Vatikanjournalistin Sailer über die jüdische Archäologin Hermine Speier

Frauenkarriere im Vatikan

Veröffentlicht am 08.03.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Weltfrauentag

Rom ‐ Vatikanjournalistin Gudrun Sailer hat ein Buch über eine der ersten Frauen geschrieben, die im Vatikan mit Arbeitsvertrag beschäftigt waren: Hermine Speier, eine deutsche Jüdin und Archäologin.

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Frage: Frau Sailer, wie wirkte Hermine Speier als Frau und Jüdin in den 1930er Jahren auf die anderen Mitarbeiter im Vatikan?

Sailer: Dass sie eine jüdische Frau war, war damals kein Thema, da stellen wir heute andere Fragen an die Vergangenheit. Sie kam mit großem Glück 1934 zu ihrer Beschäftigung im Vatikan und hätte sich davor nicht vorstellen können, dass sie je auf dem Olymp der klassischen Archäologie arbeiten könnte. Aus ihren Briefen wissen wir, dass ihre Freunde sich einerseits über diese angesehene Stelle für sie freuten, andererseits auch darüber, dass sie als deutsche Jüdin überhaupt noch Arbeit gefunden hat. Sie war aufgrund der Repressalien gegen Juden und des "Arierparagraphen" beim Deutschen Archäologischen Institut in Rom entlassen worden und wurde vom Vatikan mit der Prämisse "wir schützen dich jetzt" eingestellt.

Bild: ©Greta Galligioni

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Radio Vatikan". Sie schrieb ein Buch über Frauen im Vatikan und Anfang 2015 auch "Monsignorina - Die deutsche Jüdin Hermine Speier im Vatikan".

Der Leiter der Vatikanischen Museen, Bartolomeo Nogara, verfolgte dabei ein doppeltes Ziel, nämlich ihr zu helfen und gleichzeitig dem Museum, denn sie war die qualifizierteste Person für diesen Posten im Fotoarchiv.

Frage: Spielten auch Päpste eine Rolle bei ihrer Personalie?

Sailer: Ja, sogar mehrere. Sie kam 1934 mit dem "nulla ostat", also dem Okay von Papst Pius XI. Er war ein scharfer Gegner des Faschismus im Allgemeinen und der Ausgrenzungspolitik gegen Juden im Speziellen. Er hatte zudem großes Interesse an der Wissenschaft und sorgte gemeinsam mit seinem befreundeten Museumsdirektor Nogara für einen großen Entwicklungssprung im Vatikan: Es wurden erstmals Wissenschaftler statt Künstler als höhere Mitarbeiter bei den Vatikanischen Museen beschäftigt - und damit auch die Archäologin Speier. Durch ihre Qualifikation konnte man sie auch gegen interne Kritik verteidigen. Doch obwohl Pius XI. Speier schützte, hat er sie nie getroffen.

Anders der damalige Kardinalsstaatsekretär Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII.: Er hat eine päpstliche Rettungsaktion für sie eingefädelt. Nach einem antijüdischen Gesetz Mussolinis sollten alle ausländischen Juden bis März 1939 Italien verlassen. Pacelli setzte sich aber über den Nuntius dafür ein, dass sie bleiben konnte. Auch Giovanni Battista Montini, der spätere Papst Paul VI., war während des Kriegs mit ihr befasst. Er war damals eine Art vatikanischer Innenminister und wie Pius XI. mit Nogara befreundet. Zwischen Montini und Speier ist auch eine kurze Korrespondenz aus den Kriegsjahren erhalten.

Frage: Es bleibt die Frage offen, warum sie kurz vor Ausbruch des Kriegs zum Christentum konvertiert ist. Lag es daran, dass großer Druck auf ihr lastete?

Sailer: Sie selbst hat immer erzählt, dass sie nie Druck vom Vatikan gespürt hat. Hermine Speier kam aus einer säkular-liberalen Familie und praktizierte den jüdischen Glauben kaum. Was wohl eine Rolle spielte, war ihre Liebe zu Rom. Gleich bei ihrer Ankunft 1928 wurde Rom zu ihrer Lebensheimat und sie begann bald, sich nicht nur für die klassische Seite der Stadt zu interessieren, sondern auch für die christliche. Speier stellte sich Fragen, war empfänglich für das Schöne und begann auf Einladung ihres Lehrers Ludwig Curtius bereits 1930, die Christmette bei den Benediktinern auf dem Aventin zu besuchen. Es war also eine Annäherung im Kleinen zu der sicher auch der Akt der christlichen Nächstenliebe durch ihren Chef Nogara gehörte. Sie fragte sich, warum jemand aus Glaubensgründen gerade einer Jüdin hilft.

