Darum bin ich gerne Teil der Kirche
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Es ist schon bemerkenswert: Inzwischen ist es cooler auszutreten als drin zu bleiben. Missbrauch und Vertuschung sowie ihre mediale Dauerpräsenz haben den Blick verdunkelt. Selbst überzeugte Katholiken schämen sich, zur Kirche zu gehören. Die Politik geht auf Distanz. Zur Pathologie der Kirche und ihrer fälligen Therapie kommt eine Pathologie der (Selbst-)Wahrnehmung, die sich fast lustvoll auf das Negative fixiert. Es ist Zeit, gegenzusteuern und einmal öffentlich zu sagen, warum ich gerne in der Kirche bin.
Ohne die Kirche hätte ich die Geschichte Israels und die Psalmen nicht kennengelernt – jene Partituren des Betens, die sprachmächtig alle Lebenslagen vor Gott bringen.
Ohne die Kirche hätte ich von Jesus nichts gehört, in dem sich der Absolute ein Gesicht gegeben hat. Die Erinnerung an Leben, Tod und Auferstehung Christi schärft den Blick für die Leidenden, ruft zur Umkehr und lädt zu einer Kultur der Vergebung ein, die andere nicht auf ihre Fehler festlegt.
Ohne die Kirche hätte ich den Sinn für das Mysterium nicht entwickelt. Ich liebe Kirchen und Kathedralen, die die verborgene Präsenz des Heiligen spürbar werden lassen, ich schätze die Kultur, die im jüdisch-christlichen Resonanzraum entstanden ist.
Ohne die Kirche gäbe es den „Zirkel heiliger Handlungen“ (Goethe) nicht, die die Knotenpunkte des Lebens mit Gott verbinden – auch nicht die Eucharistie, die Gabe seiner Gegenwart, die uns verwandeln will.
Ohne die Kirche wäre die soziale Temperatur kälter. Sie kümmert sich um Kranke, Alte und Arme und erhebt ihre Stimme für die Stimmlosen – am Anfang und am Ende des Lebens.
Ohne die Kirche wäre das Band mit Christen aus Afrika, Asien und Lateinamerika schwächer. Katholizität ist ein Geschenk.
Ohne die Kirche hätte ich die Hoffnung auf die kommende Welt nicht. So sehr wir verantwortlich sind, dass auch unsere Kinder Gäste auf diesem Planeten sein können: diese Welt ist nicht alles. Wir hoffen auf den neuen Himmel und die neue Erde. Wir werden erwartet.
Ohne die Kirche wäre mein Glaube obdachlos – und die Welt ärmer.
Der Autor
Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.