Nicaragua: Spekulationen über Freilassung von Bischof Alvarez
Eine offizielle Bestätigung gibt es noch nicht, aber vieles deutet darauf hin, dass der zu 26 Jahren Haft verurteilte nicaraguanische Bischof Rolando Alvarez aus dem Gefängnis entlassen und in Kürze in Freiheit sein wird. Regierungskritische Medien in Nicaragua berichteten am Dienstagabend (Ortszeit), dass der Bischof von Matagalpa bereits am Montagabend aus der Haftanstalt "La Modelo" entlassen und der Kirche übergeben worden sei. Auch die nicaraguanische Menschenrechtlerin Bianca Jagger, Ex-Frau von Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger, berichtete am Abend, ihre Nichtregierungsorganisation verfüge über Informationen, dass Alvarez nicht mehr in Haft sei, sondern in Kürze nach Italien ausgeflogen werden solle.
Alvarez war wegen "Rebellion" und Aufstachelung zum Widerstand zu 26 Jahren Haft verurteilt worden. Sollte der katholische Kirchenmann tatsächlich nach Italien ausgeflogen werden, wäre er der zweite regierungskritische Bischof, der seit Ausbruch der Proteste 2018 das Land verlassen muss. Laut lokalen Medienberichten wurde ihm die Staatsbürgerschaft entzogen, so dass er praktisch staatenlos ist. Welche Rolle Alvarez in Zukunft spielen kann, sollte er tatsächlich das Land verlassen müssen, ist unklar. Zuletzt hieß es, er wolle unbedingt bei den Menschen in Nicaragua bleiben.
Weihbischof Baez wurde zu Sprachrohr der Dissidenten
Die Unruhen begannen 2018, als Studenten gegen eine mutmaßlich von der linksgerichteten Regierung geduldeten oder gar initiierten Brandrodung in einem Naturschutzgebiet auf die Straßen gingen. Schnell dehnten sich die Proteste landesweit aus. Das Regime von Präsident Daniel Ortega schlug die Demonstrationen mit brutaler Gewalt nieder, Pfarrer und Bischöfe öffneten ihre Kirchen, damit die Demonstrierenden Schutz vor den Polizeikugeln finden konnten. Später versuchte die Kirche, in der innenpolitischen Krise zu vermitteln, brach aber den Versuch ab, weil sich das Ortega-Regime nicht an gegebene Zusagen gehalten haben soll.
In dieser Phase wurde Managuas Weihbischof Silvio Baez zu einem Sprachrohr der Dissidenten. Angesichts von Morddrohungen gegen Baez berief ihn Papst Franziskus gegen dessen Willen ab. Baez ist inzwischen in den USA im Exil und kommentiert von dort die politischen Geschehnisse in seinem Heimatland.
Erst in dieser Woche hatte die nicaraguanische Polizei eine Razzia bei einer Gemeinschaft brasilianischer Ordensschwestern durchgeführt. Inzwischen haben die Nonnen das Land verlassen, ein Teil von ihnen hat in El Salvador Zuflucht gefunden.
Ziel sei es, "die Stimme und sogar die Präsenz der Institution Kirche zum Schweigen zu bringen und vollständig auszulöschen, die aufgrund ihres moralischen Gewichts in Nicaragua ein Hindernis für die Pläne der Familie von Ortega und seiner Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo zur Festigung einer dynastischen Diktatur darstellt", sagte der inzwischen aus der Haft entlassene und in die USA ausgebürgerte Präsidentschaftskandidat Felix Maradiaga jüngst der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Über 200 politische Gefangene ausgebürgert
Nicaraguas Kirche, Nichtregierungsorganisationen (NGO) und unabhängige Medien kritisierten in den vergangenen Jahren immer wieder scharf die Menschenrechtsverletzungen der Regierung Ortega. Diese reagierte ihrerseits mit dem nahezu vollständigen Verbot aller nichtstaatlichen Einrichtungen und Institutionen. Inzwischen sind fast 4.000 NGO verboten worden.
Die Regierung ließ in den vergangenen Jahren auch kirchliche Einrichtungen und Universitäten schließen, löste die Caritas auf und brachte das Rote Kreuz unter staatliche Kontrolle. Immer wieder ging die autoritäre Führung auch gegen Kirchenvertreter vor. Zahlreiche Geistliche sind deshalb ins Nachbarland Costa Rica geflohen. Zuletzt wurden mehr als 200 politische Gefangene ausgebürgert und in die USA ausgeflogen, darunter auch katholische Priester. Derzeit deutet nichts auf ein versöhnliches Ende der innenpolitischen Spaltung Nicaraguas, die in der Vergangenheit bereits Hunderte Tote bei Ausschreitungen gefordert hat. Die Ortega-Regierung weist die Vorwürfe als politische Kampagne zurück.