Seit 25 Jahren eine Heilige: Edith Steins ungewöhnliches Leben
Als er die Frau mit dem ungewöhnlichen Lebensweg heilig sprach, geißelte Papst Johannes Paul II. monströsen Judenhass. Ein Verbrechen wie der Holocaust dürfe sich nie mehr wiederholen – nirgendwo auf der Welt. Das Gedenken und die Verehrung der neuen Heiligen müsse stets die Erinnerung an die Schoah einschließen, "den grausamen Plan, ein Volk zu vernichten".
Das war vor 25 Jahren, am 11. Oktober 1998. Seitdem ist die als Jüdin geborene Ordensfrau Edith Stein eine Heilige. An dem Tag verfolgten rund 20.000 Menschen aus Deutschland die Zeremonie auf dem Petersplatz. Mit dabei war auch der damalige Kanzler Helmut Kohl als Leiter der Delegation der Bundesregierung. 1987 war die Ordensfrau seliggesprochen worden.
Eine der Patroninnen Europas
Stein hatte nicht nur ein ungewöhnliches, sondern auch ein reiches Leben: im Glauben, im Spirituellen, in der Philosophie. Und auch in den Überzeugungen. Heute ist sie eine der Patroninnen Europas. Geboren wurde Stein in eine jüdische Familie, entschied sich später für die christliche Taufe, engagierte sich in der Philosophie, wirkte als Ordensfrau und wurde von den Nazis am 9. August 1942 in Auschwitz ermordet. Der Papst sagte bei der Heiligsprechung, er hoffe, dass sie "die Brücke gegenseitigen Verständnisses immer fester" mache.
Dass sie heute ein Vorbild sein kann, zeigen zum Beispiel die Edith-Stein-Gesellschaften im In- und Ausland. Sie bieten Workshops, Seminare und Reisen an. "Edith Steins Wirken für die Wertschätzung der Frauen in ihren vielfältigen Berufungen und Begabungen als Familien-, Ordens- oder Singlefrau, als Berufstätige, je nach Kraft und Begabung, ist auch heute aktuell", sagt Beate Beckmann-Zöller, Präsidentin der Edith-Stein-Gesellschaft Deutschland, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Stein habe kein "enggeführtes Männer- und Frauenbild" vertreten, sondern bereits Intersexualität in ihre Forschung einbezogen.
Stein spreche heutzutage auch Menschen an, die wie sie als Kind und Jugendliche keine religiöse Sozialisation in der Kirche erfahren hätten, so Beckmann-Zöller. "Erst Mitte 20 erlebte sie Menschen, die einen lebendigen und freudigen Glauben an Jesus Christus hatten, vor allem auch jüdische Freunde, die vorher agnostisch waren wie sie."
Stein wurde am 12. Oktober 1891 als jüngstes von elf Kindern einer jüdischen Familie in Breslau (Wroclaw) geboren. Ihr Vater starb früh, und ihre Mutter kümmerte sich seitdem um den Holzhandel der Familie. Nach dem Abitur widmete sie sich an der Universität Breslau der Germanistik, Geschichte und Philosophie. Später ging sie zu dem Phänomenologen Edmund Husserl nach Göttingen, bei dem sie in Freiburg nach Dienst in einem Lazarett im Ersten Weltkrieg 1917 promovierte.
"Das ist die Wahrheit"
Weiter ging es jedoch nicht: Als Frau hatte sie keine Aussicht auf eine Habilitation. Im Anschluss an ihre Stelle in Freiburg hielt sich Stein an unterschiedlichen Orten auf, schrieb und lehrte. 1921 passierte etwas, das für Stein, wie manch anderes auch, wegweisend war: Sie las die Autobiografie der heiligen Teresa von Avila und befand: "Das ist die Wahrheit."
Am Neujahrstag 1922 ließ sie sich dann katholisch taufen. Vor vier Jahren würdigte Papst Franziskus Stein, die unter dem Namen Teresia Benedicta vom Kreuz 1933 in das Karmelitinnen-Kloster in Köln eingetreten war, als eine Frau, die konsequent mit Ehrlichkeit und Liebe nach Gott gesucht habe. Er nannte sie eine "Märtyrerin für ihr jüdisches Volk und das christliche".
Im April 1933 rief Stein Papst Pius XI. zu einer Stellungnahme angesichts der Hetze gegen Juden in Deutschland auf – vergeblich. Immer stärker brach der NS-Judenhass hervor, und im Jahr der Novemberpogrome 1938 musste auch Stein, die Konvertitin, fliehen. Sie kam im Karmel im niederländischen Echt unter, in dem auch ihre konvertierte Schwester Rosa Dienst tat. Anfang August 1942 wurden sie abgeholt – wohl im Zuge einer Racheaktion für ein Protestschreiben niederländischer katholischer Bischöfe gegen die Umtriebe der Nationalsozialisten.