Nach 250 Jahren wieder ein Verbot der Jesuiten
Die Sanktionen sind sehr konkret. Aber irgendwie auch hochsymbolisch. Die linksautoritäre sandinistische Regierung von Daniel Ortega in Nicaragua hat den Jesuitenorden im Land für illegal erklärt und die Beschlagnahmung seines gesamten Vermögens angeordnet. In dem staatlichen Beschluss vom Mittwoch (Ortszeit) wird behauptet, der Orden habe versäumt, Steuererklärungen abzugeben.
Die Ordensleitung der Provinz Mittelamerika protestiert – und hält fest, die staatliche Maßnahme stehe in einem "nationalen Kontext systematischer Unterdrückung". Es gebe mehr als 3.000 ähnliche Fälle von Löschungen der Rechtspersönlichkeit regierungskritischer Institutionen, und die meisten seien noch nicht einmal durch eine unabhängige gerichtliche Instanz bestätigt worden. Es handele sich schlicht um willkürlichen Amtsmissbrauch. Tatsächlich ist es den Sandinisten in den vergangenen Monaten gelungen, fast alle Tätigkeit nicht genehmer Nichtregierungsorganisationen zu unterbinden; indem sie behördlich kriminalisiert, enteignet und/oder aufgelöst wurden. Darunter sind auch quasi sämtliche kirchlichen Einrichtungen etwa für Bildung, Ausbildung, Gesundheitsfürsorge etc. Wer sie ersetzen soll? Völlig unklar.
Das erste Jesuitenverbot liegt 250 Jahre zurück
Die Jesuiten sind traditionell stark in der Bildungsarbeit exponiert. Man mag es als eine Ironie der Geschichte deuten, dass der Bannstrahl der Sandinisten den Orden ausgerechnet jetzt trifft, wo mit Papst Franziskus erstmals ein Lateinamerikaner Oberhaupt der katholischen Weltkirche ist – und erstmals ein Jesuit. Eine zweite Kuriosität: Bis auf wenige Wochen exakt 250 Jahre zurück liegt das große Jesuitenverbot vom 21. Juli 1773. Damals freilich war es der Papst persönlich, der dem politischen Druck der Kolonialmächte in Lateinamerika nachgab und den Orden auflöste.
Schon seit ihrer Gründung im 16. Jahrhundert hafteten den Jesuiten viele Vorurteile an, die sich teils bis heute gehalten haben. Intrigant seien sie und stellten den Vorteil des Ordens über alles andere: So konnten politische Gegner und Neider den erfolgreichen Jesuitenorden über die Jahrhunderte immer wieder diskreditieren. In Lateinamerika etwa waren die Jesuiten missionarisch wie wirtschaftlich so effizient, dass sie Neid erweckten. Die "Neue Welt" zog Abenteurer und Glücksritter an, deren Eroberungen die spanische Krone als Verbreitung des Christentums verklärte; dabei wurden Ureinwohner zu Zwangsarbeit gezwungen. Abhilfe schufen vor allem die sogenannten Reduktionen der Jesuiten, in denen Einheimische zusammenlebten und -arbeiteten, um sie gegen Versklavung und Ausbeutung durch die weltlichen Eroberer zu schützen.
Ab 1610 richtete der Orden im heutigen Paraguay, in Argentinien, Brasilien und Bolivien selbstverwaltete Reduktionen zum Schutz vor Sklavenhändlern ein. Organisiert waren sie in Dörfern von rund 400 bis 7.000 Einwohnern. Allein in den 30 Reduktionen des Guarani-Volkes lebten in den 1730er Jahren rund 140.000 Menschen. Mehr als 700.000 Indios sollen dort bis 1768 getauft worden sein – und getaufte Indios durften gemäß königlichem Erlass nicht mehr versklavt werden. Die Jesuiten waren Seelsorger, Ärzte, Ökonomen und Ingenieure, Lehrer und Ausbilder, Bürgermeister und Richter ihrer Gebiete. Neben den Produkten für den eigenen Bedarf wurden bald auch Export- und Luxusgüter hergestellt: Baumwolle, Indigo, Tabak und Mate. Auf die Erlöse wurden Steuern an die spanische Krone entrichtet.
