Wübbe: Die Geduld der meisten Jugendlichen ist erschöpft
Der Weltjugendtag in Lissabon geht zu Ende. Der Vorsitzende der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), der Osnabrücker Weihbischof und Diözesanadministrator Johannes Wübbe, führte die deutsche Delegation an. Er zieht ein positives Fazit. Im Interview spricht er aber auch über den Wunsch nach Veränderungen in der Kirche und eine Polarisierung auch in der Jugend.
Frage: Herr Weihbischof, was für eine Jugend haben Sie in den vergangenen Tagen in Lissabon erlebt?
Wübbe: Eine Jugend, die sehr interessiert ist, am Leben, auch am Glauben. Eine Jugend, die viele Fragen mitbringt, die aber diese Tage auch genutzt hat, zusammen zu feiern – und zwar in vielfacher Hinsicht, bei den Musikkonzerten und bei den Gottesdiensten. Und eine, die die Probleme, die sie sieht, untereinander bespricht und auch kontrovers diskutiert.
Frage: Zu Beginn des Weltjugendtags haben Sie gesagt, dass diese Veranstaltung ganz bewusst Raum bieten soll für die Fragen und Anliegen der Jugend – unter anderem, was die Kirche tun müsse, damit sie dabeibleiben. Was haben Sie im Hinblick darauf wahrgenommen?
Wübbe: Das sind natürlich sehr unterschiedliche, teils weit auseinanderliegende Erwartungen. Wenn ich an die jungen Leute denke, gibt es natürlich die eine Gruppe, die sehr stark fordert, dass alles, was mit dem Thema Synodaler Weg zusammenhängt, nach vorne gebracht wird und dadurch Veränderungen in der Kirche angestoßen werden. Es gibt aber auch eine andere Gruppe, die gerade das nicht möchte, weil sie sagen, dass die Kirche dadurch kaputtginge.
Frage: Wie viel Geduld ist bei den Jugendlichen noch da, die Reformen wollen?
Wübbe: Bei dem meisten ist die Geduld wirklich erschöpft, das muss ich ehrlicherweise so sagen. Sie sagen, wenn ihr nicht bald die Kurve kriegt, müssen wir uns gut überlegen, ob wir noch Teil dieser Kirche sein wollen.
Frage: Welche Botschaft haben Sie für diese?
Wübbe: Ich habe ihnen in diesen Tagen gesagt, dass viele der Bischöfe das ihrige dafür tun, damit es zu Veränderungen kommt. Und ich hoffe, dass ich etwas in Bewegung setzten kann, dass die Jugendlichen wahrnehmen: Es lohnt sich weiter, mit und in der Kirche das Leben zu gestalten und es vor allen Dingen mit Gott zu gestalten.
Frage: Sie haben schon angesprochen, dass es auch unter den Jugendlichen in der Kirche eine gewisse Polarisierung gibt. Wie lässt sich da Ausgleich schaffen?
Wübbe: Papst Franziskus hat in diesen Tagen öfter gesagt, die Kirche ist für alle da. Ich wünsche mir, dass das für alle eine Realität sein darf. Wir müssen nicht alle in allen Punkten zu 100 Prozent übereinstimmen. Aber wir freuen uns darüber, dass wir eine Kirche mit vielfältigen Ansichten sind. Wir müssen einfach noch mehr miteinander lernen, über das Gespräch, das den Einzelnen ernstnimmt, auch Wege zu finden, die von vielen mitgegangen werden.
Frage: Ist das in Lissabon zumindest ein Stück weit gelungen?
Wübbe: Ich habe das an manchen Stellen durchaus erfahren, so wie ich es auch in Deutschland erlebe. Manchmal ist ein Gespräch sehr schnell vorbei, weil die Gegenseite sich nicht eine andere Meinung erklären lassen möchte. Ich habe aber auch erlebt, dass junge Menschen ein zweites Mal gekommen sind und gefragt haben, ob sie mit mir doch noch länger über ein Thema sprechen können. Wir sind dann so auseinandergegangen, dass wir einander gut zuhören und erklären konnten. Wenn ich mich auf mein Gegenüber wirklich einlasse, kann ich besser erahnen, weshalb jemand zu einer Einstellung gelangt, die meiner eigenen entgegensteht.
„Es geht darum, wie Kirche einen Raum bieten kann, damit Menschen dort zusammen glauben und leben können.“
Frage: Lassen Sie uns nochmal einen Blick auf die Aussage von Papst Franziskus werfen, die Kirche müsse offen für alle sein. Lässt sich daraus eine Hoffnung ziehen, dass sich manches in der Kirche doch bewegt?
Wübbe: Ich verstehe die Aussage zunächst so, dass der Papst möchte, dass die Kirche deshalb für viele Menschen ein Zuhause ist, weil das die Botschaft von Jesus Christus und seinem Reich Gottes ist. Es gibt natürlich auch andere Aussagen von Papst Franziskus, die nicht so viel Mut machen, dass es sehr schnell Reformen gibt. Gleichzeitig hoffe ich, dass man bei der Weltsynode im Oktober sieht, dass Reformforderungen weltweit ein Thema sind, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen, und man darüber nachdenkt, die Kirche um der Menschen willen zu verändern, damit sie in ihr Zuhause sein und ihren Glauben leben können. Es geht nicht um Strukturen. Es geht darum, wie Kirche einen Raum bieten kann, damit Menschen dort zusammen glauben und leben können.
Frage: Wenn Sie auf die Tage hier in Lissabon schauen: Was war denn das Besondere an diesem Weltjugendtag?
Wübbe: Die Frage lautete im Vorfeld, wie er nach dieser längeren Corona-Pause wird. Aber schon bei den "Tagen der Begegnung" in der Woche zuvor erlebten wir eine so große Gastfreundschaft und ein solches Miteinander, dass dieser Weltjugendtag an die positiven Erfahrungen der vorherigen angeknüpft hat. Dieser Weltjugendtag hat gezeigt, dass das Format nicht "out" ist, sondern sehr wichtig, damit Leute Weltkirche erleben und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes der Horizont geöffnet wird. Deshalb hoffe ich auch, dass es uns gelingt, beim nächsten Weltjugendtag noch mehr Jugendliche aus Deutschland einzuladen.
Frage: Was können die jungen Leute, die hier waren, für das Leben in Deutschland mitnehmen?
Wübbe: Ich habe junge Menschen genau danach gefragt. Sie haben geantwortet: einmal, dass es auf der Welt doch noch viele junge Menschen gibt, die glauben und in der Kirche zuhause sind. Das ist in Deutschland nicht ganz selbstverständlich und tut daher gut. Das zweite ist, dass Gottesdienst, gerade über die Musik, lebendig und hilfreich für das Leben sein kann. Das dritte ist, da denke ich völkerverbindend und gesellschaftlich, dass sie mit ganz vielen Nationalitäten ins Gespräch gekommen sind und dabei klar wurde, dass alle – gerade im Blick auf die Kriege in der Welt – gemeinsam für Frieden einstehen.
Frage: Was nehmen Sie ganz persönlich mit vom Weltjugendtag?
Wübbe: Dass es ich lohnt, Kirche zu gestalten und alles zu tun, damit sie vielfältig und einladend ist.