Warum in Turin künftig Laien Gemeinden (mit)leiten werden
Was derzeit im Erzbistum Turin und in der Diözese Susa geschieht, ist nicht weniger als eine kleine Revolution: Erzbischof Roberto Repole, der beide Bistümer in Personalunion führt, will künftig Laien an der Leitung von Pfarreien beteiligen. Zwar macht Repole in seinem Mitte Juli veröffentlichten Hirtenbrief deutlich, dass der Vorsitz der angedachten Leitungsteams mehrerer Laien immer bei einem Priester liegen muss. Doch da das vom Turiner Oberhirten angekündigte Modell besonders in kleinen Gemeinden gelten soll, "in denen die dauerhafte Präsenz des Priesters nicht möglich ist", bedeutet das in der Praxis für die Laien wohl eine große Eigenverantwortung bei der Leitung.
Mit Repoles Vorstoß werden die altehrwürdige Erzdiözese Turin und das kleine Bistum Susa zu Vorreitern in Italien, was die Beteiligung von Laien an der Leitung der Kirche auf ihrer untersten Ebene, der Kirchengemeinde, angeht. Bislang hat kein Oberhirte des traditionell katholischen Landes eine ähnliche Reform in diesem Umfang gewagt – wohl nicht zuletzt auch wegen des 2020 von der Kleruskongregation veröffentlichten Dokuments, das Gläubige ohne Weihe an der Spitze einer Pfarrei explizit ausschloss. Die Instruktion mit dem Titel "Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche" verbietet, dass Laien die Bezeichnung oder Funktionen eines Pfarrers annehmen – "auch nicht im Falle des Priestermangels".
Zwar können als außerordentliche Maßnahme Nichtpriester "an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei beteiligt" werden. Dabei ist laut dem Schreiben jedoch auf Bezeichnungen wie "Leitungsteam" zu verzichten. Gerade in Deutschland, wo in mehreren Bistümern unterschiedliche Modelle der Beteiligung von Laien an der Pfarreileitung erprobt werden, hatte das Schreiben aus dem Vatikan damals für Verwunderung gesorgt – Konsequenzen folgten danach in diesem Punkt jedoch kaum. Wohl auch, weil in bestimmten Diözesen, wie etwa im Bistum Rottenburg-Stuttgart, die gemeinschaftliche Leitung von Klerikern und Laien teilweise seit Jahrzehnten gelebt wird.
Der Turiner Erzbischof scheint bei seinem Modell keine Bedenken zu haben, dass es den vatikanischen Vorgaben widerspricht. Auf die Instruktion der Klerus-Behörde geht er in seinem Hirtenbrief jedenfalls nicht ein, sondern ruft die Gläubigen seiner Bistümer vielmehr dazu auf, die "Frische des Evangeliums" wiederzuentdecken. Dem Argument "Das wurde immer schon so gemacht", das oft gebraucht wird, um sich Neuerungen im Leben und der Struktur der Kirche zu verschließen, erteilt er eine Absage. Repole möchte nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in seiner Ortskirche: Anstatt der "ermüdenden Aufrechterhaltung des aktuellen Modells" fordert er einen anderen kirchlichen Stil, um "den unerschöpflichen Reichtum des Evangeliums an die Frauen und Männer von heute weiterzugeben".
Drei Kernelemente des Kirche-Seins
Der 66-jährige Oberhirte, der 2022 zum Bischof geweiht wurde und zuvor als Professor systematische Theologie in Turin lehrte, macht zu diesem Zweck besonders drei Kriterien des Kirche-Seins aus: Das Hören auf das Wort Gottes, die Zentralität der Eucharistiefeier und die Geschwisterlichkeit in der Kirche und darüber hinaus. Doch Repole sieht diese drei wesentlichen Punkte des christlichen Lebens in Gefahr. Zum einen durch den selbst in Italien voranschreitenden Priestermangel, der auch vor seinen Diözesen nicht halt macht. In Turin gibt es immerhin noch knapp 1.000 Diözesan- und Ordenspriester, doch sie sind für die stattliche Zahl von zwei Millionen Gläubigen zuständig; in Susa kommen knapp 40 Geistliche auf 82.000 Seelen. In beiden Diözesen gibt es Jahr für Jahr weniger Priesterweihen.
Ein weiterer Grund für die Besorgnis des Erzbischofs sind die veränderten gesellschaftlichen Umstände in denen sich die Kirche wiederfindet: Immer weniger Menschen interessieren sich für den Glauben. Viele sind nicht mehr bereit, sich an die Kirche dauerhaft zu binden. Doch zur notwendigen Evangelisierung würden die bestehenden Dienste und Strukturen nicht mehr viel beitragen können, so Repole. Deshalb tritt er dafür ein, die genannten drei Kernelemente des Glaubens bei den Reformüberlegungen in den Mittelpunkt zu stellen.
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Zu dieser Überzeugung gelangte Repole nicht alleine, sondern durch Gespräche mit den Christen seiner Bistümer. Kurz nach seiner Bischofsweihe im Mai des vergangenen Jahres lud er die Gläubigen dazu ein, gemeinsam mit ihrem neuen Hirten nach den "Trieben" der Hoffnung für die Zukunft der Kirche Ausschau zu halten. Dazu lud der Erzbischof zu verschiedenen Treffen ein. Eine Frucht dieser Auseinandersetzung sind die künftigen "Gemeindeleitungsteams". Diese sollen aus mindestens drei Personen bestehen, die jeweils für einen Zeitraum von fünf Jahren eine Gemeinde leiten. Ab November sollen für die Leitungsteams infrage kommende Gläubige an einem neuzugründenden Ausbildungsinstitut auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Durch dieses neue Laienamt werde deutlich, "dass wir alle nur Diener und nicht Herren der Kirche sind", so Repole.
Der Erzbischof ist sich bewusst, dass die geplanten Veränderungen auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Priester haben werden: Statt einer Leitung von oben herab, werden Geistliche künftig eher als Moderatoren fungieren und sich um "das Beziehungsgefüge zwischen den Gläubigen" kümmern. Für die Laien zieht Repole die Schaffung weiterer, nicht genannter Ämter in Betracht. Außerdem plant er eine Verschlankung der erzbischöflichen Kurie, damit klarer werde, dass die kirchliche Verwaltung im Dienst des Bischofs und der Gläubigen stehe – "und nicht andersherum".
Repole will in seinem Hirtenwort nicht nur fertige Lösungen vorlegen, sondern mit den Gläubigen und Klerikern seiner Bistümer über die vorgelegten Reformen im Gespräch bleiben. Dabei ruft er dazu auf, im kommenden Jahr die christliche "Geschwisterlichkeit" im Blick zu behalten. Sollten die Neuerungen in Turin und Susa Erfolg haben, könnten sie auch für andere Diözesen der italienischen Halbinsel ein möglicher Weg sein, um fit für die Zukunft innerhalb einer Gesellschaft zu werden, in der Glaube und Kirche immer mehr an Bedeutung verlieren.