Verleumdung und Einflüsterungen
Der außergewöhnliche Erfolg der Reduktionen – mit einer austarierten Mischung aus Privat- und Gemeinschaftsbesitz – rief Neider verschiedenster Couleur auf den Plan. Militärs, Händler und Kaufleute, Großgrundbesitzer, teils sogar Bischöfe beklagten sich fortwährend über den Orden – und scheuten auch vor unlauteren Mitteln nicht zurück. In den 1630er Jahren wurden ganze Indio-Dörfer niedergebrannt, die Bewohner ermordet oder versklavt. Vergeblich baten die Jesuiten die Monarchen um Schutz. Doch auch in Lissabon und Madrid waren sie dem Hofstaat ein Dorn im Auge. Die Könige schenkten Verleumdung und Einflüsterungen zunehmend Gehör und ordneten mehrere Untersuchungen an – deren Ergebnisse stets die Ankläger Lügen straften.
Binnen weniger Jahre wurden die Jesuiten aus den Weltreichen Portugal, Frankreich und Spanien ausgewiesen, 1767 aus allen spanischen Kolonien vertrieben, auch aus den Reduktionen in Paraguay und Lateinamerika. Und 1773 schließlich, vor 250 Jahren, verbot Papst Clemens XIV. – auf Druck Frankreichs, Spaniens und Portugals – den Orden vollständig und verfügte seine Auflösung. Viele Regierungen protestierten; sie fürchteten vor allem um die effektive Rolle, die die Jesuiten in der schulischen und universitären Bildung spielten. Doch am Ende weigerte sich nur die Zarin Katharina II. dauerhaft, das Verbot umzusetzen. Russland wurde das Rückzugsgebiet und Sankt Petersburg Sitz des Ordensgenerals.
Papst Pius VII. (1800-1823) und die von den Folgen der Französischen Revolution gebeutelten Fürstenhäuser erkannten den Fehler, den ihre Vorgänger mit der Unterdrückung dieses damals stabilisierenden Faktors gegen den Liberalismus gemacht hatten. 1814 nutzte Pius VII. die Gunst der Stunde des Wiener Kongresses und hob das Verbot offiziell auf. Die Wiederzulassung bedeutete natürlich keinen dauerhaften Freibrief: Schon 1820 wurden die Jesuiten unter Zar Alexander I. aus Russland ausgewiesen - aus dem Land, das dem Orden über 40 Jahre das Überleben ermöglicht hatte. Erst 1992, nach Ende des Kommunismus, kehrten dorthin Jesuiten zurück. 1848/74 erhielt der Orden ein Tätigkeitsverbot in der Schweiz, das nominell bis 1973 bestand. Und auch in Deutschland erging 1872 im Zuge des Preußischen Kulturkampfes ein Verbot; bis 1917.
Immer wieder dramatische Phasen
Immer wieder hatten die Jesuiten dramatische Phasen zu überstehen. In einigen bekam sogar die vielbeschworene Einheit der "Gesellschaft Jesu", die doch aus so vielen hoch begabten Individualisten besteht, Risse. Differenzen innerhalb des Ordens gab es etwa bei den Auseinandersetzungen um "Modernismus" und "Integralismus" zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder in den Jahren der Neuorientierung nach dem Zweiten Vatikanum (1962-1965). Damals geriet der Orden auch in die Auseinandersetzung um die vor allem lateinamerikanische Theologie der Befreiung und durchlebte eine seiner schwersten Krisen.
Heute ist er wieder so international aufgestellt wie zu Zeiten der China- und Japan-Mission oder der Jesuiten-Reduktionen in Paraguay. Rund 15.000 Mitglieder hat die "Gesellschaft Jesu".