Theologe verteidigt Papst Franziskus gegen Populismus-Vorwurf
Der Theologe und Soziologe Hermann-Josef Große Kracht hat Papst Franziskus gegen den Vorwurf verteidigt, er sei ein peronistischer Populist. "Seine Ansprachen und Enzykliken beweisen das Gegenteil; und zwar auf ganzer Linie", schreibt Große Kracht in einem Beitrag für die „Herder Korrespondenz“ (Mittwoch online). Seit Beginn seines Pontifikats kämpfe der Pontifex leidenschaftlich dafür, die Lebensbedingungen der Armen und Schwachen weltweit zu verbessern. "Und gerade seine – in Deutschland eher wenig beachteten – Ansprachen an die Volksbewegungen (movimientos populares) machen deutlich, wie weit er entfernt ist von allen Formen des Klientelismus und des Paternalismus, die gerade für die Traditionen des lateinamerikanischen Populismus so kennzeichnend waren und sind." Große Kracht verwahrte den Pontifex damit insbesondere gegen die Unterstellung, er wolle die Macht des lateinamerikanischen Kolonialkatholizismus vor allen durch ein enges Bündnis mit dem einfachen und frommen Volk absichern, in dem sich Armut und Religiosität, Unmündigkeit und Fatalismus eng miteinander verbänden.
Hintergrund sind mehrere aktuelle Veröffentlichungen des italienischen Historikers Loris Zanatta, in der er den Papst eines in Lateinamerika bestehenden "jesuitischen Populismus" bezichtigt, der sich bei Figuren wie dem früheren argentinischen Präsidenten, Juan Perón, Kubas Ex Staatschef Fidel Castro und den früheren venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez durchziehe. Franziskus sei im Kern nichts anders als ein peronistischer Populist, der geradezu zwangsläufig auf eine "Fabrikation von Armen" angewiesen sei und gegen die Werte der Aufklärung, des Liberalismus und des modernen Bürgertums agitiere. Das "arme Volk Gottes" müsse bei ihm am Ende nicht nur in seiner überlieferten Volksfrömmigkeit, sondern auch in seinen gewohnten Armutsverhältnissen auf Dauer erhalten werden, so der Historiker.
Keine Berührungsängste mit Volk-Begriff
Zanattas Vorwurf treffe Papst Franziskus zu Unrecht, schreibt Große Kracht weiter. Allerdings habe Franziskus gerade in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" einen "sehr ambitionierten Begriff" von der Politik. Sein explizites Lob gelte "volksnahen Anführern", die in der Lage seien, "ein dauerhaftes Projekt der Umwandlung und des Wachstums" zu verfolgen. Gleichzeitig warne er auch vor der Gefahr eines "ungesunden Populismus", wenn es den Anführern nur noch darum gehe, "die Kultur des Volkes politisch zu instrumentalisieren, damit sie persönlichen Plänen und dem Machterhalt dient", wie der Papst schreibe. "Auch hat er keine Berührungsängste vor dem für viele europäische Ohren so verdächtig klingenden Begriff des Volkes", betont Große Kracht. Im lateinamerikanischen Sprachgebrauch sei damit immer die große Gruppe der eher armen Bevölkerungsschichten gemeint, die sich einer gesellschaftlichen Elite gegenübersähen, "die ihnen distanziert und gleichgültig begegnet, sie nicht selten mit Verachtung betrachtet und ihre eigene ökonomische, politische und kulturelle Hegemonie mit Argusaugen verteidigt".
Der Papst weise darauf hin, dass sich hinter populistischen wie liberalen Richtungen der Politik eine "Verachtung für Schwache" verbergen könnte. Zudem bedauere er, dass "die Kategorie des Volkes" heute "für gewöhnlich von den liberalen individualistischen Visionen abgelehnt wird", sodass derjenige, "der die Rechte der Schwächsten in der Gesellschaft verteidigt", schon allein deshalb "oftmals des Populismus bezichtigt" werde. Hier trifft Papst Franziskus laut Große Kracht einen zentralen Punkt: "Könnte es sein, dass wir es gegenwärtig in der Tat mit einer überbordenden Kultur der Populismus-Bezichtigungen zu tun haben, bei der die Rechte der Schwächsten in der Gesellschaft unter die Räder geraten?" Was Populismus genau ist, sei nur mühsam zu bestimmen. "Nicht zu bezweifeln ist aber, dass sich die europäischen Rechtspopulismen der Gegenwart, anders als viele andere Varianten, etwa in Lateinamerika, in einer erheblichen Nähe zum verfestigten Rechtsextremismus bewegen, oft bis zur Ununterscheidbarkeit." (mal)