...und in schlechten Zeiten
Als Miguel Almoril diesen Anruf entgegennimmt, ist er gerade auf der Arbeit, eingesprungen für einen kranken Kollegen. Es ist ein Monat vor der geplanten Hochzeit, Yuliya ist in der siebten Woche schwanger und Miguel denkt: "Es wird schon nicht so schlimm sein." Er denkt es auch noch, als er das Krankenhaus betritt - und auch, als er zur neurologischen Intensivstation geschickt wird.
Erst als er in der Schleuse steht und das monotone "piep, piep, piep" des Überwachungsgerätes hört, wird ihm klar: "Das sind nicht nur ein paar Kratzer." Am Bett seiner lebensgefährlich verletzten Freundin bricht er zusammen. Seine Erinnerungen an die nächsten Tage bleiben verschwommen. Yuliya hat schwere Kopf- und Hirnverletzungen. Die Prognose der Ärzte lautet: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie überlebt und wenn, wird sie nie wieder laufen können.
Keine Zweifel
Miguel Almoril ist anders, als andere Menschen. Und deswegen reagiert er auch in dieser Situation anders, als viele reagieren würden. Drei Tage nach dem Unfall steht er mit den Ärzten am Bett seiner bewusstlosen Freundin und sagt: "Yuliya wird überleben und sie wird wieder laufen können. Und wir werden gemeinsam durch diese Tür kommen, um uns bei Euch zu bedanken."
„Yuliya wird überleben und sie wird wieder laufen können. Und wir werden gemeinsam durch diese Tür kommen, um uns bei Euch zu bedanken.“
Es ist dieser unerschütterliche Glaube daran, dass alles gut werden wird, der Miguel in den folgenden Monaten und Jahren antreibt und ihn keine Minute aufgeben lässt. "Momente des Zweifels? Die gab es eigentlich nicht." Der Halbspanier, der niemals halbe Sachen macht, kämpft. Für seine Freundin, die im Wachkoma liegt - und für das gemeinsame Kind.
Als die Ärzte sagen: "Es wird höchstwahrscheinlich behindert sein, wollen sie wirklich, dass sie das Kind austrägt?" antwortet Miguel: "Sie wird es bekommen und es wird gesund sein." In den folgenden Monaten verbringt er jede freie Minute bei Yuliya. Wenn ihm jemand sagt, er erwarte zu viel, spornt ihn das noch mehr an. Er wiedersetzt sich den Ärzten, setzt seinen Willen gegen jedes bessere Fachwissen durch - zur Not auch wutentbrannt.
Spiel mit dem Feuer
Als er erfährt, dass seine ungeborene Tochter zu wenig Gewicht zulegt, füttert er Yuliya zusätzlich mit kalorienreichem Essen. "Da hab ich mit dem Feuer gespielt, sie hätte sich auch verschlucken können." Aber das Baby nimmt zu und kommt im siebten Monat entgegen aller Erwartungen kerngesund zur Welt. Yuliya befindet sich zu dieser Zeit seit einem halben Jahr im Wachkoma und bekommt von der Entbindung nichts mit. Ein weltweit einzigartiger Fall.
Miguel ist ungeduldig, er will seine Freundin ins Leben zurückholen. Er "entführt" sie aus dem Krankenzimmer, fixiert sie im Autositz und fährt mit ihr los. Das macht er einmal, zweimal. Yuliya erbricht und er bringt sie zurück. Nur um sie am nächsten Tag wieder ins Auto zu setzen. Baby Lena ist drei Monate alt und liegt in Yuliyas Arm, als die junge Frau tatsächlich erwacht. "Ich habe das Kind gesehen und wusste sofort, es ist meins", erzählt sie.
Dass sie überhaupt schwanger gewesen ist, daran kann sie sich nicht erinnern. Und auch nicht an Miguel, den sie zum Zeitpunkt des Unfalls ein Jahr kannte. "Das hat mich nicht weiter beunruhigt", sagt Miguel. Er gibt ihr Zeit und weicht genauso wenig von ihrer Seite, wie die Monate zuvor und die Jahre danach. Am 8. Dezember - ein gutes Jahr nach dem Unfall holt er sie nach Hause und tatsächlich macht sie hier die größeren Fortschritte.
Schritt für Schritt dem Ziel entgegen
Heute sitzt Yuliya im Rollstuhl, ist halbseitig gelähmt. Miguel hat im Keller ein Laufband im Boden eingelassen, wo er zusätzlich zur Reha mit ihr trainiert. Jeden Tag geht seine Frau - die beiden haben in diesem Jahr endlich geheiratet - auf dem Laufband. Miguel hockt auf dem Boden neben ihr und bewegt ihren gelähmten Fuß im Takt. Schritt für Schritt dem großen Ziel entgegen: "In diesem Jahr wird Yuliya laufen."
Wer Miguel so sprechen hört, glaubt ihm. "Er ist anstrengend", sagt Yuliya lächelnd und sie ist ihm dankbar dafür, denn Miguel versetzt Berge. Eben diesen Glauben wollen beide auch ihrer Tochter Lena mit auf den Weg geben. Als sie im Dezember 2013 getauft wird, lautet der Taufspruch: "Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt." Yuliya steht mit ihrem Mann am Taufbecken, aufrecht und von ihm mit sicherem Griff gehalten.
Ob das Nächstenliebe ist? "Das ist Liebe", sagt Miguel und schaut seine Frau an. "Jeden Morgen, wenn ich sie neben mir aufwachen sehe, bin ich glücklich." Alles was er tut, ist deshalb selbstverständlich für ihn. Die Nächstenliebe treibt ihn dagegen an, wenn er anderen Menschen hilft. "Ich bekomme öfter Anrufe von Angehörigen, die gerade ähnliches durchmachen. Da versuche ich zu unterstützen, wo ich kann", sagt er.
Es muss sich etwas ändern
"Man ist in dieser Ausnahmesituation total am Limit. Bis man sich da eingelebt hat vergehen Monate, wenn nicht Jahre", sagt Miguel. "Ohne meine Eltern und ohne die Unterstützung unserer Arbeitgeber, wären wir niemals so weit gekommen." Gefehlt habe ihm allerdings eine neutrale Beratung rund um alle gesundheitlichen und rechtlichen Fragen. Jemand der ans Krankenbett kommt und alles Organisatorische mit einem durchgeht. "Dann würde Yulia heute schon gehen."
So hat er sich alles selbst erarbeitet. Den richtigen Umgang mit Krankenkasse und Medizinischem Dienst, die richtigen Hilfsmittel, die besten Heilmethoden. Wie immer gegen Widerstände und besseren Rat. "Vieles war Learning by Doing", gibt er zu und würde anderen diese Umwege gerne ersparen. "Wir möchten mit unserer Erfahrung dazu beitragen, Betroffene schneller wieder zum Laufen zu bringen."
Dafür hat Miguel sein Buch "Gegen jede Prognose" geschrieben und dafür möchte er das rege Medieninteresse an ihrem Fall nutzen und hofft, dass es nicht weiter abebbt: "Eine Einladung zu 'SternTV' wäre toll."
Wie Miguel einen Ausgleich im anstrengenden Alltag neben Beruf und Pflege findet? Beim Triathlon: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Fahrrad fahren und 42 Kilometer laufen. "Ich bin ein Ironman", sagt er stolz. Und irgendwie man kann ihm nur Recht geben.