Zahlreiche Menschen erst jetzt ermutigt, über schlechte Erfahrungen zu reden

Pfeffer: Bistum Essen erreichen viele negative Meldungen zu Hengsbach

Veröffentlicht am 28.09.2023 um 11:36 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Kardinal Hengsbach war im Bistum Essen sakrosankt – Negatives unsagbar. Nun trauen sich Menschen, über schlechte Erfahrungen zu sprechen. Für Generalvikar Klaus Pfeffer ist klar, dass sich der Umgang mit vermeintlichen "Lichtgestalten" ändern muss.

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Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Kardinal Franz Hengsbach wenden sich Menschen nicht nur mit Berichten über mögliche weitere Sexualdelikte an die Ansprechpersonen des Bistums Essen. Im Interview mit dem "Domradio" sagte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer am Mittwoch, dass eine ganze Reihe von Rückmeldungen auffallend sei, die sich auf negative persönliche Erfahrungen mit dem verstorbenen Ruhrbischof beziehen. Hengsbach sei eine ambivalente Person gewesen. "Franz Hengsbach war natürlich eine bedeutende Figur fürs Ruhrgebiet, eine Identifikationsfigur, aber auch ein sehr konservativer Vertreter des Bischofsamtes, der teilweise sehr autoritäre Züge haben konnte", so Pfeffer. Viele Menschen würden sich erst jetzt trauen, unerfreuliche Erfahrungen mit Hengsbach anzusprechen: "Das ist lange Zeit bei uns im Bistum nicht besprechbar gewesen."

In der ganzen Diözese sei die tiefe Erschütterung nach den Vorwürfen zu spüren. Viele Ältere hätten Hengsbach noch persönlich gekannt, erläutert der Generalvikar: "Aber auch Jüngere sind zumindest über die Übermittlung ihrer Eltern und Großeltern davon geprägt, dass er verehrt wurde wie eine 'Lichtgestalt'." Für Pfeffer sind die aktuellen Entwicklungen im Fall Hengsbach auch von grundsätzlicher Bedeutung: "Wir neigen dazu und vielleicht in der Vergangenheit noch stärker als heute, Persönlichkeiten schnell zu idealisieren, auf ein Podest im wahrsten Sinne des Wortes zu stellen." Das sei in der katholischen Kirche oft stark mit dem Amt verbunden und berge Gefahren, da man so die ambivalenten Seiten einer Persönlichkeit gar nicht mehr sehe. "Das könnte vielleicht auch unser Amtsverständnis noch mal relativieren", so Pfeffer weiter.

Zurückhaltung bei Denkmälern und Ehrungen angemahnt

In Zukunft muss man nach Ansicht des Generalvikars sehr zurückhaltend damit sein, Menschen Denkmäler zu setzen oder nach ihnen Straßen und Plätze zu benennen: "Denn das beinhaltet eine solche Idealisierung, die dann, wenn plötzlich so gravierende Schattenseiten deutlich werden, auch in sich zusammenfallen."

Bereits 2017 hatte sich Pfeffer dafür ausgesprochen, die Geschichte des Ruhrbistums zu entmythologisieren. Schon damals sprach er über eigene Erfahrungen als junger Theologiestudent mit Hengsbach. Von dem älter werdenden Bischof sei eine "Atmosphäre der Angst" ausgegangen. Sie seien damals angehalten worden, gegenüber dem Bischof nicht den Eindruck eines zu modernen Menschen zu vermitteln. Im März sprach sich Pfeffer für eine Überprüfung des katholischen Amtsverständnisses aus. "Untersuchungen lassen keinen Zweifel daran, dass die enge Begrenzung des Amtes auf ehelose Männer sowie die dogmatische Überhöhung klerikalen Machtmissbrauch begünstigt." So seien über viele Jahrzehnte Täter geschützt, Taten verharmlost und Opfer ignoriert worden.

In der vergangenen Woche hatte das Bistum Essen über schwere Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hengsbach informiert. Bischof Franz-Josef Overbeck kündigte an, die Vorwürfe überprüfen zu lassen. Zwei Vorwürfe betreffen Hengsbachs Zeit als Bischof von Essen (1958–1991), ein Vorwurf betrifft seine Zeit als Weihbischof in Paderborn (ab 1953). Am Montag wurde die Statue zu Ehren Hengsbachs vor dem Essener Dom entfernt, zuvor hatte der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) die Umbenennung des Kardinal-Hengsbach-Platzes in der Nähe des Doms angekündigt. (fxn)