Standpunkt

Zur Verteidigung der Menschenwürde braucht die Kirche Glaubwürdigkeit!

Veröffentlicht am 29.08.2023 um 00:01 Uhr – Von Joachim Frank – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung hat der Kirche eine besondere Rolle zugesprochen: die Verteidigung der Menschenwürde. Um sie glaubwürdig auszufüllen, müsse die Kirche jedoch menschenverachtende Positionen ändern, kommentiert Joachim Frank.

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Das "Selbstbestimmungsgesetz" der Ampel-Koalition ist auf teils scharfe Kritik gestoßen. Zur Verteidigung des Vorhabens bot der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), in den "tagesthemen" der ARD eine ganze Phalanx an Unterstützern auf. Einen erleichterten Geschlechtseintrag für trans Menschen sähen diese "zum Glück" nicht – wie Alice Schwarzer – als Teil einer Mode, eines fragwürdigen Trends.

Nach Aufzählung einer Reihe von Organisationen holte Lehmann noch einmal Luft, als ob er zu seinen Gunsten jetzt noch jemand Wichtigen benennen wollte: "… Übrigens auch die kirchlichen Verbände, die sehr deutlich gemacht haben, dass es hier um die Würde des Menschen geht." Menschen so zu respektieren, "wie sie sind" und sie "nicht in Schubladen zu pressen", das sei Ausdruck eines menschenwürdigen staatlichen Handelns.

An Lehmanns Bemerkung ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen holt sich die Regierung Rückhalt für ihr umstrittenes Liberalisierungsprojekt von einer – scheinbar – unerwarteten Seite: Statt "auch die kirchlichen Verbände" hätte der Staatssekretär im Bundesfamilienministerium ebenso gut "selbst" oder "sogar" sagen können. Subtext: Nicht mal die Kirchen haben was dagegen, wie wir vorgehen. Zum anderen weist der Grünen-Politiker den Kirchen im vielstimmigen Konzert gesellschaftspolitischer Kontroversen ein spezifisches Motiv oder eine eigene Rolle zu: die Wahrung und Verteidigung der Menschenwürde.

Noch vor geraumer Zeit hätten viele darin eine eher langweilige, vielleicht sogar tautologische Verbindung gesehen: "Kirche tritt für Menschenwürde ein." Na, da schau an! Was denn sonst? Doch mit der Brandmarkung fortgesetzter Diskriminierung in Lehre und Praxis der Kirche sowie mit der Aufdeckung massenhafter Verletzungen der menschlichen Würde durch sexualisierte Gewalt steht die Kirche als Hüterin von Menschen- und Freiheitsrechten selbst in Frage.

Sicher ist es nicht Sache der Kirche, Vorhaben der Regierung – welcher auch immer – ihren Segen zu geben. Aber angesichts von Gesetzesplänen, die zutiefst an die Würde des Menschen rühren wie zuletzt die Regelung des assistierten Suizids oder auch eine Reform des Abtreibungsrechts, wäre es für die Kirche von entscheidender Bedeutung, als glaubwürdige und satisfaktionsfähige Partnerin für politische Allianzen überhaupt in den Blick zu geraten.

Das setzt dreierlei voraus: ein Bekenntnis zur Freiheit, das mehr ist als das Absingen von Pfingst-Hymnen zum Heiligen Geist; die Revision eigener Positionen, wo sie zu Unrecht gängeln, verletzen, diskriminieren; die Absage an autoritäres Denken und Machtgehabe, das es beileibe nicht nur in der Gesellschaft gibt, sondern auch in den rechten Milieus der Kirche selbst.

Von Joachim Frank

Der Autor

Joachim Frank ist "DuMont"-Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeiger". Außerdem ist er Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.