TV-Moderator über sein neues Buch "Aenne und ihre Brüder"

Reinhold Beckmann: Hege an Institution Kirche heute große Zweifel

Veröffentlicht am 03.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Michael Althaus (KNA) – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Die Geschichte seiner Mutter und ihrer vier Brüder hat der TV-Moderator Reinhold Beckmann in einem Buch aufgeschrieben. Im Interview spricht er über die Zeit des Zweiten Weltkriegs, den Glauben seiner Mutter und sein eigenes Verhältnis zur Kirche.

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Der Journalist und Musiker Reinhold Beckmann (67) hat ein ganz persönliches Buch über die Zeit des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Unter dem Titel "Aenne und ihre Brüder" erzählt er vom Leben seiner Mutter Aenne (1921-2019), deren vier Brüder im Krieg starben und die auch ihre Eltern früh verlor. Die Geschichte spielt zwischen hartem Alltag auf dem Dorf, katholischer Tradition und der immer mächtiger werdenden Nazi-Diktatur. Im Interview in Hamburg sprach Beckmann darüber, warum er das Buch schrieb, was der Krieg mit den Menschen macht und welche Rolle die Kirche in der NS-Zeit spielte.

Frage: Herr Beckmann, warum haben Sie sich entschlossen, ein Buch über die Geschichte Ihrer Mutter und ihrer Brüder zu schreiben?

Beckmann: Ich wollte das immer schon machen, habe es aber ständig aufgeschoben. Nachdem ich einen Song über das Thema geschrieben hatte, veränderte sich plötzlich die Situation. Zwei Verlage fragten, ob ich die Geschichte aufschreiben könne. Das war der Moment, in dem ich mich entschlossen habe, es endlich zu tun.

Frage: Das Lied "Vier Brüder" haben Sie 2021 veröffentlicht und auch bei der Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Bundestag vorgetragen. Welche Reaktionen haben Sie damals erhalten?

Beckmann: In den Kommentaren zum Youtube-Video des Songs haben Menschen ihre eigenen Verlustgeschichten aus der Kriegszeit erzählt. Als ich das gelesen habe, hat mich das sehr berührt. Mir ist noch einmal klar geworden, in wie vielen Familien so ein Schicksal zu Hause ist, über das aber oft nicht gesprochen wurde.

Frage: Wie lange haben Sie für das Buch recherchiert?

Beckmann: So ein Buch kann man nicht nebenher schreiben. Ich habe mich komplett zurückgezogen, ein halbes Jahr recherchiert und ein Jahr lang geschrieben. Ich habe demütig erfahren dürfen, dass das Buchschreiben eine einsame Sportart ist – Krisen nicht ausgeschlossen.

Frage: Wie genau sahen Ihre Recherchen aus?

Beckmann: Ich habe viel gelesen und war mehrmals im Heimatort meiner Mutter, in Wellingholzhausen bei Osnabrück. Die lokalen Historiker dort waren eine große Hilfe, und es fanden sich auch ein paar Menschen, die selbst noch eine Erinnerung an die Zeit hatten.

Frage: Gab es Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?

Beckmann: Nicht alles stimmte, was meine Mutter erinnerte und mir dann erzählt hat. Es gab da auch ein paar Legenden, die sich innerhalb der Familie gebildet hatten. Ungewissheit ist schwer auszuhalten. Deshalb hat man sich wohl manchmal etwas zusammengereimt, um Frieden und Trost zu finden.

„Ich habe eine veritable Karriere als Ministrant hingelegt. Der Herrgott möge mir das gut anrechnen.“

—  Zitat: Reinhold Beckmann

Frage: Ihre Mutter hat die Briefe, die ihre Brüder im Krieg geschrieben haben, in einem Schuhkarton aufbewahrt und – anders als viele in ihrer Generation – immer aus dieser Zeit erzählt. Woher kam diese Offenheit?

Beckmann: Mutter war ein sehr zugewandter Mensch. Sie war nicht verbogen oder zynisch, was man durchaus hätte sein können bei diesen vielen Schicksalsschlägen. Sie hatte ein Grundvertrauen ins Leben und in ihren Herrgott. Und sie hat sich als junges Mädchen entschlossen, nachdem sie so viel verloren hatte, ihr eigenes Leben aufzubauen in einem Dorf 100 Kilometer nördlich ihrer Heimat. Das war damals nicht selbstverständlich.