Hermine Speier

Sie war eine der ersten weiblichen Angestellten im Vatikan überhaupt, Deutsche und Jüdin: Hermine Speier (1898–1989), eine promovierte Archäologin aus Frankfurt am Main. Nach dem Studium in Heidelberg geht sie nach Königsberg und 1928 nach Rom ans Deutsche Archäologische Institut. 1934, ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers, verliert sie dort ihre Stelle. Noch im selben Jahr tritt sie als Fotothekarin in den Dienst des Vatikans. In diesen entscheidenden Jahren ist Hermine Speier mit einem italienischen Nationalhelden verlobt: General Umberto Nobile, Luftschiff-Konstrukteur und Nordpolerforscher. Als seine jüdische Freundin vor dem Besuch Adolf Hitlers in Rom 1938 in "Schutzhaft" gerät, kann er sie nach einem Tag befreien. Nobile ist 1939 Speiers Taufpate, aber heiraten wird er sie später nicht - er wandert alleine in die USA aus. Als der Krieg vorüber ist, bleibt Speier den Päpsten als Arbeitgeber treu bis zu ihrer Pensionierung.

Sie begann 1938 mit der Taufvorbereitung, kurz nachdem die antijüdischen Gesetze in Kraft traten. Am 13. Mai 1939 wurde sie getauft, aber die Bedrohung hörte auch mit dem Übertritt zum Katholizismus nicht auf. Als die Nazis Rom besetzten, tauchte sie dank ihrer vatikanischen Kontakte im Nonnenkloster an der Priscilla-Katakombe unter. Aus Dankbarkeit für die Hilfe ist sie dann bis zu ihrer Pensionierung 1966 im Vatikan geblieben, obwohl sie sich nach dem Krieg in ihren alten Job im Deutschen Archäologischen Institut zurückklagen hätte können.

Frage: War die Karriere von Hermine Speier einmalig oder hat sie den Weg frei gemacht für Frauen im Vatikan?

Sailer: Hermine Speier hat durch ihre ganz stille Präsenz die Tür für Frauen im Vatikan geöffnet. Sie war sicher keine Feministin und auch niemand, der versuchte, programmatisch für die Sache der Frauen einzutreten. Aber sie arbeitete mit größter Selbstverständlichkeit als Frau im Vatikan – wo sie übrigens nicht die erste weibliche Angestellte war. Im Februar 1915 nahm mit Anna Pezzoli die erste Frau mit Arbeitsvertrag ihren Dienst im Möbelmagazin des Vatikans auf. In diesen 100 Jahren - und besonders seitdem mit Speier eine Wissenschaftlerin eingestellt wurde - hat sich viel getan. Der nächste große Schritt kam nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als man gezielt Frauen anwarb. Heute liegt die weibliche Belegschaft bei 20 Prozent. Die meisten von ihnen sind Akademikerinnen und arbeiten als Archivarinnen, Journalistinnen, Kunsthistorikerinnen oder auch als Büroleiterinnen in den Kongregationen, also den Ministerien des Vatikans. Vereinzelt gibt es auch Untersekretärinnen, die zum Führungsteam der Kurienbehörden gehören. Schrubben und Schreinern sind eher die Arbeiten von Männern im Vatikan. Sind die Frauen aber erst einmal eingestellt, dann bleibt es oft bei ihrer Position, denn die Aufstiegschancen sind überschaubar.

Von Agathe Lukassek

8. März: Internationaler Frauentag

Am Internationalen Frauentag erinnern Frauen weltweit an den Kampf für ihre Rechte im politischen, privaten und wirtschaftlichen Leben. Dabei geht es um Themen wie Gewalt, politische und soziale Teilhabe oder um die Gleichstellung im Arbeitsleben. In diesem Jahr rücken die Gewerkschaften das Thema Mindestlohn in den Vordergrund. Die Idee stammt ursprünglich aus den USA. 1911 gingen erstmals Frauen in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz zum Frauentag auf die Straße. Die Sozialistin Clara Zetkin setzte den 8. März während der zweiten kommunistischen Frauenkonferenz im Jahr 1921 als weltweites Datum durch. (dpa)