Standpunkt

Kann es nur den Betern noch gelingen?

Veröffentlicht am 21.07.2023 um 00:01 Uhr – Von Andreas Püttmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Um die Gebetspraxis bei Christen ist es schlecht bestellt. Andreas Püttmann hält es für beunruhigend, dass es gerade in diesen unheilvollen Zeiten so wenige Beter gibt. Und er fragt: Wie soll einer immer weniger betenden Kirche echte Reform gelingen?

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Die Kirchenaustrittswelle dringe nun bis in die Kerngemeinden vor, ist inzwischen oft zu hören. Es gingen nicht mehr nur die von der kirchlichen Peripherie, sondern hoch identifizierte, engagierte Christen. Sie täten dies aus Empörung über Reformverweigerung und klerikales Fehlverhalten, vor allem beim Missbrauch, von dem seit Jahren die meisten Medienberichte über Kirche handeln.

Nun sind aber nicht alle Glaubensvollzüge an die kirchliche Gemeinschaft gebunden. Im Gebet können sich auch Einzelne und private Gruppen an Gott wenden. Der Bertelsmann-Religionsmonitor ermittelte jedoch einen Rückgang des täglichen Gebets seit 2013 von 23 auf 17 Prozent der Bevölkerung; "nie" zu beten sagten damals 32, nun 43 Prozent. Unter den regelmäßigen Betern sind zudem viele Gläubige anderer Religionen. Man ahnt, dass es da um eine kirchenunabhängige christliche Glaubenspraxis nicht gut bestellt sein kann. Und dass zwar auch Fromme die Kirche verlassen, aber immer noch als Ausnahme.

Die Selbstaussage "Es bedeutet mir etwas, wenn Menschen für mich beten" bejaht laut INSA nur jeder zweite Christ, indes sogar jeder vierte Konfessionslose. Und dies wohl nicht nur aus agnostischem Restzweifel, ob es nicht vielleicht doch nützen könne, sondern weil ein Gebetsversprechen eine der intimsten Formen freundschaftlicher Verbundenheit ist. Sollte wirklich die Hälfte der Kirchenmitglieder dafür keine Antenne haben?

Reinhold Schneider dichtete 1936: "Allein den Betern kann es noch gelingen… Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt/Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,/Indes im Dom die Beter sich verhüllen." Nie stand mir seine Prophetie von "Not und Unheil" und massenhaftem Verlust der Demut so vor Augen wie heute: in der Hybris und Rohheit der Rechtspopulisten, der kriegsverbrecherischen Brutalität ihres Paten im Kreml, im moralischen Nihilismus der Trumpisten, in der Versündigung an den natürlichen Lebensgrundlagen. Und gerade jetzt sind der Beter so wenige? Wie will einer immer weniger betenden Kirche echte Reform gelingen? Wie Widerstandskraft gegen das Unheil dieser Zeit?

Tröstlich sind zwar Schneiders Verse "Täter werden nie den Himmel zwingen: Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,/Was sie erneuern, über Nacht veralten" (Take this, Putin!). Doch wäre mir lieber, wir müssten die letztliche Vergeblichkeit des Bösen und die Verderblichkeit des Hochmuts nicht erneut durch Erfahrung nachvollziehen, sondern könnten rechtzeitig Einhalt gebieten. Dafür will ich auch wieder mehr beten. Gebet ist der Atem des Glaubens. Eine Kirche, die ihn verliert, wird kurzatmig, bequem, selbstreferenziell. Sie kann kein Sakrament mehr sein und macht sich überflüssig.

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.