Zwei Gesetzentwürfe im Bundestag gescheitert

Suizidbeihilfe-Debatte: Bischof Bätzing fordert neues Schutzkonzept

Veröffentlicht am 06.07.2023 um 15:51 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Über zwei Gesetzentwürfe zu einer Neuregelung der Suizidbeihilfe wurde heute im Bundestag abgestimmt. Beide Entwürfe wurden jedoch abgelehnt. Religionsvertreter haben nun auf das Ergebnis reagiert – und ein Fortsetzen der Debatte gefordert.

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Nach dem Scheitern der beiden Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe haben Religionsvertreter eine Weiterführung der Debatte angemahnt. Es müsse dringend für Rechtssicherheit gesorgt werden und weiterhin eine Normalisierung der assistierten Selbsttötung verhindert werden, hieß es. Begrüßt wurde die Einigung der Abgeordneten für eine verstärkte Suizidprävention.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, forderte ein Schutzkonzept, das die "Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches soweit wie möglich gewährleisten" solle. Andernfalls könne Suizidassistenz in Deutschland stattfinden, "ohne dass der Gesetzgeber den Gefahren begegnet, die von einem Angebot von Suizidassistenz für die Autonomie des Einzelnen ausgehen", warnte der Limburger Bischof.

An der Hand eines anderen zu sterben und nicht durch die Hand eines anderen

Der Münsteraner Bischof Felix Genn erklärte, er stimme der Forderung Bätzings nach einem gesetzlichen Schutzkonzept zu. "Ein solches Konzept muss getragen sein von einem dem Leben zugewandten gesellschaftlichen Gesamtklima und einer Kultur gegenseitiger Fürsorge und Zuwendung", sagte Genn laut einer Pressemitteilung seines Bistums. Zugleich müsse die "Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches" gewährleistet werden. Genn sprach sich außerdem für eine stärkere Förderung der Palliativmedizin und Hospizarbeit aus und dankte den Menschen, die in diesen Feldern tätig sind. "Sie tragen zu einer Kultur der Lebensbejahung und gegenseitigen Fürsorge bei, damit kein Mensch den Suizid wählt, weil er ihn als die scheinbar einfache oder beste Lösung ansieht oder weil ihm nicht die notwendige Hilfe zuteil wurde."

Der Würzburger Bischof Franz Jung nimmt die Ablehnung der Entwürfe nach eigenen Worten "mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis". In einer Pressemitteilung seines Bistums äußerte er die Sorge, dass die unnatürliche Beendigung des Lebens zur Selbstverständlichkeit werde. "Unverständlich bleibt für mich, weshalb mit einer eiligen Beratung und Beschlussfassung im Bundestag kurz vor der Sommerpause einer umfassenderen gesellschaftlichen Debatte über dieses Problem vorgegriffen werden sollte." Die katholische Kirche träte dafür ein, "alles zu unternehmen, was dem Schutz, der Entfaltung und der Begleitung des Lebens" diene, so Jung. "Ein würdevolles Sterben bedeutet, an der Hand eines anderen zu sterben und nicht durch die Hand eines anderen."

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Auch der Fuldaer Bischof Michael Gerber betonte: "Der assistierte Suizid ist für uns auf der Basis unseres Gottes- und Menschenbildes keine Option." Er plädiere für Hilfenetzwerke von Sozialstationen, Hospizdiensten, palliativer Hilfe, Trauerarbeit, Beratung und Begleitung. Gerber ist selbst Botschafter für die "Kleinen Riesen" Nordhessen – einem gemeinnützigen Verein, der sich für die Versorgung von schwerkranken und sterbenden Kindern einsetzt. Für die Kirche sei es wichtig, dass eine künftige Neuregelung durch eine umfassende Schutzklausel ergänzt werde, so Gerber in einer Pressemitteilung seines Bistums. "Wir brauchen gesellschaftlich die Klarheit, dass kirchliche Einrichtungen Menschen wirksam helfen, ohne sich mit der Möglichkeit noch auseinandersetzen zu müssen, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen."

Katholische Kirche werde keine Suizidhilfe leisten

Die katholische Kirche werde weiterhin keine Suizidhilfe leisten, sich aber an der Debatte beteiligen, "damit kein Mensch den Suizid wählt, weil er ihn als die scheinbar einfache oder beste Lösung ansieht oder ihm nicht die notwendige Hilfe zuteilwurde", betonte Bätzing.

Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, bedauerte, dass es nun vorerst keine gesetzliche Regelung gebe. Durch ein Gesetz zur Suizidbeihilfe hätte Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden und Menschen mit Selbsttötungswunsch die Entscheidung erleichtert werden können. "Für kirchliche Einrichtungen bedeutet dies, die Sichtachse auf das Leben ohne gesetzlichen Rahmen offenhalten zu müssen."

Eva Maria Welskop-Deffaa, Vorstand für Sozial- und Fachpolitik im Deutschen Caritasverband, am 26. August 2021 in Berlin.
Bild: ©Jannis Chavakis/KNA

"Es ist unerlässlich, dass die Anstrengungen zur Regulierung im nächsten Jahr wieder aufgegriffen werden", betonte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa.

Ähnlich äußerte sich Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa: "Es ist unerlässlich, dass die Anstrengungen zur Regulierung im nächsten Jahr wieder aufgegriffen werden." Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte vor einer "gesetzlichen Leerstelle" und forderte eine neue gesellschaftliche Debatte, "bei der verstärkt auch die Religionsgemeinschaften gefordert sind und eingebunden werden müssen".

Am Donnerstag hatte der Bundestag einen Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) mit 304 Ja- und 363 Nein-Stimmen bei 23 Enthaltungen abgelehnt. Er wollte vor Missbrauch schützen und dazu die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich erneut unter Strafe stellen, allerdings geregelte Ausnahmen zulassen. Dieser Entwurf wurde von mehreren Kirchenvertretern unterstützt, unter anderen von der Bischofskonferenz, dem ZdK und der Caritas.

Kurschus begrüßte Beschluss

Der konkurrierende Entwurf einer Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) wollte das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Hilfe dazu ermöglichen. Er erhielt 287 Ja-Stimmen bei 375 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen.

Angenommen wurde mit 688 von 693 Stimmen hingegen ein gemeinsamer Antrag der beiden Abgeordnetengruppen für eine Stärkung der Suizidprävention.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, begrüßte diesen Beschluss. Der Schwerpunkt von Staat und Gesellschaft müsse nun "auf einem konsequenten Ausbau der Suizidprävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen". Ziel der palliativen Behandlung ist nicht mehr Heilung, sondern bestmögliche Lebensqualität für sterbenskranke Menschen. Dazu sollten insbesondere die medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufe gestärkt werden, "damit Menschen in Notlagen und existenziellen Grenzsituationen in jeder Hinsicht bestmöglich unterstützt werden können". (cbr/KNA)

06.07.23, 18 Uhr: Ergänzt um Stellungnahmen der Bischöfe Genn, Jung und Gerber.