US-Missbrauchsopfer sehen sich um Aussage vor Gericht betrogen
Teresa Lancaster steht auch Tage nach Antrag des Erzbistums Baltimore auf Gläubigerschutz wie unter Schock. Über Jahrzehnte hatte die 69-Jährige dafür gekämpft, vor Gericht aussagen zu dürfen. Dort würde sie dann berichten können, was sich vor einem halben Jahrhundert an der katholischen Archbishop Keough High School in Maryland zugetragen haben soll.
Die damals 16-jährige Schülerin hatte, wie sie sagt, seinerzeit das Büro von dem Priester Anthony Joseph Maskell aufgesucht, der in der High School als Seelsorger fungierte. "Als ich drinnen war, schloss er die Tür und zog meine Kleider aus", schilderte sie gegenüber US-Reportern ihr Trauma, und habe sie auf seinen Schoß gesetzt.
Teresas Erfahrung war wohl kein Einzelfall. Der Name des 2001 gestorbenen Priesters taucht im Missbrauchsbericht des Bundesstaates Maryland vom April 2023 prominent auf. Sein Fall steht auch im Zentrum der Netflix-Dokumentation "The Keepers". Sie beschreibt, wie Maskell seinen Opfern gedroht habe. Viele Spekulationen ranken sich um das Verschwinden der 26-jährigen Ordensfrau Catherine "Cathy" Cesnik, der sich eine andere Schülerin mit ihrer Geschichte anvertraut habe.
Antrag auf Gläubigerschutz, bevor Gesetz in Kraft tritt
Teresa brauchte viele Jahre, ehe sie den Mut fand, ihre Geschichte zu erzählen. Dann erst tat sie es wieder und wieder; zuletzt auch bei den Anhörungen zum "Child Victims Act", einem Gesetz des Bundesstaates Maryland, das Betroffenen erlaubt, Missbrauchstäter und Institutionen ohne zeitliche Eingrenzung auf bis 1,5 Millionen Dollar zu verklagen.
Zwei Tage, bevor das Gesetz Ende September in Kraft trat, reichte das Erzbistum Baltimore Antrag auf Gläubigerschutz ein. Laut Kirchenangaben verfügt es über ein Vermögen zwischen 100 bis 500 Millionen Dollar. Bei bis zu 5.000 Betroffenen würden die Mittel nicht ausreichen, die Gläubiger zu bedienen, hieß es.
Erzbischof William Lori äußerte in einem Begleitschreiben die Hoffnung, auf diesem Weg einen Ausgleich zu finden, der allen Seiten gerecht werde, nämlich "die Überlebenden zu unterstützen und der Erzdiözese zu erlauben, ihre Dienste fortzusetzen". Es könne nicht im Interesse der Beteiligten sein, wenn am Ende einige wenige große Summen ausgezahlt bekämen, "während die Mehrheit der Überlebenden leer ausgeht".
Wie andere Opfer fühlt sich Teresa Lancaster so um die Möglichkeit betrogen, die Verantwortlichen, die ihre Hand über den Missbrauchspriester gehalten hätten, zur Rechenschaft zu ziehen. Mit dem Antrag auf Gläubigerschutz kommt es nun nicht mehr zu individuellen Zivilverfahren. Stattdessen entscheidet ein Konkursgericht ohne Prozess summarisch über Ansprüche von Betroffenen.
Senator Will Smith, der den "Child Victims Act" im Parlament von Maryland eingebracht hatte, sagt, das Gesetz habe gegen eine solche Taktik keine Vorkehrungen treffen können; "das müsste auf Bundesebene geregelt werden." Solange das nicht der Fall ist, stehe diese Hintertür offen.
Für einige Gläubiger gut, für andere nicht
Laut Opferanwalt Robert Jenner verzögern solche Konkursverfahren die Auszahlung über Jahre – und seien ein Problem für Betroffene, die bereits weit über 70 und älter seien. "Vor allem verlieren die Opfer die Chance, ihre Geschichte vor einem Gericht zu erzählen", so der Jurist.
Terry McKiernan von der Organisation BishopAccountability meint, die Erfahrung mit anderen Konkursverfahren habe gelehrt, dass man diese nach Einzelfall beurteilen müsse. Es gebe Bistümer, in denen Betroffene schreckliche Erfahrungen damit machten; und andere, in denen es dennoch befriedigende Ergebnisse gegeben habe.
Wie die Dinge in Baltimore, der Wiege des US-Katholizismus, für Teresa Lancaster und die mindestens 600 im Missbrauchsbericht genannten Opfer ausgehen werden, lässt sich noch nicht sagen. Die Konkurs-Expertin Marie Reilly von der Pennsylvania State University vertrat im Gespräch mit der "Washington Post" die Ansicht, für einige Gläubiger werde "der Ausgang gut, für andere nicht so gut" sein. Es gebe keine eindeutige Antwort.