Erster Nachkriegs-Katholikentag suchte in Mainz Antworten auf Schuldfrage

Vor 75 Jahren: Nach NS-Zeit beklagen Katholiken Unrecht an Juden

Veröffentlicht am 01.09.2023 um 15:21 Uhr – Von Christoph Arens (KNA) – Lesedauer: 
Katholikentag Mainz 1948
Bild: © KNA/Bild

Mainz ‐ Aufbruch für Deutschlands Katholiken vor 75 Jahren: Erstmals nach Kriegsende trafen sie sich zum Katholikentag. Die Themen des Mainzer Treffens lagen auf der Hand: die Not der Vertriebenen und Obdachlosen – aber auch die Schuldfrage.

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"Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Papst in deutscher Sprache zum deutschen Volke sprach." "Der Spiegel" berichtete umfangreich und mit großem Pathos. Erstmals seit 1932 und damit erstmals nach dem Untergang Nazideutschlands trafen sich die deutschen Katholiken vom 1. bis 5. September 1948 in Mainz zum Katholikentag.

Austragungsort des Großereignisses, das vor 75 Jahren bis zu 180.000 Menschen anlockte, war das kriegszerstörte Mainz. Kein Zufall, denn in der Stadt hatte 100 Jahre zuvor der allererste Katholikentag stattgefunden – die Antwort der Katholiken auf die Revolution von 1848.

Wenige Tage nach der Währungsreform und parallel zu den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates zum Grundgesetz in Bonn, drängten sich die Themen des Katholikentags beinahe von selbst auf: "Der Christ in der Not der Zeit" lautete das Motto, allerdings verbunden mit der Aufforderung "Nicht klagen, handeln!".

Menschenmassen in Mainz

Das einfache Volk pilgerte in großen Massen zu Gottesdiensten und Vorträgen. Beim großen Abschlussgottesdienst am Sonntag musste die General-Patch-Notbrücke über den Rhein, die die Bewohner des links- und rechtsrheinischen Mainz – und damit der französischen und der amerikanischen Besatzungszone – voneinander trennte, schon frühmorgens gesperrt werden: So viele Menschen stauten sich zu Fuß, auf Fahrrädern, Lastwagen, Fuhrwerken und in Omnibussen.

Mehr als 1.000 Vertreter der Verbände und der Bistümer diskutierten in zwölf Arbeitsgemeinschaften nichtöffentlich zu den drängenden Themen der Zeit. Es ging um Wiederaufbau, die Not der Flüchtlinge, Kriegsversehrten und Obdachlosen und die Bereitschaft der Katholiken, sich für einen demokratischen Staat einzusetzen. Es ging um eine freiwillige Selbstkontrolle von Rundfunk und Film. Nach der "gemeinsam erlittenen Bedrängnis" wurde die Gemeinsamkeit mit den Protestanten betont. Der Mainzer Bischof Albert Stohr forderte die Einstellung der Demontage und die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen.

"Die Öffentlichkeit merkte wenig von den Ausschußsitzungen", berichtete der "Spiegel". Sie zog in den Dom zum morgendlichen Pontifikalamt oder lauschte Pater Ivo Zeiger, der gegen den Missbrauch der Kirche durch die Politik zu Felde zog und Deutschland nach den Verheerungen der NS-Zeit als "Missionsland" charakterisierte. Oder der Rede des aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Breslauer Professors Günther Küchenhoff über das Schicksal der Heimatlosen.

Die Stunde des Christentums

Nach dem 8. Mai 1945 richteten sich die Hoffnungen vieler Deutscher auf die katholische Kirche. "Das gläubige Christentum war die einzige geistige Macht, über die der Nationalsozialismus nicht Herr geworden ist", schrieb der Jesuitenpater Max Pribilla 1946 in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit".

In einer Botschaft an "die Brüder in aller Welt" befasste sich der Katholikentag mit Judenverfolgung und Schoah. "Angesichts des ungeheuren Leids, das durch eine Hochflut von öffentlich unwidersprochen gebliebenen Verbrechen über die Menschen jüdischen Stammes gebracht worden ist", hieß es in verschnörkelten, umständlichen Sätzen. "Im Geiste christlicher Bußgesinnung" sprach sich die Resolution für eine "Wiedergutmachung im Rahmen des Möglichen" für das geschehene Unrecht aus. Dabei müsse es auch um eine Rückgabe widerrechtlich entwendeter Güter gehen.

An jeden einzelnen Christen wird der Appell gerichtet, dazu beizutragen, "dass die christliche Bevölkerung sich von einem bereits wiederaufflammenden Antisemitismus freihält". Theologisch allerdings, so urteilt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einem Rückblick auf 100 Kirchentage, habe der Holocaust noch nicht zu einem Umdenken geführt: Immer noch sei von der Bekehrung der Juden die Rede gewesen.

Radioansprache des Papstes

Papst Pius XII., der als Papstbotschafter achtmal auf Katholikentagen gesprochen hatte, forderte in seiner Radioansprache einen Neuaufbau der Gesellschaft im Geist des Christentums. "Als der Lautsprecher die Rede des Papstes ankündigte, lag Stille über der Stadt", berichtete der "Spiegel". "In der Aula der Universität, im Dom, in der Stephanskirche, in der Bonifatiuskirche und an den Radios zu Hause saßen Millionen und lauschten dem Geläut der Glocken von St. Peter."

Der Papst prophezeite den deutschen Katholiken, dass auch im neuen Staat Kampfesgeist erforderlich sei: "Wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen, wird auch die Zukunft von Euch den Einsatz verlangen für die Freiheit der Kirche, für ihre und der Eltern Rechte auf das Kind, seine Erziehung und seine Schule."

Von Christoph Arens (KNA)