Ehe werde nicht mehr in erster Linie als Vertrag verstanden

Moraltheologen: Sexualmoral als Machtmittel widerspricht Vatikanum

Veröffentlicht am 31.07.2023 um 11:46 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Im Nachgang zur Verweigerung des vatikanischen "Nihil obstat" für den Moraltheologen Martin M. Lintner hat dieser gemeinsam mit seiner Kollegin Kerstin Schlögl-Flierl einen Blick auf den Stand seiner Disziplin geworfen – mit einem klaren Appell.

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Die Moraltheologen Kerstin Schlögl-Flierl und Martin M. Lintner haben die kirchliche Machtpolitik hinter sexualethischen Fragen kritisiert. "Wenn Fragen der Sexualmoral wieder ein Machtmittel werden, um zu disziplinieren, widerspricht das dem Ansatz des Zweiten Vatikanischen Konzils", schreiben die beiden Professoren in der aktuellen Ausgabe der "Herder Korrespondenz". Das Konzil gehe von der Ehe als Bund von Gleichberechtigten aus, dies würde ad absurdum geführt, wenn "diese Bereichsethik als Damoklesschwert über Moraltheologinnen und Moraltheologen schwebt".

Seit dem Konzil werde die Ehe nicht mehr vornehmlich als Vertrag gesehen, sondern "mit dem biblischen Bild des Bundes beschrieben", so die beiden Wissenschaftler weiter. Dementsprechend werde in der Moraltheologie "schon seit Jahren von einem Paradigmenwechsel gesprochen, weg von der Sexualmoral hin zur Beziehungsethik". Weniger die Sexualität als die Beziehung und die Beziehungsqualität sollten im Mittelpunkt stehen. "Die Ehe ist ein vorrangiger Ort, an dem die Liebe Christi zur Kirche vergegenwärtigt und auf analoge Weise bezeugt wird, und ein Ort gegenseitiger Heiligung der Ehepartner." Sie habe eine ihr eigene Sendung in der Kirche, die künftig deutlicher ausbuchstabiert werden müsse.

Wissenschaft müsse sprachfähig sein

Dazu müsse die Moraltheologie sprachfähig sein. Es gelte ernst zu nehmen, "dass viele Menschen guten Willens bei bestem Wissen und Gewissen die offizielle katholische Sexualmoral nicht nachvollziehen können und sogar als abschreckend wahrnehmen". Damit wolle man sich nicht abfinden, "nicht aus Kritik an der kirchlichen Lehre, sondern aufgrund unseres sentire cum ecclesiae [sic], aufgrund unseres festen Zugehörigkeitsgefühls zur Kirche".

Lintner war für September zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen gewählt worden. Der Vatikan hatte jedoch das dafür notwendige "Nihil obstat", also eine Unbedenklichkeitserklärung, verweigert. Der Katholisch-Theologische Fakultätentag protestierte gegen die Entscheidung und stellte sich hinter Lintner. Der Servitenpater forscht und veröffentlich seit vielen Jahren unter anderem zu den Themen Beziehung und Sexualität. (cph)