Soll, was im Diesseits wegschmilzt, im Jenseits einen neuen Ort bekommen?

Tück: Trauerfeier für Gletscher ist "theologisch abenteuerlich"

Veröffentlicht am 02.08.2023 um 11:06 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ "Trauerfeiern" für Gletscher laden nach Ansicht Jan-Heiner Tücks den Klimawandel emotional auf und würden "den apokalyptisch gefärbten Klima-Aktivismus theologisch" unterfüttern. Damit lenke die Kirche von ihrem Relevanzverlust ab.

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Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück hat Trauerfeiern für Gletscher als "theologisch abenteuerlich" bezeichnet. Die Kirche feiere die Begräbnisliturgie (Requiem) traditionell um Tote "der ewigen Ruhe und dem Gedächtnis Gottes" zu empfehlen. "Wie will man das auf sterbende Gletscher beziehen? Soll etwa das, was im Diesseits wegschmilzt, im Jenseits einen neuen Ort bekommen?", schreibt Tück in einem Gastbeitrag für die österreichische Tageszeitung "Die Presse" am Dienstag (online). Ein frostiger Himmel wäre eine Neuigkeit im bunten Panorama menschlicher Projektionen, so Tück.

Zudem feiere die Kirche ein Requiem nicht für Sterbende, sondern für verstorbene Personen. Diese hätten einen Namen und Geschichte. Das sei etwas anderes als ein Naturphänomen, so Tück. "Trauerfeiern" für Gletscher luden den Klimawandel zudem emotional auf und würden "den apokalyptisch gefärbten Klima-Aktivismus theologisch" unterfüttern.

In der vergangenen Woche fand auf der Zugspitze ein ökumenisches Gletscherrequiem statt. Damit wollten die beiden großen Kirchen auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Pastoralreferent Florian Hammerl, einer der Initiatoren der Aktion, sagte im katholisch.de-Interview, dass es dabei vor allem um die Trauerbegleitung der Gottesdienstbesucher über den Klimawandel gegangen sei.

Tück äußerte den Verdacht, "dass der Relevanzverlust, den die Kirchen in ihrem Kernbereich, der Rede von Gott und Jesus Christus, von Sünde und Erlösung, von Gericht und Vollendung hinnehmen müssen, durch geschmeidige Anpassung an ökologische Imperative kompensiert werden soll", so der Theologe.

Das Ambo in der Kirche sei jedoch kein politisches Rednerpult, und das Evangelium biete keine klaren Handlungsanweisungen zur Rettung des Klimas, so Tück. Daher könne sich die Kirche nicht mit aktivistischen Gruppen gemein machen. "Das Tribunal der letzten Generation ist nicht das Jüngste Gericht. Vor diesem werden sich Klimasünder und Klima-Aktivisten gleichermaßen zu verantworten haben", so der Theologe.

Aufgabe der Kirche

"Aufgabe der Kirche hingegen ist es, die Frage nach der Schöpfungsverantwortung des Menschen zu stellen und zu einer kritischen Selbstrevision – nicht vor dem Klima, sondern vor Gott – einzuladen." Statt eine Verschmelzung mit Mutter Erde zu empfehlen, gehe es im christlichen Gottesdienst darum, dem Schöpfer für die vielfältigen Gaben der Erde zu danken und den Menschen zu einem verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung anzuleiten, betont Tück. Das kirchliche Gebet erinnere an die Differenz zwischen Gott und Mensch und könne Anstoß zur Selbstbegrenzung im Umgang mit der Natur sein.

Als gelungenen Umgang der Kirche mit dem Klimawandel nennt Tück die Enzyklika "Laudato si'" von Papst Franziskus. Darin habe der Pontifex der Sorge um das gemeinsame Haus der Erde Ausdruck verliehen und eine ökologieverträgliche Politik angemahnt. Ebenso seien "strategische Allianzen mit Umweltschutzvereinen" zu begrüßen, die der Gesellschaft die Dringlichkeit des Problems vor Augen führten. "Zuletzt haben der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki – in Fragen der Kirchenreform klare Antipoden – einen gemeinsamen Appell zu mehr klimapolitischem Engagement lanciert." Daran sehe man: "Die Sorge um das gemeinsame Haus führt sogar innerkirchliche Gegner zusammen!" (ben)