Vatikanjournalistin: Papst ist gegen Personenkult der Privatsekretäre
Georg Gänswein hat es als päpstlicher Privatsekretär zu einiger Bekanntheit gebracht, auch einige seiner Vorgänger schafften es ins Licht der Öffentlichkeit. Ganz anders als ihre Nachfolger unter Franziskus. Doch wie wird man eigentlich Privatsekretär? Die Vatikanjournalistin Christa Langen-Peduto hat sich intensiv mit den Privatsekretären der vergangenen 150 Jahre beschäftigt und ein Buch über sie geschrieben. Im Interview spricht sie über ein Amt, das es eigentlich so gar nicht gibt, und viele verschiedene Wege, es auszufüllen.
Frage: Wie lange gibt es schon Privatsekretäre der Päpste?
Langen-Peduto: Offiziell gibt es das Amt gar nicht. Sie werden nicht speziell als Privatsekretäre im Personenverzeichnis des Vatikans geführt, sondern einfach als Mitarbeiter des Staatssekretariats. In früheren Zeiten nannte man sie "Geheimkämmerer". Wikipedia zählt alle Namen von Papstsekretären seit 1871 auf, nachdem der Kirchenstaat Teil des Königreichs Italien geworden war und die Päpste ihre weltliche Macht verloren hatten. Seit 1970 gibt es auch Zweitsekretäre.
Frage: Wie kommt man in diese Position?
Langen-Peduto: Von den ersten Sekretären seit 1871 ist in der Öffentlichkeit nicht viel bekannt. Das ändert sich erst mit Pius XI. im 20. Jahrhundert, der bis 1939 amtierte. Wie alle nachfolgenden Päpste seitdem brachte auch er seinen Privatsekretär aus Kardinalszeiten mit in den apostolischen Palast. Das war Carlo Confalonieri, der später Erzbischof und Kardinal wurde. Erst Franziskus hat mit dieser Tradition gebrochen.
Frage: Warum haben das bislang immer Priester gemacht?
Langen-Peduto: Das liegt daran, dass der Privatsekretär den Papst auch bei liturgischen Feierlichkeiten unterstützen, also auch die Messe mitfeiern soll. Dazu muss man schon Priester sein. Ein Diakon ginge vielleicht auch, aber das ist ja nicht dasselbe.
Frage: Wie verschieden haben die einzelnen Männer das Amt ausgefüllt?
Langen-Peduto: Ihre Hauptfunktion war und ist, dem Papst Begegnungen und Audienzen zu organisieren, auch bei liturgischen Feierlichkeiten mitzuzelebrieren. Manche hielten sich still im Hintergrund. Der deutsche Jesuit Robert Leiber zum Beispiel, der schon enger Mitarbeiter von Pius XII. in dessen Zeiten als Nuntius in Bayern und Berlin war, wohnte nicht einmal mit dem Kirchenoberhaupt zusammen. Ein- bis zweimal täglich kam er zu Fuß oder mit dem Bus in den Vatikan. Er beriet ihn auch bei Ansprachen und korrigierte sie. Diese wurden dann von der bayrischen Haushälterin, Schwester Pascalina, in die Schreibmaschine getippt – die sich eine herausgehobene Position erarbeitete. Leiber war außerdem Professor und lehrte an der Päpstlichen Universität Gregoriana.
Loris Capovilla, der Sekretär von Johannes XXIII., Priester und Journalist, war zumindest in Italien sehr bekannt. Ich zitiere aus meinem Interview mit ihm vor einigen Jahren: "Ich war nicht sein persönlicher Freund, auch nicht sein direkter Mitarbeiter, ich war ihm zu Diensten", so beschrieb er mir sein Verhältnis zu Johannes XXIII. Und weiter: "Nachdem er mit 77 Jahren Papst geworden war, habe ich alles für ihn getan, was ein Sohn macht, der weiß, dass sein Vater alt ist." Insgesamt zehn Jahre diente Capovilla so, die vorangegangene Kardinalszeit einbezogen.
