer Gemeinschaft". Von der Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth hieß es, es sei "unvorstellbar", dass eine Schwester selbst sexuelle Handlungen an Kindern verübt haben solle. "In diesem Zusammenhang fällt es mir sehr schwer, den Berichten des Opfers Glauben zu schenken", zitierte das Magazin die zuständige Mediatorin Sabine Zurmühl. Das Erzbistum Berlin hingegen betonte gegenüber dem "Spiegel", es glaube dem Betroffenen, seine Berichte seien plausibel und detailreich. Der zweite Betroffene erzählt in dem Artikel ebenfalls von Dutzenden mutmaßlichen Übergriffen durch denselben Pfarrer.
Unklar ist laut dem Artikel, ob es mit Blick auf die Missbrauchsfälle eine Verbindung zum verstorbenen Kardinal Joachim Meisner gibt. Meisner, der von 1980 bis 1989 Bischof von Berlin war, habe den mutmaßlich beteiligten Pfarrer 1986 aus seiner Gemeinde abgezogen und danach als Krankenhausseelsorger eingesetzt. Ob Meisner von den Missbrauchsvorwürfen gegen den Geistlichen gewusst habe, sei aber unklar. Das Erzbistum Berlin hält aber für "zumindest nicht ausgeschlossen", dass das Ordinariat Kenntnis über die Vorwürfe gehabt habe. Meisner, der von 1989 bis 2014 Erzbischof von Köln war, waren im dortigen Missbrauchsgutachten 23 Pflichtverletzungen vorgeworfen worden. (stz)