Der sozialpolitische Überbietungswettbewerb ist ein Problem
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Die Logik scheint immer dieselbe: viel hilft viel. In der Debatte um die Kindergrundsicherung hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) zunächst zwölf Milliarden Euro gefordert, um "Kinderarmut" beziehungsweise "Armutsgefährdung" zu bekämpfen. Nach den üblichen Interventionen aus dem Finanzministerium hieß es, sieben Milliarden Euro seien unbedingt nötig, schließlich gehe es um unsere Zukunft. FDF-Chef Christian Lindner hatte dann zwei Milliarden in Aussicht gestellt. Der Gesetzentwurf aus dem Familienministerium geht nun angeblich von 3,5 Milliarden Euro aus. Doch was stimmt, was ist sachgerecht?
In Wahrheit werden diese sozialpolitischen Debatten unterkomplex debattiert und haben dann bisweilen einen zynischen und ignoranten Unterton. Oft machen die Kirchen und kirchliche Verbände bei diesem Milliarden-Poker mit. Wer nennt die höhere Zahl? Wer fordert mehr? Ulrich Lilie, Chef der Diakonie, ist gerne der Forscheste und sichert sich Aufmerksamkeit, indem er einfach die größte Zahl in die Luft wirft. 20 Milliarden müssten es sein, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen und viel teurere Folgekosten zu vermeiden. Doch eigentlich müsste auch er wissen, dass viel nicht immer viel hilft. Es braucht eben nicht nur Direktzahlungen, sondern auch Geld, um bessere Infrastruktur aufzubauen, mehr Kitas, mehr Bildung. Und natürlich geht nicht alles.
Der frühere Caritas-Generalsekretär Georg Cremer warnt vor diesem sozialpolitischen Stellungskrieg. "Im Sozialbereich gibt es viele Virtuosen der Empörung", klagt er, doch die helfe keinem, schreibt er auf "Zeit Online". Es sei der Sache nicht dienlich, dass die Ministerin "weiterhin mit der Rhetorik von Schande und Sozialstaatsversagen unterwegs" sei. Cremer kritisiert, dass hohe Transfers bis weit in die Mitte der Gesellschaft "armutspolitisch kontraproduktiv" seien.
Die Kirchen sollten sich diese Expertenkritik zu Herzen nehmen und helfen, die sozialpolitische Debatte aus der Empörungs-Eskalation zu befreien und auf die Sachebene zurückzuführen. Dann müssen schwierige Abwägungen erfolgen und Entscheidungen getroffen werden, aber der Überbietungswettbewerb könnte enden, der denjenigen für "sozialer" hält, der mal eben die höhere Summe in den Raum stellt.
Der Autor
Volker Resing leitet das Ressort "Berliner Republik" beim Magazin "Cicero".
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.