Gutachten zu Winfried Pilz bringt neue Vorwürfe ans Licht
In der Amtszeit von Winfried Pilz als Präsident des Kindermissionswerks "Die Sternsinger" gibt es Hinweise auf sexualbezogene Grenzverletzungen. Anhaltspunkte für sexuellen Missbrauch gegenüber Minderjährigen konnte das am Donnerstag vorgestellte Gutachten über die Zeit seiner Präsidentschaft von 2000 bis 2010 jedoch nicht feststellen. Das Kindermissionswerk hatte die Untersuchung durch die Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen Ende November in Auftrag gegeben, nachdem das Erzbistum Köln über Missbrauchsvorwürfe gegen Pilz öffentlich informiert hatte, die mit einer kirchenrechtlichen Sanktion geahndet wurden.
Insgesamt konnte die Gutachterin Hinweise auf Grenzverletzungen gegenüber vier männlichen Mitarbeitern des Hilfswerks feststellen. In den Ergebnissen der Untersuchung werde deutlich, dass Pilz über eine große Autorität und Machtfülle verfügte, die keiner wirksamen Kontrolle unterlegen sei. Außerdem habe es an niederschwelligen Melde-, Beschwerde- oder Beratungsmöglichkeiten für Mitarbeitende gefehlt. In der Untersuchung wurde auch der Umgang von Pilz und weiteren Verantwortlichen im Kindermissionswerk mit dem aus dem Bistum Aachen stammenden Missbrauchstäter Pfarrer Dieter Wintz beleuchtet, mit dem die ehrenamtliche Zusammenarbeit erst 2006 eingestellt wurde. Das Kindermissionswerk räumt in seiner Stellungnahme ein, dass die Zusammenarbeit schon 2003 hätte beendet werden müssen.
Sternsinger-Präsident kündigt Konsequenzen an
Der amtierende Präsident des Kindermissionswerks, Pfarrer Dirk Bingener, würdigte die Arbeit von Janssen. Mit der Arbeit sei es ihr gelungen, "ein genaues Bild des machtmissbräuchlichen Verhaltens von Winfried Pilz sowie der Faktoren zu zeichnen, die dies ermöglichten". Den Feststellungen im Gutachten würden nun konkrete Schritte folgen: "Aufarbeitungsgutachten schließen ja nichts ab, sondern sie fordern die Umsetzung notwendiger Veränderungen ein. So werden wir die Empfehlungen im Gutachten, beispielsweise die Entwicklung eines umfassenden Verhaltenskodexes für Führungskräfte und Mitarbeitende sowie die Überprüfung und den Ausbau von Beschwerde- und Meldewegen, zusätzlich zu unseren bestehenden Maßnahmen forcieren", betonte Bingener. Auch die weltkirchliche Ebene müsse in den Blick genommen werden: Bei Tätern, die im Ausland tätig waren, sei es wichtig, die dortigen kirchlich Verantwortlichen über den jeweiligen Sachverhalt zu informieren. Außerdem müssten Präventions-, Interventions- und Aufarbeitungsbemühungen vor Ort unterstützt werden.
Das Kindermissionswerk verzichtet künftig darauf, das von Winfried Pilz geschriebene Lied "Laudato si" in seinen Materialien zu verwenden. Die bisherigen Erlöse aus den Tantiemen für die Nutzungsrechte des Liedes würden für Kinderschutzprojekte verwendet. Dazu habe das Kindermissionswerk bereits eine Rücklage eingerichtet.
Die Untersuchung richtet auch Empfehlungen an die Kirche über das Kindermissionswerk hinaus. Es brauche unter anderem mehr Personal in den Interventionsstellen der Bistümer, eine engere und koordiniertere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen kirchlichen Institutionen sowie weitere namentliche Aufrufe von Missbrauchstätern, damit Betroffene ermutigt werden, sich zu melden.
Weitere Erkenntnisse zum Fall Pilz stehen noch aus
Die mit der Untersuchung beauftragte Anwältin und Mediatorin Bettina Janssen hatte zuvor bereits im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) die Akten der Auslandspriester-Koordinationsstelle Fidei Donum ausgewertet und dabei unter anderem massive Vorwürfe gegen den ehemaligen Adveniat-Geschäftsführer und späteren Bischof von Santo Domingo de los Colorados, Emil Stehle, aufgedeckt.
Vor seiner Zeit als Sternsinger-Präsident war Pilz jahrzehntelang in der kirchlichen Jugendarbeit tätig, unter anderem als Referent für Glaubensbildung im Jugendhaus Düsseldorf und Rektor der Kölner Jugendbildungsstätte "Haus Altenberg". Das Jugendhaus Düsseldorf kündigte im vergangenen Sommer an, die Akten aus der Zeit von Pilz zu sichten und ebenfalls einen Bericht zu veröffentlichen.
Das Erzbistum Köln hatte sich Ende Juni 2022 mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewandt, um mögliche weitere Betroffene zu finden. Zu diesem Zeitpunkt war ein Missbrauchsfall aus den 1970er Jahren bekannt, aufgrund dessen der damalige Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner 2014 Sanktionen gegen Pilz erlassen hatte. Das Kindermissionswerk hatte nach eigenen Angaben erst 2021 von den Vorwürfen gegen seinen früheren Präsidenten erfahren. Nach Angaben des Erzbistums Köln seien auf den Aufruf hin mehrere Hinweise auf weitere Fälle eingegangen. (fxn)
Untersuchung und Aufarbeitung zum Fall Pilz im Volltext
Die 130-seitige Untersuchung der Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen wurde am Donnerstag vom Kindermissionswerk "Die Sternsinger" vorgestellt und im Volltext veröffentlicht.