Debatte über Zukunft von Gotteshäusern: Bleibt die Kirche im Dorf?
Sie stehen (noch) in fast jedem Stadtteil und jedem Dorf, prägen Ortsbilder und wecken Heimatgefühle, hier werden Hochzeiten gefeiert und Tote verabschiedet: Bundesweit gehören der evangelischen oder der katholischen Kirche geschätzte 45.000 Kirchengebäude. Nach dem Bauboom der 1950er und 1960er Jahre zeichnet sich inzwischen eine gegengesetzte Entwicklung ab: Die Zahl der Christen sinkt dramatisch. Genauso wie die Zahl der Pfarrer - besonders in der katholischen Kirche. Daher müssen die Gemeindemitglieder vor Ort oft mit den Planern der Kirchenverwaltung entscheiden, wo die Kirche im Dorf bleibt. Und wo es Zeit für Abschiede oder Wandel ist.
Einen Überblick über Planungen und konkrete Zahlen zu erhalten, ist nicht einfach. Die Frage nach der Aufgabe von Kirchen ist ein emotional besetztes und daher vermintes Gelände. Kirchenleitungen befürchten offenbar Schlagzeilen wie vor einigen Monaten, als die Zahl die Runde machte, dass bundesweit jede dritte Kirche aufgegeben werden soll. Das wären etwa 15.000.
"Ich beteilige mich nicht an solchen Spekulationen. Für das Erzbistum Freiburg kann ich sagen, dass es keine solche Quotenvorgabe gibt. Wir sind mitten in einem Prozess, in dem wir die Seelsorge und das kirchliche Leben für die kommenden Jahre neu aufstellen. Und aufgrund dieser inhaltlichen Schwerpunkte werden wir dann auch über den Erhalt oder die Aufgabe von Kirchen und anderen Gebäuden entscheiden. Frühestens in einigen Jahren", sagt Linus Becherer, Leiter der Immobilienabteilung im Erzbistum. Aktuell gibt es zwischen Odenwald und Bodensee etwa 2.000 katholische Kirchen und Kapellen.
Trotz schwindender Religiosität bleiben die Gotteshäuser auch in säkularen Zeiten Orte der Identifikaktion. Davon zeugt, dass in nicht wenigen ostdeutschen Dörfern private Vereine für Erhalt und Sanierung von Kirchengebäuden kämpfen. Kunsthistorikerin Barbara Welzel betont: "Kirchen sind die wichtigsten Überlieferungsträger Europas." Ihre Kölner Kollegin Stefanie Lieb warnte aber zuletzt in der "Herder Korrespondenz", Kirchen könnten als "religiöse Zufluchtsorte" vielerorts bald verschwinden. Unbestritten ist, dass die sinkenden Mitgliederzahlen und deshalb auch erwartete Einbrüche bei den Kirchenfinanzen zwangsläufig zur Aufgabe von Gotteshäusern führen werden.
Beschleunigt werden Pläne durch die Selbstverpflichtung der Kirchen, möglichst schnell klimaneutral zu wirtschaften. Dementsprechend stehen bei vielen Gebäuden hohe Investitionen an - oder der Verkauf. Das trifft zunächst und in großer Zahl Pfarrhäuser oder Gemeindezentren. Vielleicht auch Kindergärten, bei denen die Kirchen mancherorts die Trägerschaft abgeben wollen.
Seit den 1990er Jahren wurden in Deutschland bereits etwa 1.000 Kirchengebäude aufgegeben. Bei den wenigsten rollte der Abrissbagger an, zumeist ging es um neue Nutzungen. Zukunftsfähige und bezahlbare Konzepte für Kirchen zu finden, ist dabei nicht einfach.
Wo in anderen Ländern Kirchen reihenweise zu Restaurants, Ateliers oder Hotels wurden - etwa in Großbritannien - tut sich Deutschland schwerer. Viele Bauten sind denkmalgeschützt oder haben kulturhistorischen Wert. Am unverfänglichsten scheint der Umbau zu "Kolumbarien" - einem Ort zur Bestattung von Urnen. In Leipzig entstand ein "Inklusionshotel". In Freiburg wurde eine entwidmete Kirche zu hochpreisigen Eigentumswohnungen. Mancherorts wurden aufgegebene Kirchen in Altenheim-Anlagen integriert.
Die evangelische Landeskirche Baden geht offen mit den Fragen um. Dort müssen die Kirchengemeinden, die zumeist Eigentümer der Kirchen und anderer kirchlicher Immobilien sind, bis Jahresende jedes Gebäude in ein Ampelsystem einordnen: grün für unbedingt erhalten, rot für aufgeben und gelb für noch unentschieden.
"Jede Aufgabe einer Kirche, jeder Verkauf ist schwer, aber wir müssen uns von dem Gedanken leiten lassen, was brauchen die Menschen künftig noch", sagt die leitende evangelische Freiburger Pfarrerin Angela Heidler. "Vielleicht bedeuten zu viele Strukturen und Gebäude auch, dass wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigen." Zugleich ist Heidler sicher, dass geistliche, religiöse Orte auch in der säkularen Gesellschaft gebraucht werden. "Vielleicht aber stärker auch an ungewöhnlichen Orten und nicht nur in Kirchengebäuden."