Frage: Ihre Mutter und die Brüder stammten aus einer sehr katholischen Gegend. Welche Rolle spielte die Kirche zur Zeit des Nazi-Regimes und des Kriegs?

Beckmann: Die Gottesfürchtigkeit war damals in Wellingholzhausen das Ein und Alles. Die Kirche war voll, die Menschen machten Wallfahrten, sie beteten ihre Rosenkränze. Alles, was von der Kanzel gesagt wurde, war Gesetz. Ich habe gelernt, wie wichtig die Kirche damals für das soziale Leben war. Die katholische Kirche hätte eine Chance gehabt, dem Nationalsozialismus zu widerstehen und den Leuten in den Gemeinden mehr Schutz zu geben. Aber stattdessen versuchte sie mehr und mehr, den Nazis zu gefallen. Die Kirchenoberen meinten, den gemeinsamen Klassenfeind bekämpfen zu müssen, den gottlosen Bolschewismus. Wie sich der Bischof von Osnabrück, Wilhelm Berning, in den Schoß der Nazis gelegt und sich bis zu seinem Tod nie davon distanziert hat, ist eine große Enttäuschung.

Frage: Wie hat die Geschichte Ihrer Mutter Ihr eigenes Leben geprägt?

Beckmann: Meine vier Onkel, die ich nie kennengelernt habe, waren bei uns zuhause immer präsent. Vor allem Weihnachten und an Feiertagen saßen die vier gefühlt mit bei uns am Tisch. Mit 17 habe ich das Schicksal meiner Onkel in die Begründung meiner Kriegsdienstverweigerung aufgenommen. In der ersten Verhandlung bin ich jedoch durchgefallen. Beim zweiten Mal hat es dann zum Glück geklappt.

Frage: Ihre Onkel kämpften teils auch auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, wo heute wieder Krieg herrscht. Welche Lehren ziehen Sie aus Ihrer Familiengeschichte?

Beckmann: Ich habe am 21. Februar 2022 angefangen zu schreiben. Drei Tage später begann Russland den Krieg. Ich merkte: Mariupol, Rostow – das sind alles Städte, die kenne ich aus den Recherchen zu meinem Buch. Dadurch rückte alles noch ein bisschen näher. Mütter und Väter in der Ukraine und auch in Russland sind wieder in der gleichen Situation wie damals. Sie müssen Angst haben, dass sie die Nachricht erreicht, dein Sohn, deine Tochter kommt nicht mehr nach Haus. Das Schlimmste am Krieg ist der Hass, den er verursacht. Und der Generationen später noch nachhallt. Wir beide sitzen ja jetzt auch hier und reden über die Folgen des Zweiten Weltkriegs – 78 Jahre später.

Frage: Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?

Beckmann: Ich habe eine veritable Karriere als Ministrant hingelegt. Der Herrgott möge mir das gut anrechnen. Ich musste das Confiteor rauf- und runterbeten, das Misereatur ebenfalls (Anmerkung der Redaktion: Gebete in der lateinischen Messe). Ich habe als kleiner Junge bei vielen Beerdigungen gedient. Heute hege ich an der Institution Kirche große Zweifel, unter anderem weil sie nicht bereit ist, die widerlichen Übergriffe auf Kinder und Jugendliche aufzuarbeiten. Aber ich bin weiterhin Mitglied der katholischen Kirche. Und ich glaube nach wie vor daran, dass es da oben eine besondere Kraft und Energie gibt.

Frage: Was muss die Kirche tun, um ihre Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen?

Beckmann: Es braucht eine konsequente Bereitschaft, wirklich aufzuräumen. Und die Kirche sollte vor allem dort sein, wo es den Leuten nicht gut geht. Die Führungs- und Organisationsstrukturen im Vatikan sind leider eine Katastrophe. Aber immerhin ist Papst Franziskus jemand, der betont, die Kirche müsse auf der Seite der Schwachen stehen. Und darauf kommt es an.

Von Michael Althaus (KNA)

Das Buch

Reinhold Beckmann, "Aenne und ihre Brüder", Propyläen Verlag, Berlin 2023, 352 Seiten, ISBN 978-3549100561, 26 Euro.