Pasquale Macchi, Sekretär von Paul VI., wirkte auch als strenger Aufseher über die Terminplanung von Paul VI. und dessen Privatsphäre, auch als Reisemarschall. Der "schweigende Schatten des Papstes" wurde Macchi in Italien genannt, weil er so diskret war. Mit Paul VI. verband ihn die Liebe zu moderner Kunst und architektonischen Erneuerungen. So kam es unter seinem Einfluss zum Bau der Audienzhalle und zur Abteilung für moderne Kunst in den Vatikanischen Museen.
Der Ordenspriester Diego Lorenzi, Sekretär des 33-Tage-Papstes Johannes Paul I., hatte gar keine Gelegenheit, in der kurzen Zeit einen eigenen Arbeitsstil zu entwickeln.
Und dann kam der Pole Stanislaw Dziwisz, Sekretär von Johannes Paul II., dem ersten nicht-italienischen Kirchenoberhaupt seit Jahrhunderten. Das war 1978 und Dziwisz war zu dem Zeitpunkt schon zwölf Jahre Sekretär des Kardinals Karol Wojtyla gewesen. Doch in Rom ist alles anders und der schüchterne Dziwisz brauchte Jahre, um sich einzugewöhnen. Doch er war immer an seiner Seite, und das in einem bewegten Pontifikat: Das Attentat auf den Papst, seine vielen Reisen, heimliche Skiausflüge, schließlich die schlimmen Jahre der Parkinson-Krankheit. Das alles 27 Jahre lang. Ausgehend von einer Art Vater-Sohn-Beziehung ist Dziwisz schließlich in diese immer mächtiger werdende Rolle hineingewachsen. Die letzten Jahre, so verlautete hinter vorgehaltener Hand aus dem Vatikan, fällte der Sekretär eigenmächtige Entscheidungen, weil der Papst dazu nicht mehr in der Lage war.
Mit Georg Gänswein, dem Sekretär von Benedikt XVI., war dann wieder alles anders. Er nahm dieselben Aufgaben wie seine Vorgänger wahr, stand aber zusätzlich immer wieder im Medienmittelpunkt, gab Interviews, auch in Klatschblättern. Außerdem war er an der Aufdeckung des Vatileaks-Skandals entscheidend tätig, indem er den Haupttäter entlarvte. Der Rücktritt von Papst Benedikt, von dem er natürlich schon vorweg wusste, war für Erzbischof Gänswein ein schwerer Schlag.
Frage: Privatsekretäre gelten oft als Strippenzieher im Hintergrund. Wie sind sie im Vatikan vernetzt?
Langen-Peduto: Zweifellos sehr gut, sie haben ihre Freunde und Kollegen, die sie unterstützen. Aber es gibt auch viele Gegner, von denen hört man immer wieder. Zu Zeiten von Johannes Paul II. waren die Gerüchte besonders laut, wenn es um Dziwisz ging. Der damalige Kardinalstaatssekretär Sodano soll gesagt haben, bei Bischofsernennungen wüsste er nicht, ob sie vom Papst oder von seinem Sekretär kämen. Aber das war wegen der langen Krankheit von Johannes Paul II. auch eine Ausnahmesituation.
Frage: Bei Papst Franziskus sind die Privatsekretäre sehr im Hintergrund.
Langen-Peduto: Seit Beginn seiner Amtszeit hat Franziskus seine Sekretäre wiederholt gewechselt und aus allen möglichen Ländern herbeigeholt. Sie alle verschwinden fast in der Anonymität, wirken nur im Hintergrund. Seit Anfang August ist mit Daniel Pellizzon ein argentinischer Landsmann ernannt, der lange Diakon gewesen und erst 2018 zum Priester geweiht wurde. Man kannte sich schon. 2011/12 half er dem damaligen Kardinal Bergoglio in Buenos Aires beim Aufbau eines persönlichen Archivs. Vielmehr ist über den 40-jährigen Pellizzon bisher nicht bekannt.
Frage: Was ist der Grund dafür?
Langen-Peduto: Franziskus ist grundsätzlich gegen Personenkult. Gänswein hat ja wirklich eigentlich einen beträchtlichen Personenkult als Privatsekretär betrieben – das ist nicht die Art von Franziskus. Außerdem möchte er bestimmte Personen ehren, das lässt sich am Beispiel des vorangegangenen Sekretärs illustrieren. Der kam aus Uruguay und war dort Straßenpriester, der sich um Straßenkinder kümmerte. Das Thema hat Franziskus interessiert, darüber wollte er mehr erfahren. Beim Neuen ist es ähnlich: Der hatte zwar auch als Diakon schon mit dem damaligen Kardinal Bergoglio zusammengearbeitet. Franziskus hat ihn nach seiner Weihe aber erstmal in die Seelsorge geschickt – in das Stadtviertel von Buenos Aires, in dem Bergoglio selbst gewohnt hatte.
Frage: Was wurde aus den Privatsekretären nach ihrem Amt?
Langen-Peduto: Die Privatsekretäre eint, dass ihr Amt mit dem Tod ihres Chefs endet. Danach hat jeder einen anderen Weg vor sich. Der Jesuit Robert Leiber, der Pius XI. beriet, blieb Universitätsprofessor. Loris Capovilla diente Johannes XXIII. weiter, indem er die Erinnerung an den Konzilspapst wachhielt, bis zu seinem eigenen Tod als fast 101-Jähriger im Jahr 2016. Von Franziskus war der Erzbischof 2014 zum Kardinal ernannt worden. Zuletzt lebte Capovilla in einer zum Museum für den heiligen Papst gewordenen Villa in dessen Heimatort Sotto il Monte bei Bergamo.
Pasquale Macchi wurde zehn Jahre nach dem Tod von Paul VI. zum Erzbischof ernannt und betreute ein Marienheiligtum. Diego Lorenzi kehrte zu Ordensaufgaben zurück, unter anderem auch als Missionar auf den Philippinen. Heutzutage lebt der 83-jährige einstige Sekretär von Johannes Paul I. zurückgezogen in einer Ordensniederlassung in Norditalien. Stanislaw Dziwisz und Georg Gänswein wurden schon zu Lebzeiten ihrer Chefs von diesen zu Erzbischöfen ernannt und erhielten hohe Positionen in der päpstlichen Präfektur. Benedikt machte den engen Mitarbeiter seines Vorgängers Johannes Paul II. noch in dessen Todesjahr zum Erzbischof von Krakau und ein Jahr später zum Kardinal.
Georg Gänswein erhielt bisher von Franziskus keinerlei Auszeichnung, musste gar ohne Aufgabenzuteilung in seine Heimatdiözese Freiburg zurückkehren. Insbesondere soll ihm Franziskus die Veröffentlichung des Buches "Nichts als die Wahrheit: Mein Leben mit Papst Benedikt XVI." gleich nach dessen Tod Anfang 2023 übelnehmen. Darin äußert sich der Autor auch kritisch über sein Verhältnis zu dem jetzigen Pontifex. Besondere Auszeichnungen erhielten aber auch die Franziskus Ex-Sekretäre bisher nicht. Sie sind weiterhin im Vatikan mit anderen Aufgaben betraut oder kehrten in ihre Heimat zurück.
Frage: Glauben Sie, dass sich durch den Umgang von Papst Franziskus mit seinen Privatsekretären dieses Amt dauerhaft ändern wird?
Langen-Peduto: Dauerhaft für sein Pontifikat ganz sicher. Selbst als akkreditierte Vatikanjournalistin hatte ich große Mühe, für mein Buch an ein Foto des Sekretärs zu kommen, Interviews werden immer wieder höflich abgelehnt. Auch bei Reisen verhalten sich die Sekretäre unter Franziskus sehr reserviert. Aber ob sich das Amt auch darüber hinaus ändern wird, weiß man nicht. Ein neuer Papst hat die absolute Macht, alles wieder zu ändern.
Buchtipp
Christa Langen-Peduto, Josef A. Slominski: "Im Schatten der Päpste. Der Alltag der Papst-Sekretäre von Pius XII. bis Franziskus. Ein Bildband", St. Benno Verlag 2016.